Eine besondere Deutschstunde in der Aula – Festakt für Grimm-Preisträger Heribert Prantl gerät zur Gala
Marburg 5.2.2013 (yb) Zur Prominenz des Preisträgers gesellte sich eloquente Exzellenz bei der Preisverleihung des Brüder Grimm-Preis an diesem 4. Februar 2013. Damit bewegte sich die älteste protestantische Universität zumindest einen Abend lang Siebenmeilenstiefel weit entfernt von kurzatmiger universitärer Betriebsamkeit, die längst Hochschul-Dasein und Denken (nicht alleine) in Marburg überformt und stranguliert. Einen würdigen Preisträger auszuwählen, ist eine Sache. Die zugehörige Preisverleihung als gehaltvolle Veranstaltung mit Geist zu erfüllen, ist eine andere. An die ebenso geistvolle wie geradezu kurzweilige Gala werden sich die rund 400 Versammelten in der ‘Guten Stube’ gerne erinnern. Das Programm bot zwei Laudatoren auf für Heribert Prantl als Träger des Brüder Grimm-Preis 2012. Der gemeinsame Vorschlag seitens Europäischer Ethnologie und Rechtswissenschaft fand damit eine Entsprechung in zweistimmiger Würdigung des Preisträgers.
Als Vertreter der aus dem Wirken der Brüder Grimm erwachsenen Disziplin ‚Volkskunde‘ – an der Philipps-Universität nunmehr zu ‚Europäischer Ethnologie‘ geweitet – oblag es Prof. Karl Braun Wirkungszusammenhänge zwischen den Namensgebern des Preises und dem aktuellen Preisträger aufzuzeigen.
Zum Bereich der Märchen gab er den Verweis, dass „die Märchen der Brüder Grimm im 200. Jubiläumsjahr in einem unerhörten Maße wachgeküsst“ worden seien: „Sie sind zur Marke geworden, ‚Grimm‘ ist zu einem nachhaltigen Branding aufgestiegen, das in vielfacher Wertigkeit nicht nur für die vier hessischen Grimmstädte und für das Land Hessen insgesamt Verwendung und Verwertung findet.“ Ein touristisch märchenseliges Jubiläumsjahr hat Publikum 2012 in Marburg zur Genüge erleben können.
So lag eine grimmige Wendung des Laudators auf der Hand. Der berufliche Werdegang von Prantl zunächst als Jurist im Amt von Richter und Staatsanwalt und sein daran anschließendes, inzwischen 25jähriges Wirken als politischer Journalist sollten Vergegenwärtigung finden. Der Verweis auf die Göttinger Sieben, zu denen die Grimms gehörten, machte deren unbedingten Einsatz bei der “Einforderung von Rechten der Bürger der deutschen Staaten“ als Beitrag „in die politische Kultur des Vormärz“ anschaulich.
Als Felder des Journalisten und Essayisten Prantl in der politischen Kultur heutiger Zeit vergegenwärtigte Prof. Braun die „Unwillig- bzw. Unfähigkeit, die Bundesrepublik als Einwanderungsland zu begreifen… ausgetragen auf dem Rücken der Asylsuchenden“, bis hin „zur ‚Kastrierung‘ des Asylrechts.“ Wen interessiere oder betroffen mache, „dass sich in einem reichen Land die Schere zwischen reich und arm immer weiter öffnet und auch regelmäßiges Schuften immer öfter keinen ausreichenden Lebensunterhalt garantiert, wer entsetzt ist, wie verantwortungslos herbeigeführte Finanzkrisen das Gemeinwohl gefährden oder wie kurzsichtige, parteipolitisch motivierte Interessen oder autoritäre Neigungen den erreichten Stand an demokratischer Kultur gefährden“, werde bei Prantl fündig und finde „Unterstützung und wohldurchdachte Argumentationslinien.“
Für den zweiten Laudator, den Juristen Dr. Peter Becker, selbst Stifter eines Friedenspreises in Marburg, ist Preisträger Prantl ein Vertreter der seltenen „Spezies Verfassungspatriot“. Für die Lektüre seiner Beiträge gelte „man lernt sehr viel in sehr kurzer Zeit, das noch dazu in heiteren Darreichungen und mit wunderbar passenden Bildern.“ Dies veranschaulichte Becker in eine ganzen Reihe von Beiträgen aus Prantls Feder. Darunter eine Betrachtung zum 150-jährigen Jubiläum der Paulskirchen Verfassung, die als Würdigung des Jubiläums verknüpft war mit dem Aufzeigen von Parallelen zur Entwicklung der Europäischen Union.
Ob die unterbliebene Volksabstimmung zum Einigungsprozess Deutschlands, die „nicht mehr auf dem Boden des geschriebenen Grundgesetzes“ beschlossenen Auslandseinsätze der Bundeswehr, Lauschangriff oder das gegen Widerstände mühsam gewordene Staatsziel ‚Umweltschutz‘ als Artikel 20a des Grundgesetzes, Laudator Becker gab Einblick in die Bandbreite kritischer Einordnungen und Kommentierungen bundesdeutscher Politik durch den Preisträger. So war es folgerichtig, dass er als bekennender Prantl-Fan – um die „begeisternd formulierten Erkenntnisse weiterzuverbreiten“ – den Wunsch nach einem ‚Verfassungslesebuch‘ artikulierte, in dem die „interessantesten und lehrreichsten Kapitel mit Kommentaren zusammengefasst sind.“
Die Brüder Grimm, meine Großmutter und die Kraft der Provinz
Mit dem weit gefächerten Werk der Brüder Grimm und ihrer anhaltenden Wirkmächtigkeit setzte sich Heribert Prantl in seiner Dankesrede auseinander. Leidenschaftlich verwahrte er sich gegen zurückliegende und aktuelle Einstellungen „die Grimms als Märchenonkel der Nation in einer biedermeierlichen Gelehrtenidylle zu verorten.“ Man habe „die Grimms romantisch verniedlicht, man hat sie entpolitisiert, verbiedermeiert, man hat sie zu weltfremden Stubengelehrten gemacht.“ Solche Einschätzung im Rückblick muss zugleich als Appell begriffen werden, wenn in Kassel etwa eine ‚Grimm-Erlebniswelt‘ zur kommenden Errungenschaft gebaut werden soll.
Als Jurist und Journalist konstatierte er die ungeheure „Wirkungsgeschichte des Bürgermuts der Göttinger Sieben in ihrer Zeit“. Damit war angelegt, was aus den Beratungen der Frankfurter Paulskirche überliefert ist. „Jacob Grimms Vorschlag zu den Grundrechten in der Paulskirchenverfassung: >>Alle Deutschen sind frei, und deutscher Boden duldet keine Knechtschaft. Fremde Unfreie, die auf ihm verweilen, macht er frei.<< Wäre dieser Antrag, weil er der Mehrheit zu radikal war, nicht mit 192 gegen 205 Stimmen verworfen worden, und stünde dieser Satz auch noch heute so im Grundgesetz – es hätte in der Bundesrepublik keine so schändliche Ausländer- und Asylpolitik betrieben werden können, wie sie betrieben worden ist und wie sie die EU immer noch betreibt.“
Solch ungetrübte und aufrüttelnde Einschätzung von Prantl gründet sich auf „Engagement, Sachverstand, breitem Wissen und Wissensdurst für die Gestaltung der politischen Kultur im Sinne demokratisch verfasster Grundsätze“, wie es die beiden Laudatoren zuvor aufgezeigt hatten. Mehr braucht es nicht – aber auch nicht weniger.
Den zahlreich anwesenden Hörern dieser außerordentlichen Deutschstunde im Rahmen der Grimm-Preisverleihung an Heribert Prantl und der viel größeren allgemeinen Öffentlichkeit sollte das Vorgetragene bald in gedruckter Form angeboten werden. Es wäre grobe Unterlassung die Vergegenwärtigungen und Gedanken dieses Abend alleine der Flüchtigkeit der Feierstunde und Lektüremöglichkeit via Download zu überlassen. Fotografien von Hartwig Bambey
—>Gespräch mit Heribert Prantl über Journalismus in Zeiten des Internet