Einwendungen gegen Bebauungsplan ‚Alte Gärtnerei‘ – IG MARSS, Lokale Agendagruppe und Ortenberggemeinde tragen Bedenken vor
Marburg 15.1.2012 (yb) In der Dezemberausgabe von ‚Der Ortenberger‘ als Infobroschüre der Ortenberggemeinde war eine Ablehnung des Bauvorhabens auf dem Gelände der Alten Gärtnerei bereits ausführliches Thema. Einmal mehr hat die Bauverwaltung der Stadt einen ‚vorhabenbezogenen Bebauungsplan‘ entwickelt, der im Bereich Alte Kasseler Straße / Schützenstraße Geltung erlangen soll. Hintergrund dafür ist das Bauvorhaben der Firma ‚S+S Immobilien‘, welches in hochverdichteter Bauweise dort in mehreren Baukörpern 111 kleinteilige Wohneinheiten schaffen will. Der B-Planentwurf Nr. 6/13-1 ‚Alte Gärtnerei‘ hat bis vor wenigen Tagen im Zug der vorgeschriebenen Bürgerbeteiligung im Bauamt öffentlich ausgelegen. Diese Bürgerbeteiligung ist zu Stande gekommen, und das sehr lebhaft. Neben der Ortenberggemeinde haben die IG MARSS und die Lokale Agendagruppe dazu Stellung bezogen. Die Stellungnahmen verbindet eine kritische Sichtweise mit vielen Bedenken. Als Tenor finden sich Kritik und Ablehnung.
Die gestalterische und baulich Ästhetik, fehlende Familienfreundlichkeit und nicht vorhandene Ausrichtung an den Bedürfnissen Älterer oder von Menschen mit Handicaps sind hauptsächliche Bedenken, die von der Ortenberggemeinde vorgetragen worden sind. Zudem sieht man sich als Anlieger zu wenig im Vorfeld des Verfahrens beteiligt und beklagt Ignoranz seitens der Bauherrschaft. „Unter familienfreundlich sind aber nicht nur entsprechende Wohnungsgrößen zu verstehen, sondern auch deren Bezahlbarkeit“, formuliert der Sprecher der Ortenberggemeinde, Pit Metz, in seinem Schreiben an den Magistrat.
Die IG MARSS kritisiert „mangelnde stadtplanerische Eigeninitiative und Eigenleistung der Stadt Marburg“. Eine „derartige Stadtplanung gehört zuerst in die Hand des Bau-und Planungsamtes bevor Investoren daraus ihre Vorhaben entwickeln“, wird gefordert. Das praktizierte Verfahren wird in Frage gestellt, weil hier „für einzelne Baugrundstücke Bebauungspläne im Do-it-yourself-Verfahren durch die Investoren selbst vorgelegt werden“ konnten und die Stadt ihre Planungshoheit vernachlässigt und untergeordnet habe.
Ähnliche Bedekken sind in der Stellungnahme der Agendagruppe zu finden. „Vor Erstellung des Bebauungsplanes eine Beteiligungs- und Mitbestimmungsphase offen für alle Marburger Bürgerinnen und Bürger einzuräumen“ ist deren Anregung. Dabei wird darauf verwiesen, dass bereits 1997 der Stadtplaner Michael Bergholter im Endbericht der Rahmenplanung zum Bahnhofsquartier formuliert hat, „dass das Bahnhofsquartier ein Schwerpunkt in der Marburger Stadtentwicklung werden kann… eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit ist in diesem Zusammenhang erforderlich.“
Nachstehend werden wesentliche Anregungen und Bedenken aus den drei Stellungnahmen veröffentlicht:
Stellungnahmen Bebauungsplan Alte Gärtnerei
IG MARSS | Lokale Agendgruppe | Ortenberggemeinde |
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Größe und Baumasse: Die im Lageplan als A - F bezeichneten Wohnhäuser zur Alten Kasseler Straße sind trotz Baumassenverringerung aufgrund der Vorgaben des Gestaltungsbeirats noch immer zu massig und zu hoch. Es sollten mit Erdgeschoss, 1. OG und 2.OG insgesamt nur 3 Geschosse gebaut werden. Städtebaulich ist ferner zu kritisieren, dass Baulinien und Baufluchten in keinem harmonischen Verhältnis zueinander stehen. Das gesamte Areal wirkt somit in seiner Umgebung als Fremdkörper. | Die hohe Baumasse des Vorentwurf ist städtebaulich nicht verträglich. Die Grundstücksausnutzung / Dichte wird gegenüber den Nachbargrundstücken sehr unangenehm überschritten. Baulinien und Baufluchten sind in keinem städtebaulichen Verhältnis erkennbar. Für das Gesamtareal Schützenstraße / Alte Kasseler Straße ist eine städtebauliche Planung notwendig, vorzugsweise mit einem Wettbewerb anstelle des jetzigen Plans. | Wir befürchten, dass die geplanten drei Großbauten auf dem Gelände der "Alten Gärtnerei" das Erscheinungsbild viel zu wuchtig prägen und das Ensemble dominieren. Wir Ortenberger Bürger/-innen können in den uns bekannten Plänen nicht erkennen, dass die geplanten Wohnungsgrößen familienfreundlich sein sollten. Die Stadt sollte über die Festlegung der Anzahl von Wohneinheiten steuernd in die jeweilige Wohnungsgröße eingreifen. |
Die Grundstücksausnutzung im unteren Bereich mit 6 Wohnhäusern wird gegenüber den Nachbargrundstücken erheblich überschritten. Diese Häuser stehen zu dicht aneinander. Der Investor sollte auf die Wohnhäuser A und D verzichten, die restlichen vier in maximaler 3-Geschossbauweise errichten und zur Alten Kassler Straße hin einen breiten Grüngürtel lassen. | Da sich das Angebot der Wohnungen besonders an Senioren und Studenten richtet, sind die Fluchtwege im Brandfalle für alte Menschen nicht ausreichend. Feuerleitern sind kein Ersatz für Fluchtwege. Für Studenten, die auch Nachts arbeiten, ist die Überschreitung der Lärmbelästigung mit 15 dB nicht akzeptabel. Lärmschutzfenster sind keine Lösung, zusätzliche Lärmschutzwände gegen Bahnlärm sind erforderlich. | Es ist für eine Kommune möglich, über die Festlegung einer 'Sozialquote' regulativ einzugreifen, um zum Beispiel eine Gentrifizierung zu verhindern. Dies wird in Berlin-Mitte als bundesweit bekanntes schlechtes Beispiel praktiziert. Andere Kommunen gehen mit einer 'Sozialquote' mit gutem Beispiel voran. Der Stadt Marburg stünde es gut zu Gesicht, wenn sie sich in die 'best-practice-Beispiele' einreihen würde. |
Kommende Bauvorhaben im weiteren Umfeld könnten sich auf die hier genehmigten Höhen und Baumassen berufen. Dadurch würde dieses Stadtviertel erheblichen Schaden davontragen. | Nach einer Überplanung sollte nach den Grundsätzen der sozialgerechten Bodennutzung, wie in anderen Städten, von der rechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, einen Pflichtanteil von Sozialwohnungen mit einzuplanen. | Am Ortenberg leben viele ältere Menschen und wollen bleiben, wenn ihre jetzigen Wohnungen zu groß oder beschwerlich geworden sind. Es ist unsinnig, älteren Menschen eine neue Wohnung anzubieten, wenn sie diese nicht bezahlen können, weil fast die gesamte Rente in Anspruch genommen werden müsste. |
Damit wird sich die Bauverwaltung und die Stadtverordnetenversammlung mit dieser Vielzahl gewichtiger Argumente und Einwendungen vor Verabschiedung dieses Bebauungsplans auseinander zu setzen haben. Von Interesse wird insbesonders sein, wie SPD und GRÜNE nach ihrem neuen gemeinsamen Bekenntnis für quartiernahes seniorengerechtes Bauen mit den Anregungen umgehen werden.