Tagung ‚Work in Progress‘ im März 2013 zu Finanzmarktkapitalismus – Arbeit – Innovation
Marburg 19.12.2012 (pm/red) ‚Finanzmarktkapitalismus‘ ist zu einem Begriff für eine Reihe von tiefgreifenden Veränderungen in der Wirtschaft, der Welt der Unternehmen und der Arbeit geworden. Die Finanz(markt)krise von 2008, die dadurch ausgelöste allgemeine Wirtschaftskrise und die durch staatliche Krisenbewältigungsversuche (Bankenrettung) maßgeblich mitausgelöste Staatsschuldenkrise haben zuletzt vor allem die fatale Rolle der (Investment)Banken und die Frage der Regulierung der Finanzmärkte in den Vordergrund der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte gerückt. Die sogenannte Realwirtschaft scheint in diesem Zusammenhang eher (mittelbares) Opfer einer entfesselten Finanzbranche, wie jüngst auch prominente Industrievertreter öffentlich kritisierten.
Durch diese Akzentverschiebung auf ‚profit financialization‘ ist die ‚control financialization‘ etwas aus dem Blickfeld geraten. Nämlich die Einflussnahme von Finanzmarktakteuren auf ‚produzierende‘ Unternehmen und auf die Umstellung von Unternehmensstrategien, die sich unter dem Kürzel ‚Shareholder Value‘ an teils expliziten, teils vermuteten Erwartungen und Forderungen von Aktionären orientiert.
- Welche Wirkungen hat diese ‚control financialization‘ tatsächlich, die sich in Deutschland vor allem in der sprichwörtlichen Auflösung der Deutschland AG und dem Bedeutungsgewinn institutioneller Investoren manifestiert?
- Welche Auswirkungen auf wirtschaftliches Wachstum, die Innovationstätigkeit von Unternehmen und die Entwicklung von Arbeit und Beschäftigung sind von ihr zu erwarten?
Diese Themen sollen mit der 2. SOFI-Tagung ‚Work in Progress‘ im März 2013 in Göttingen ins Zentrum gerückt werden, denn die aufgeworfenen Fragen sind noch nicht befriedigend beantwortet. Ermöglicht werden soll auch ein Dialog der an diesen Themen arbeitenden Forscher/innen über die konzeptionellen Probleme und empirischen Leerstellen der entsprechenden Forschung.
In den Sozialwissenschaften herrscht zwar Konsens darüber, dass der mit Schlagworten wie Shareholder Value, Marktsteuerung oder Vermarktlichung belegte Wandel, der auf eine zunehmende Kapitalmarktorientierung zurückgeführt wird, neue Rahmenbedingungen für Arbeit und Beschäftigung sowie für die Innovationsfähigkeit und Wachstumsaussichten der Unternehmen geschaffen hat. Allerdings ist weiterhin strittig, für welche Sektoren der Wirtschaft welche Veränderungen zutreffen und folglich welche Wirkungen zu erwarten sind.
Die Bestimmung der Zusammenhänge und Wirkungsketten zwischen den Makro-Phänomenen (Wandel der Institutionen der Wirtschafts- und Finanzsphäre; Eigentümerstrukturen der großen Unternehmen; Leitbilder des Managements) und den oft isolierten empirischen Befunden zur Entwicklung von Arbeit, Beschäftigung und Innovation auf Feld-/Branchen bzw. Unternehmens- und Betriebsebene wirft weiterhin theoretisch große Probleme auf und ist empirisch nur sehr unzureichend eingeholt.
Entsprechend bleiben ‚große‘ Trendaussagen über die Existenz und Wirkungsweise des Finanzmarktkapitalismus (wie etwa: Ende des Managerkapitalismus, Kurzfristorientierung, Raubbau an den ‚Human Resources‘; Innovations- und Wachstumsschwäche) ebenso umstritten wie die (oft pauschale) Zurechnung aller Veränderungen von Arbeit und Innovationsfähigkeit auf ‚Finanzmarktkapitalismus‘ oder ‚Shareholder Value‘.