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Großbaustelle Wohnraum in Marburg – Was, warum und wieviel fehlt

dbax0822_0442-Montage_BevoekerungsentwicklungMarburg 7.3.2013 (yb) „Der nächste Herbst wird nicht zu stemmen sein“ sagte die Vertreterin der Gemeinnützigen Wohnbau Hessen in Marburg (GWH), Karin Stemmer, bei der Veranstaltung am 25. Februar (Runder Tisch Wohnungsproblem). Sie bezog sich dabei auf die vorherige Aussage des Unikanzlers, der weitere 1.000 zusätzliche Studierende an der Philipps-Universität für das kommende Wintersemester angekündigt hatte. Das war gegen Ende der Gründungsversammlung Runder Tisch ‚Preiswerter Wohnraum‘, wie das neue Gremium benannt ist. Uwe Grebe als Geschäftsführer des Studentenwerks Marburg hatte schon vorher deutlich gewachsenen Bedarf vor Augen geführt. Mit einer von 18.000 auf 23.000 gestiegenen Zahl der Studierenden sei selbstverständlich die entsprechende Nachfrage nach studentischem Wohnraum gestiegen. Nicht ‚angehoben‘, sprich gebaut worden, sei jedoch die Zahl der Wohnungen, Zimmer und Appartements, die das Studentenwerk anbiete. Die ist mit 2.100 konstant geblieben und wird sich mit (begonnenen) baulichen Maßnahmen auf Sicht in 2013/2014 nicht ändern lassen.

Mit Blick auf den kommenden Herbst sagte Grebe: „Wie es genau wird, wissen wir nicht, wir werden sehen, wie wir überrollt werden“. Mit engen Notquartieren und Improvisation wird in der Universitätsstadt Marburg seit Jahren hantiert, bis, so Grebe, die Suche bis Weihnachten „dann aus der Stadt heraus diffundiert ist“, sprich sich irgendwie in das nahe oder weite Umland, bevorzugt Orte mit Bahnanbindung, verteilt hat. Damit ist eine – zudem besonders dynamische – Seite der längst kritischen Wohnungslage und Wohnungsfrage in Marburg umrissen worden. Wichtig dabei, diese hohen Zahlen Studierender bleibt längerfristig, ist kein ‚Peak‘ sondern ein ‚Sattel‘.

Anfang Januar 2013 in das Marburger. veröffentlicht, und wenige Tage vor der Veranstaltung in der ‚Oberhessischen‘ als Zahlenübersicht ebenfalls veröffentlicht, und damit allgemein bekannt ist, dass ––> Marburg in den letzten Jahren deutliche Einwohnerverluste hinnehmen muss(te). In Marburg gibt es inzwischen gut 2.000 EinwohnerInnen weniger – obwohl die Universität mehrere Tausend Studierende mehr aufweist, die Universitätsstadt also wächst. Damit ist das Wohnungsproblem in ein Verhältnis zur (Wohn-)Bevölkerung gesetzt. Nun soll eine Untersuchung (InWis Wohnungsmarktanalyse Stadt Marburg) in Auftrag gegeben werden, wozu vom Runden Tisch Anregungen und Vorschläge noch kommen können.

Übersichtliche und durchgearbeitete Statistiken und Zahlenerhebungen habe die Stadt nicht, hatte der Oberbürgermeister den im Sitzungssaal der Stadtverordneten Versammelten zum Runden Tisch einführend mitgeteilt. Ein städtischer Sozialbericht sei in Arbeit und werde im Mai fertiggestellt, womit dann systematische Datenerhebungen und Auswertungen vorliegen sollen.

Von der Suche nach Zahlen und Fakten

Sozialwohnungssuchende Haushalte MR 2011+2012Die Zahlen zu Wohnungssuchenden, die Oberbürgermeister Egon Vaupel am Abend vorlegen wollte, sind also unvollständig und zudem unübersichtlich. Das ist Teil des Problems. Gleichwohl stellte der OB eine Zusammenfassung ‚Sozialwohnungssuchende Haushalte‘ vor. Die gezeigte Statistik mit Untergliederung in viele Gruppen, zeigt eine deutliche Zunahme von 2011 zu 2012. Es verbergen sich darin kaum Wohnungslose und, wie Vaupel erläuterte, viele Bewohner in einer ‚Sozialwohnung‘ mit Veränderungswünschen. Aus den Erhebungen der städtischen Sozialverwaltung zusammengesetzt, findet sich eine Zunahme von 851 auf 950 Wohnungssuchende, mithin um mehr als 10 Prozent, erfasst. Bezugsgröße ist jedoch die Zahl der Haushalte, was also keine Aussage über die Anzahl der Personen macht.
Weiterhin gibt es bei der Sadt Zahlen zu fehlenden Wohnungen für Menschen mit Handicaps, wie Rollstuhlfahrer, in einer Größenordnung von 140 Wohnungen.

Für die Geschäftsführung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GeWoBau brachte Matthias Knoche einige Zahlen. 2.600 Wohnungen gehören zu deren Bestand, womit sie größter Anbieter in Marburg ist. Die Durchschnittsmiete betrage 4,83 Euro, sagte Knoche. Dabei wirke Ihr Wohnungsbestand preislich als Korrektiv auf dem Wohnungsmarkt. Er sprach von einem „Buckel“ bei mittleren Wohnungsgrößen und dass die Miethöhe bei zwei Drittel der Wohnungen angemessen sei. Für die GeWoBau würde gelten, dass es keinen Unterschied zu ‚Sozialwohnungen‘ geben würde. Befragt zur aktuellen Nachfrage, Zahlenauswertungen, kam nichts Konkretes vom Vertreter der GeWoBau, aber der Hinweis, dass es sich inzwischen „um ein schnelles Geschäft“ handele.

Er ärgere sich über die bislang vorgetragen Zahlen, sagte Wolfgang Schuch vom ‚Mietshäuser Syndikat‘ mit einiger Ungeduld. In seinen Augen handele es sich bei den Zahlen Wohnungssuchender „nur um einen Bruchteil“, es würde in Marburg viel mehr Wohnungssuchende geben. Damit war der Austausch im großen Saal in Gang gesetzt, es ging zur Sache, Publikumsgespräch.

Kalt oder warm – die Gesamtmiete zählt

Karin Ackermann-Feulner, für die ‚Bürgerinitiative für Soziale Fragen‘ (BSF) vom Richtsberg, brachte die Mietbetrachtung als erste auf den Punkt. Kaltmiete oder Warmmiete, sei doch die Frage. Die Höhe der Gesamtmiete sei wichtig zu betrachten und sei für Bezieher von Unterstützungsleistungen längst davon gelaufen. Sie verwies auf ‚Fälle‘, wo Hartz-IV-Bezieher aus ihrem Anteil für Essen die Wohnkosten mitbestreiten müssten. Für den Richtsberg und viele der dort lebenden Menschen sieht die Sozialarbeiterin großen und ungedeckten Bedarf nach preiswertem Wohnraum.

Bernd Gökeler als Sprecher der MS-Selbsthilfegruppe im Landkreis veranschaulichte die deutlichen Probleme wohnungssuchender Behinderter, wie etwa Rollstuhlfahrer. Wohnungsbau müsse deren Bedürfnisse aufgreifen, also deutlich mehr barrierefreien Wohnraum schaffen. Die demographische Entwicklung verstärke doch diesen Bedarf zugleich – auch in Marburg. Es müsse für den deutlich wachsenden Anteil Älterer viel mehr anders ausgelegten Wohnungen geben, also barrierefrei, nicht zuletzt im Zeitalter der Inklusion.

Für die Lokalen Agendagruppen machte Gerhard Haberle den Vorschlag als Steuerungsinstrument eine Sozialquote / Belegungsquote für Privatinvestoren einzuführen. In anderen Städten, wie Offenbach und Frankfurt, sei dies längst ein Instrument (wie im Baugesetz vorgesehen) und werde erfolgreich angewendet.
Damit war die Bezahlbarkeit für Bezieher geringer Einkommen (Sozialwohnungen, Sozialer Wohnungsbau – Preiswerter Wohnraum) wieder auf dem Tisch.

Haberle verwies außerdem auf die sehr knappen freien Flächen in der Kernstadt, weshalb das zum Verkauf kommende Gelände von ‚Vitos‘ in der Cappeler Straße an Wohnungsbaugesellschaften gehen müsse.
Man sei hier bereits im Gespräch, kam dazu als Aussage von OB Vaupel.

Bedarfe oder Bedürfnisse ?

Fragen nach der Anzahl der Berechtigten für Sozialwohnungen in Marburg konnten nicht beantwortet werden. Man müsse dazu auffordern Berechtigungsscheine beim Wohnungsamt zu beantragen, kam als Vorschlag, damit sichtbar und zählbar werde, wie viele Wohnungssuchende mit geringem Einkommen es in Marburg gibt.

Schließlich kam aus dem Publikum die Frage, warum es denn (bei der InWis-Studie) um eine Wohnungsmarktanalyse gehen solle. Hinter dem ‚Markt‘ (ökonomisch) seien doch die Menschen (sozial) wichtig und als solche wahrzunehmen. Es sei zu fragen „was wollen Menschen?“ und brauche einen besseren Begriff (meint Zielstellung für die Untersuchung).

Haus-5Mit Verweis auf das schriftliche Protokoll mit allen Anregungen, Fragen und Hinweisen und den nächsten Termin im II. Quartal hat OB Vaupel als Moderator den Abend nach gut zwei Stunden beendet. Das Protokoll ist inzwischen geschrieben, ist sechs Seiten lang. Es soll an alle Teilnehmenden versendet werden.
♦ In den Tagen danach sind bereits weitere Gespräche geführt worden.
◆ So gibt es den Vorschlag zur Beauftragung einer umfassenden Untersuchung durch eine Sozialgeografin der Philipps-Universität.
◆Bei Verbänden und Selbshilfegruppen finden Beratungen statt.
Das Wohnungsproblem bleibt auf der Agenda der Universitätsstadt Marburg, aktuell am Ortenberg (Gelände Alte Gärtnerei), wo es erneut um ‚Betongold‘ zu gehen droht.

Wie  nachhaltig dieser Abend und der —>neue Runde Tisch als sozialpolitische Wendemarke zur Wirkung kommen werden, hängt von vielen Faktoren und von beharrlichem Dranbleiben ab. Dabei lassen sich deutliche Defizite, längerfristige Fehlentwicklungen und Versäumnisse in Marburg ebenso wenig kaschieren und übergehen wie in anderen Städten. Dazu kommt die problematische Einkommensentwicklung. Das zeigt brandaktuell die Diskussion um den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung.
Eine nachhaltige sozialorientierte Wohnungsversorgung sollte zur Großbaustelle werden in der Universitätsstadt. Der Runde Tisch kann dafür Forum und Katalysator werden.

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