Vordringende virtuelle Welten und beengte reale Räume – Zahlen, Trends und Hintergründe von der Marburger Stadtbücherei
Marburg 14.1.2013 (yb) Beachtliche Leistungen und Angebote verwirklicht die in 2012 mit Bibliothekspreis ausgezeichnete Stadtbücherei in Marburg. Zugleich ist mancher Spagat in Zeiten kulturellen Umbruchs zu Gunsten digitaler Medien und körperloser Vertriebswege zu leisten. Wie dies mit stagnierend knappen Ressourcen bei wachsenden Aufgaben und Ansprüchen gestemmt werden kann, war Thema beim Jahresgespräch in dem kommunalen Buchhaus an der Ketzerbach.
Bibliotheken als kulturelle Orte sind „zukunftsgerichtete Orte des freien Zugangs zu Informationen, Wissen und Bildung. Dabei stehen sie in einem Spannungsverhältnis als realem Ort der Begegnung mit Büchern und den virtuellen Angeboten im Netz.“ Mit diesen Worten findet sich der Jahresbericht der Marburger Stadtbücherei eingeleitet. Die Stadtbücherei Marburg habe frühzeitig begonnen, Medien in den verschiedenen Formaten zur Ausleihe zur Verfügung zu stellen, wird weiter mitgeteilt. So trifft und konkurriert das klassische Buch auf das E-Book, das Hörbuch auf das E-Audio oder die Zeitschrift auf Medien als E-Paper. „Gleichzeitig bleibt die Bibliothek ein konkreter öffentlicher und wichtiger werdender Ort, an dem sich Menschen treffen, miteinander sprechen und kompetente Beratung einholen auf der Suche nach Informationen.“ Das meint der Leiter der Stadtbücherei Jürgen Hölzer nebst Mitarbeiterteam und hat diese Aussage mit an den Anfang seines Überblicks gestellt.
Kulturdezernentin Kerstin Weinbach bestätigt dies und benennt Weiteres. „Die Stadtbücherei ist als wichtiger Baustein innerhalb der Bildungslandschaft Marburgs unerlässlich. Eine Bibliothek zum Entspannen, zum konzentrierten Arbeiten, zur Fort- und Weiterbildung mit einer guten technischen und räumlichen Ausstattung, einem aktuellem und attraktivem Medienbestand sowie ausreichendem und gut qualifiziertem Personal sind die besten Voraussetzungen, um ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden.“ Darin klingen zugleich Wünsche, nicht zu sagen Bedarfsanmeldungen an. Doch zunächst hier Zahlen, Fakten und Entwicklungen aus dem Jahresrückblick.
Die Medienausleihen vor Ort sinken – via Internet wird es mehr
Etwa 99.500 Medien aus allen Themen- und Interessengebieten, zu allermeist Bücher, werden aktuell den Besucherinnen und Besuchern der Stadtbücherei Marburg angeboten. Zugleich hat Zahl der Medienentleihungen in der Bibliothek von 476.160 Medien in 2011 auf 444.843 Medien im Jahr 2012 um 6,6 Prozent, also recht deutlich, abgenommen.
Klares und bleibendes Übergewicht bei den entliehenen Medien hat mit 61 Prozent und großem Abstand das Buch. Ihm folgen von CD – 11 Prozent, inzwischen stark nachgefragt ist das Hörbuch – 17 Prozent. Spielfilm auf DVD erreicht 6 Prozent Anteil, Zeitschriften mit 3 Prozent sowie CD-ROM und Karten mit je 1 Prozent spielen eine geringere Rolle.
Ausleihe von Digitalmedien legt zu
Seit 2009 bietet die Stadtbücherei Marburg im Onleihe-Verbund, gemeinsam mit inzwischen über 40 Bibliotheken in Hessen, ihren Kunden über das Internet Ausleihmöglichkeiten an. Dabei geht es um eBooks, Videos, Hörbücher, Musik, Sprachtrainer, Lernhilfen, Ratgeber, elektronische Zeitungen und Zeitschriften. Diese rund um die Uhr zugänglich ‚Internetzweigstelle‘ der Stadtbücherei stellt derzeit gut 39.000 elektronische Medien zum Download bereit, jeweils befristet. Die Zahl der Ausleihen über das Internet hat sich von 14.263 in 2011 um gut 100 Prozent auf 30.471 in 2012 verdoppelt. Es sind monatlich etwa 420 Marburger Bibliotheksbenutzer, die diese körperlose Möglichkeit inzwischen nutzen. Im Vorjahr war es erst 280 Personen.
100.000 Euro für Beschaffungen und 91.000 Besucher
Die Summe aller Anschaffungen, ob für Neuerwerbungen oder Ersatzanschaffungen, hat im vergangenen Jahr 100.500 Euro betragen. Darin enthalten ist die Förderung seitens des Landes in Höhe von 12.500 Euro. Fünf Prozent dieses Beschaffungsetats werden in den gemeinsamen Topf des Online-Verbunds gegeben. So steht gerade mal gut ein Euro für die auf 91.255 zurückgegangene Zahl der BesucherInnen zur Verfügung. In 2011 gab es noch 98.202 gezählte Besucher in dem Kulturhaus an der Ketzerbach. Zu diesem Zahlen kommen 10.000 bis 12.000 Kunden, die ihre Medien außerhalb der Öffnungszeiten über eine Rückgabebox zurückgeben.
Die Marburger Leseförderung wurde ausgezeichnet
Mit vielfältigen Angeboten ist die Stadtbücherei seit vielen Jahren kompetente Anbieterin von Leseförderung für Kindergärten und Schulen. Für das beispielhafte Konzept mit vielen Kooperationen erhielt die Stadtbücherei 2012 den von der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen und dem Deutschen Bibliotheksverband-Landesverband Hessen ausgelobten Hessischen Bibliothekspreis 2012. Diese Auszeichnung ist mit 10.000 Euro Preisgeld verbunden.
Zur Leseförderung 2012 gehörte eine Vielzahl erlebnisorientierter Bibliotheksaufenthalte aus Kindergärten und Schulen, und dies außerhalb der regulären Öffnungszeiten: ● 20 Kindergartengruppen sind mit 325 Teilnehmenden gekommen und aus ● 61 Schulklassen interessierten sich 1.198 Teilnehmende.
Zusätzliches Angebot – qualifizierter Zugriff auf Online-Archive
Seit kurzem haben Bibliothekskunden mit ihrem Bibliotheksausweis kostenlosen Zugriff auf Biographien, Länderinformationen, die ‚Brockhaus Enzyklopädie‘, einen Filmdienst, das ‚Kindler Literaturlexikon‘ und weitere Datenbanken des großen Informationsdienstleisters ‚Munzinger‘. Auch dieses neue Angebot funktioniert rund um die Uhr und eröffnet eine Vielzahl fundierter und zitierfähiger Informationen.
Geteilte Bilanz mit Verlusten und Zuwachs
Es ist also eine geteilte Bilanz mit Verlusten und Zugewinnen. Bei (nur) gleich bleibendem Angebot hat die Benutzerzahl ebenso wie die Zahl der körperlichen Ausleihen deutlich abgenommen. Per Online-Verbund konnten andere Nutzer gewonnen werden, wobei wachsendes Interesse sich allmählich in Zahlen niederschlägt. Das Team von Jürgen Hölzer und Cornelia Wiegand mit insgesamt gerade mal 8 Vollzeitkräften hat alle Hände voll zu tun und hatte neben der Einführung neuer Angebote zur ‚Onleihe‘, dem Arbeiten in beengten und fehlenden Räumen viele zusätzliche Angebote und Veranstaltungen im Jahr zu stemmen.
In 2013 sind allenfalls kleine Optimierungen möglich
Das Preisgeld von 10.000 Euro will die Stadtbücherei die Kinder- und Jugendbibliothek investieren. Eine neue und altersgerechte Ausstattung und Dekoration – nach gut 20 Jahren wahrlich angesagt – soll damit mitfinanziert werden. Da bleibt nur wenig für die Anschaffung fremdsprachiger Literatur und Sachliteratur für Kinder und Jugendliche. Angesichts wachsendem Interesse an ‚digitaler Multimedia‘ sollen der DVD-Filmbestand mit Filmen abseits von Mainstream ergänzt werden. Konzerte aus Musical, Rock, Blues, Jazz, Musikfilme, Hardrock/Heavy Metal, Dance stehen auf der Anschaffungsliste. Dazu soll der Filmbestand mit Theaterinszenierung, klassischem Drama, Komödie, Klassikern und Filmdokumentationen erweitert werden.
Zu wenig Fläche – Umräumen soll etwas Luft verschaffen
Der Mangel an Flächen in der Stadtbücherei führt inzwischen zu massiven Problemen. In den von Nutzern stark nachgefragten und hoch frequentierten Bereichen ‚Belletristik‘ und ‚audiovisuelle Medien‘ in der 1. Etage geht nichts mehr. Um mehr Platz für CDs, Hörbücher und Filme zu schaffen, soll die Zeitschriftenabteilung in die 2. Etage verlagert werden. Frei werdende Flächen können dann mit Regalen für die Belletristik bestückt werden. Doch mit solch arbeitsintensiven Umräumaktion lässt sich der Bestand bestenfalls für 2.000 Bücher erweitern. Zusammen mit 5.000 zusätzlichen audiovisuellen Medien soll für die nächsten Jahre gewisse Lösung der akuten Bestandsprobleme gefunden werden.
Vom Leuchtturm Stadtbücherei mit vielen Begrenzungen
Auf die Frage was denn das größte Problem sei, verweist Jürgen Hölzer auf die zu knappen Öffnungszeiten. Diese brauchen eine Ausweitung, inklusive einer Öffnung an Samstagen. Doch das sei mit der kleinen Mannschaft keinesfalls zu stemmen. So fällt seine Antwort auf die Frage nach seinem vordringlichen Wunsch eindeutig aus. Er wartet und hofft auf (zumindest) eine zusätzliche Vollzeitstelle. Für eine Fachkraft selbstverständlich. Nur damit lasse sich die Arbeit, das hohe Niveau mit wachsenden Ansprüchen, viel Beratung und der laufende Betrieb halten. Dezernentin Weinbach nickt bei dieser Aussage ihres engagierten Büchereileiters. „Der Stellenbedarf ist bekannt und bereits in Planung“ sagt sie. Doch in 2013 ist die überfällige Verstärkung noch nicht in Sicht um – wie Weinbach eingangs selbst formuliert hat – „mit ausreichendem und gut qualifiziertem Personal…ihrem Bildungsauftrag gerecht zu werden“.
Die räumliche Enge des Eckgebäudes an der Ketzerbach betrifft längst nicht alleine die Möglichkeiten zusätzliche Bücher und digitale Medien präsentieren und aufstellen zu können. Es fehlt an angemessenen Verwaltungsräumen. Eine Cafeteria sucht man vergebens. Gesonderte Arbeitsräume sind Fehlanzeige ebenso wie Gruppenräume. Ein Veranstaltungsraum für Lesungen, die für Kinder und Erwachsende regelmäßig angeboten werden, wird erst gar nicht aufgeführt, liegt in ferner Zukunft. Immerhin gebe es die „Bedarfsanerkennung für 2.000 bis 2.500 Quadratmeter Gesamtfläche vom Magistrat“ sagt Jürgen Hölzer. In ihrem mehrgeschossigen Gebäude schräg gegenüber der Elisabethkirche bringt es die Stadtbücherei gerade mal auf 1.000 Quadratmeter. Das bedeutet eine kleine, deutlich zu kleine und räumlich zergliederte Aktionsfläche für diese besondere kulturelle Einrichtung. Dabei leistet sie umtost von Ringen und Orientierungssuche zwischen alter Lesekultur und Adaption digitaler entkörperlichter Medien eine hoch anspruchsvolle Arbeit.