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Tag der Roma am 8. April – Experte plädiert für mobile Gesellschaft

Marburg 10.4.2013 (pm) Am 8. April wurde weltweit der offizielle „Tag der Roma“ begangen. Vor 43 Jahren fand in London der erste Welt-Roma-Kongress statt, bei dem sich Roma-Vertreter aus 25 Ländern trafen. Von diesem Tag an begann man diskriminierende Fremdbezeichnungen mit der Selbstbezeichnung „Roma“ zu ersetzen.

Trotzdem ist das Bild, was von den verschiedenen Roma-Gruppen gezeichnet wird, meist einheitlich. Über kaum ein Thema wird so breit und doch stereotyp diskutiert wie über die sogenannten „Armutszuwanderer“ aus Rumänien und Bulgarien, aus Teilen Serbiens, Mazedoniens und dem Kosovo. „Die Roma im allgemeinen aber gibt es nicht“, sagt Dr. Olaf Günther. Er ist Tsiganologe, lehrt am Lehrstuhl für Ethnologie an der Universität Leipzig und betont die oft vergessene Vielfalt dieser ethnischen Gruppe.

Das einzig verbindende Element zwischen allen Roma-Gruppen ist ihre Sprache: Romanes. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich alle Romanes-Sprechenden untereinander verstehen.
Sie sind stark von Sprache und Kultur der Nationalstaaten geprägt, in denen sie leben. Auch in Religion und Politik teilen sie sich häufig mit ihrer Umgebungsbevölkerung. Auf dem Balkan leben Roma mit Islam und Katholizismus in Koexistenz und Konkurrenz. Homogenität finden die verschiedenen Roma-Gruppen über ihre Zugehörigkeit zur größten ethnische Minderheit. Schätzungsweise leben rund eine Million Sinti und Roma in Europa, der weitaus größte Anteil in Südosteuropa, auf dem ehemaligen Staatsgebiet des osmanischen Reiches.

Der 8. April ist für die Roma wie der 8. März für die Frauen – ein Kampftag. Denn die Roma haben wie viele andere ethnische Minderheiten im Laufe der Geschichte viel Repression erfahren. Die stärkste Erfahrung war die systematische Vernichtung der europäischen Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten im dritten Reich. Damals fielen rund eine halbe Million Menschen dem Völkermord zum Opfer. Seitdem gab es starke Bestrebungen nach einer Roma-Union. Heute sind Roma-Sprecher in vielen wichtigen politischen Institutionen wie der Europäischen Kommission in Straßburg, im Europäischen Parlament in Brüssel aber auch in der Uno vertreten.

„Der Roma-Tag ist eine gute Gelegenheit, um miteinander ins Gespräch zu kommen“, sagt Dr. Olaf Günther. Viel Redebedarf gibt es vor allem in Tschechien, der Slowakei und in Osteuropa. „Es geht darum, den Vertretern der Gruppen zuzuhören, um zu verstehen, wo die Probleme liegen. Dann würde man den Menschen den Platz einräumen, der ihnen in Europa seit Jahren gewährt werden sollte“, fügt Günther hinzu. Das gegenseitige Verstehen sei ein langsamer Prozess.

„Die Situation Roma in Europa ist sehr heterogen“«, sagt Dr. Olaf Günther. „Da müsste man fast jede Stadt einzeln untersuchen.“ In Leipzig zum Beispiel seien die im Stadtteil Volkmarsdorf ansässigen wenigen hundert Roma gut integriert. Während also in Deutschland, England und Frankreich unkomplizierte Verhältnisse herrschen, werden die Roma in Rumänien oder in bestimmten Arbeiterquartieren in Tschechien und der Slowakei teilweise stark diskriminiert. „Den Roma-Gruppen geht es immer so gut wie der Umgebungsbevölkerung“, sagt Olaf Günther. Nur wenn in der Mehrheitsgesellschaft so viel Geld im Umlauf ist, dass sie Dienstleistungen in Anspruch nehmen kann, sind die Voraussetzungen für eine Integration gegeben. Deshalb gibt es mehr Sinti-Gruppen in Westdeutschland als in den neuen Bundesländern. „Integration kann nur auf lokaler Ebene stattfinden“, erklärt Günther.

Ab 2014 könnte die Migration innerhalb von Europa weiter zunehmen, weil dann für die EU-Länder Bulgarien und Rumänien die volle Freizügigkeit auf dem EU-Arbeitsmarkt gilt. Wird sich die Situation der Roma in diesen Ländern nicht verbessern, werden mehr Roma nach Deutschland kommen.
„Unter Politikern herrscht große Angst vor zu viel Zuwanderung aus dem Osten. Dabei kommen die Roma nur, wenn es Arbeit gibt und sie gehen wenn sie müssen auch wieder zurück“, sagt der Experte. Er plädiert für eine Öffnung Europas hin zu einer mobilen Gesellschaft und für den Wegfall von Passgrenzen und letztlich für eine Gesellschaft, die nicht wie in den letzten 400 Jahren Mobilität verfolgt, sondern Mobilität zulässt und fördert.

Dr. Olaf Günther studierte der Mittelasienwissenschaften, Geschichte und Gesellschaft Südasiens, Islamwissenschaften und europäische Geschichte. Seine Magisterarbeit schrieb er zum Thema „Die darstellenden Künste und tamosho (Spektakel) in Turkistan, Gaukler, Theater und Kinokultur im Wandel – eine Darstellung von vorkolonialer Zeit bis zum Ende des Bürgerkrieges 1922“.

(Text Claudia Euen)

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