viva piazza fridericianum – Stricken, Stricken, Stricken bis zum 8. März

22.12.2024 (yb) Viele, sehr viele 50 x 50 cm große gestrickte oder gehäkelte Decken sollen den Friedrichsplatz am 8. und 9. März bedecken und werden anschließend zu Gunsten des Autonomen Frauenhauses Kassel versteigert.

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Braucht Marburg ein neues Narrativ ? – Ein Essay

Erlaeuterung Narrativvon Hartwig Bambey
Marburg 11.1.2013 Die Winterferien gehen heute zu Ende. Urlaubsreisende kommen zurück nach Hause. Spätestens mit Schulbeginn am Montag prägt der Alltag mit seinen Routinen  in der Universitätsstadt wieder die Abläufe. Das ist ebenso gut und angesagt wie das Verschwinden der einheitsgrauen Wolkendecke am Himmel über der Stadt. Universitätspräsidentin Katharina Krause hat versucht ein erstes Zeichen zu setzen, indem sie (zumindest) gegenüber der Tageszeitung bekannt hat, dass die Philipps-Universität eklatant unterfinanziert ist und es neuer Wege brauche.
Aber der Reihe nach und die hat bei der historisch älteren und nun einmal den Gesamt-rahmen markierenden Kommune, also bei der Stadt Marburg, zu beginnen. In Betrachtung des Ganzen lassen sich – nicht zuletzt als Ergebnis von Stadtpolitik – nicht wenige Qualitäten auf der Habenseite für Marburg aufzählen. Es gibt dank langjährigen sozialpädagogischen Engagements sozialen Frieden. Es gibt Belobigungen von außen für gelingende Integration, für Engagement im ‚Fair-Trade‘, von der ‚Solar-Bundesliga‘ und als Stadt des Klimaschutzes, um nur einige aufzuzählen. Dazu kommen Tag für Tag zielgerichtet Besucher von außen als interessierte Touristen inzwischen in markantem Zustrom.

Das ist eine Menge, ist keinesfalls selbstverständlich und beschreibt eine positiv erarbeitete Ausgangslage. Und doch reicht es nicht. Es haben sich nicht erst im vergangenen Jahr Erscheinungen von Kritik und Krise verstärkt und für Verunsicherungen gesorgt. Das ist gut so – wenn es wahrgenommen, verstanden und gedeutet wird und zu Gunsten konstruktiver Veränderungen genutzt wird.

Doch solche Lernprozesse und Veränderungen lassen sich derzeit wenig ausmachen. Stattdessen wird offenbar an Vorhaben und Vorgaben festgehalten, die auf falschen oder inzwischen überholten Leitbildern beruhen. Darum, konkret formuliert um Überprüfung von Ausgangslage und formulierten Zielen, sollte und müsste es jedoch dringend gehen.

dbax1126_0039-Marburg buy NightBeispiel Tourismusförderung und Stadtmarketing. Dafür wurde geklotzt und es gibt sichtbare Erfolge. Zugleich wird damit das Wohnen in der Altstadt belastet. Beschwerden über Störungen der Nachtruhe harren der Lösung und die Zahl der dröhnender ‚Volksfeste‘ und Einkaufsevents erreicht längst eine ‚Kritische Masse‘.
Beispiel Klimaschutz und Energiewende. Auch dafür wurde geklotzt und politisch gekämpft, etwa um die Marburger Solarsatzung. Diesbezüglich ist Landes- und Bundespolitik – wenn auch noch ohne wirkliche Ergebnisse – wenn man so will eingeschwenkt, ist dazu gekommen. Zugleich gibt es keine relevanten also sinnvollen Flächen mehr für Solaranlagen vor Ort.

Dazu kommt ein in diesem Online-Magazin vielfach beschriebener ‚Marburger Bauboom‘, der unter deutlichem Mangel von Stadtplanung mit begleitender Verkehrsplanung leidet. Stattdessen gibt es eine Häufung von nicht einmal halbgaren ‚Projektideen‘, die nunmehr auf einen Mangel an Augenmaß, Bodenhaftung und wirklicher Perspektive hindeuten.

Ein Stadtmuseum sollte her, wofür weder Sammlungsbestände noch Konzept vorhanden.
Ein Schlossaufzug wurde propagiert, als ob die Erreichbarkeit ein tatsächliches Problem wäre während zugleich museale Präsentation dort oben derzeit stillgelegt ist.
Für die in weiten Kreisen als fragwürdig und abgehoben betrachtete Bewerbung als UNESCO-Weltkulturerbe braucht(e) es gar ein Konstrukt mit Tübingen bei dünnen Erfolgaussichten.
Nicht genug mit alledem. Auch noch eine Bundesgartenschau soll kommen, in 2027 (!).

Solche Ideen und Projekte – zudem in ihrer Häufung und Eskalation – sind nicht mehr zu übersehender Ausdruck von Mangel an Expertise und fundierter stadtpolitischer Orientierung. Sie folgen einem falschen Narrativ, das in hohem Maße neoliberal gefärbt ist. Marburg braucht nicht überbordendes Stadtmarketing und Tourismusförderung, wenn zugleich Wohnungsnot und Einwohnerschwund zu beklagen sind. Marburg braucht kein Stadtmuseum vor dem Hintergrund eines geschlossenen Universitätsmuseums, dessen Sanierung nicht einmal finanziert ist, eines neuen ‚Chemikums’ ohne wirkliches Betriebsmodell und des in der Existenz gefährdet gemachten Botanischen Gartens, der von 100.000 BesucherInnen jährlich in Anspruch genommen und Wert geschätzt wird.

dbaz0622-StadtautobahnMarburg braucht Besinnung und neue Orientierung – das könnte ein neues Narrativ sein oder werden. Die Stadt ist attraktiv, ganz offenbar in der Außenwirkung. Doch für wachsende Bevölkerungsteile fehlt Wohnraum, ganz und gar bezahlbarer. Tausende sind bereits ‚weggemacht‘.

  • Marburg braucht keine Bürgerbeteiligung für eine UNESCO-Bewerbung, weil zahlreiche Stadtteilgemeinden, Ortsbeiräte, Bürgerinitiative Stadtautobahn, IG MARSS und Lokalen Agendagruppen längst mitdenken, mitmachen, anregen und fruchtbare Kritik artikulieren.
  • Marburg braucht nicht länger eine ‚Schaufensterpolitik‘ als spiegelnde und scheinbar schillernde Oberfläche, hinter der sich eine zerstrittene Rot-Grüne Koalition versteckt, in jedem Fall versteckt hat.
  • Marburg braucht auch nicht seit langem politisch zersplitterte bürgerliche Parlamentarier, von denen allenfalls marginal und teilweise eigentliche Themen und Probleme der Stadtpolitik überhaupt verstanden werden.
  • Marburg braucht in jedem Fall einen starken hauptamtlichen Magistrat und nicht eine Besetzung mit faktisch 2,5 Dezernenten, die weder den Aufgaben noch Themen und Terminen einigermaßen entsprechen können.

Marburg braucht in jedem Fall eine starke Universität. Stattdessen ist jedoch das ‚Allzeithoch‘  bei der Studierendenzahl mit über 22.500 eine einsame Größe, weil nicht einmal die Grundfinanzierung des regulären Betriebs der Philipps-Universität vom Land Hessen abgesichert wird.  Die Campusplanung – hochtrabend mit im ‚Lahntal‘ und auf den ‚Lahnbergen‘ umschrieben – ist krass unterfinanziert und kann nicht umgesetzt werden. Erneut kommt Stückwerk. Längst gibt es Baumängel, Planungsnot und Krisenstimmung. Damit hat die Universitätsleitung – wenn auch selbst nur sehr bedingt für die Finanzierung verantwortlich – umzugehen. Diese kardinalen Probleme gehören auf den Tisch, in die Öffentlichkeit, wofür auch alle Gremien mit Hochschullehrern, Bediensteten und Studierenden viel mehr gefordert sind.

Offenbar brauchen Oberbürgermeister und Universitätspräsidentin gleichermaßen bessere Expertise und veränderte Orientierungen. Zugleich sind sie eingebunden in demokratische Strukturen mit anderen Verantwortlichen. Eine Besinnung scheint geboten und den beiden Hauptexponenten der Stadt und Universität kommt auch Hauptverantwortung zu. Einvernehmliches Miteinander ist dabei notwendige Voraussetzung, jedoch keine hinreichende.

Es stehen große Baumaßnahmen mit riesigen Investitionen vor der Tür. Das damit ausgestattete, neue, zu gestaltende zukünftige Marburg wird nur gelingen können, wenn zukünftig mehr als dürftiges Projektmanagement zur Anwendung kommen wird. Zu viele zurückliegende Veranstaltungen zur begonnen großen Transformation der Stadt, von der Uni und von beiden gemeinsam, müssen als Alibiveranstaltungen vermeintlicher Bürgerbeteiligung bezeichnet werden.

Bürgerbeteiligung und Transparenz sind derzeit beliebte Forderungen. Sie können jedoch nur begleiten, was an Inhalten, Zielstellungen und Maßnahmen vorab und grundlegend in Arbeit ist und vorher gedacht und definiert worden ist. Bei alledem sind Stadt und Universität keinesfalls autonom. Das zeigen die völlig ungelösten gravierenden Probleme des privatisierten Uniklinikums. Dafür ist das Land Hessen verantwortlich.

Panorama Innenstadt und Oberstadt mit Hörsaalgebäude im Vordergrund

Doch Selbstverständnis, konkrete Politik und Entwicklung angemessener Leitbilder liegen weitgehend in den Händen und Köpfen dieser Universitätsstadt. Dafür ist von den Verantwortlichen mehr einzufordern. Vielleicht kann ein neu zu denkendes Narrativ, das über ein längst tautologisches Rubrum ‚Universitätsstadt‘ hinausreicht, entwickelt werden. Die zuletzt beobachtbare Problemverdrängung und Verleugnung bei Stadt und Universität sind nicht Ziel führend. In Boomzeiten für Planer und Bauarbeiter sind zu viele Busse überfüllt, zu viele Wohnungen fehlend und zu teuer, Menschen unzufrieden. Möglichkeiten werden vertan und Wichtiges wird nicht geleistet.

Anders als bei der sich gerade zum Winterlichen wendenden regengrauen Wetterlage über Marburg, wirken menschliche Akteure in der Gegenwart und für die Zukunft dieser lernorientierten und arbeitsamen Stadtgesellschaft. Ein Grimmjahr ist vergangen. Doch märchenhaft geht es in Marburg allenfalls für touristische Tagesbesucher zu. Es bleibt spannende Aufgabe die kommende Entwicklung samt ‚Begleiterzählungen‘ zu betrachten.

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