Von der Rückkehr der fünf ‚Tugenden‘ nach Marburg
Marburg 3.6.2013 (red) Kulturleistung und künstlerische Schöpfungen sind mitunter nicht alleine wegen ihrer Einzigartigkeit und künstlerischen Gestalt zu bewerten. Die Werken innewohnende Geschichte – gewissermaßen ihrer Werdegang – können wesentlich dazu beitragen, der Wahrnehmung solcher Werke größere Aufmerksamkeit und Bedeutung zukommen zu lassen. In Marburg ist jetzt im Zusammenwirken vieler Personen und Institutionen ein dergestalt bemerkenswertes Kunst-Werk gestaltet und rekonstruiert werden. Direkt an der Elisabethkirche erwartet und beeindruckt der zugleich neu gepflasterte und gefasste Firmaneiplatz mit fünf beeindruckenden Zeugnissen der Bildhauerkunst. Es ist gerade nicht ‚Weltkultur‘ – viel mehr und viel besser vereint originäres Kunst- und Kulturschaffen Charisma, Aura und Anziehung.
Als der Landkomtur des Deutschen Ordens, Damian Hugo von Schönborn 1718 den Auftrag für fünf Sandstein- Tugendfiguren für seinen Barockgarten – dem heutigen Alten Botanischen Garten – an den Bildhauer Johann Friedrich Sommer vergab, hatte er sehr genaue Vorstellungen von deren Aussehen. Glaube, Liebe, Hoffnung, Mäßigkeit und Gerechtigkeit in Gestalt von Frauenfiguren sollten seinen Garten schmücken. Vielerlei Anweisungen zur Ausführung lassen sich dem im Staatsarchiv befindlichen Schriftwechsel zwischen Auftraggeber und Bildhauer entnehmen. Es werden nicht nur genaue Angaben zum Aussehen und den Attributen der Figuren gemacht, sondern es findet sich auch die Aufforderung an den Bildhauer, von allen Seiten sehr sorgfältig zu arbeiten, falls es mal zu einer Umstellung der Figuren kommen sollte.
Dass es zu dieser Umstellung und Neuaufstellung seiner Tugendfiguren am 28. Mai 2013 – beinahe dreihundert Jahre später – kommen würde, konnte er damals nicht ahnen. An diesem Tag kehrten sie, begleitet von einem feierlichen Festakt, zurück auf das ehemalige Gelände des Deutschen Ordens, dem heutigen Firmaneiplatz, nahe der Elisabethkirche.
Wechselvolles Schicksal der Figuren
Mit diesem großen Auftrag wollte Damian Hugo von Schönborn seinen 1701 eingenommenen Amtssitz in Marburg etwas modernisieren. Sommer hatte seit 1705 eine eigene Werkstatt in Marburg und sein Können vielfach unter Beweis gestellt. Gärten mit Tugendfiguren auszuschmücken hatte bereits eine lange Tradition, ebenso, dass Tugenden von Frauenfiguren mit bestimmten Attributen versinnbildlicht werden. Und da Schönborn einer sehr kunstsinnigen Familie entstammte, die prächtige Schlösser und Parkanlagen besaßen, wundert es nicht, dass er sehr genaue Vorstellungen für seine Gartenfiguren hatte. Immer wieder betont Schönborn im Schriftwechsel, der Bildhauer möge sich doch genau an die ihm vorgezeigten Entwurfsvorlagen halten. Hierbei handelt es sich – wie die Marburger Kunsthistorikerin Dr. Catharina Graepler erstmalig aufzeigen konnte – um Kupferstichvorlagen des berühmten niederländischen Künstlers Hendrick Goltzius.
Für seinen Barockgarten wählte Schönborn die Darstellung der drei theologischen Tugenden Liebe, Glaube und Hoffnung und zwei der vier Kardinaltugenden, die Gerechtigkeit und Mäßigkeit. Unberücksichtigt blieben die ‚Weisheit‘ und ‚Tapferkeit‘. Diese Auswahl schien ihm, als Mann der Kirche und überwiegend mit diplomatischen Aufgaben betraut, wohl die angemessene. J.F. Sommer griff die Bildideen der hundert Jahre früher entstandenen graphischen Vorlagen auf und schuf mit großem Können eigenständige, vollplastische Figuren daraus. Details der variierenden Gewandung, der Haartracht und des Kopfschmucks, die Ausrichtung von Stand- und Spielbein, bis hin zu den Attributen zeigen unverwechselbare Übereinstimmungen mit der Vorlage nach Goltzius.
Nach dem Tod des Schönborns 1743 verlor der Garten an Interesse, die Figuren wechselten den Standort, um schließlich, mit Auflösung des Deutschen Ordens 1809, verkauft zu werden. Nach mehrfachem Eigentümerwechsel kamen sie in den Besitz der Familie von Knoblauch zu Hatzbach, die nun die Figuren nach 150 Jahren der Stadt Marburg als Dauerleihgabe zu Verfügung stellt.
Dieser Rückholaktion vorausgegangen war eine Initiative des Landesamt für Denkmalpflege, der Stadt Marburg und des, extra hierfür gegründeten, Vereins ‚Barock in Marburg e.V.‘ unter Vorsitz von Dr. Margret Lemberg. Nach eingehender Restaurierung und der Herstellung von Abgüssen für Hatzbach, bereichert die Aufstellung der barocken Figuren die Stadt um eine kunsthistorische Attraktion.
Die Kunsthistorikerin Dr. Catherina Gräpler hat die gut illustrierte Schrift ‚Die Rückkehr der ‚Tugenden‘ nach Marburg – Die Barockstatuen des Deutschen Ordens und ihre graphischen Vorbilder‘ veröffentlicht, soeben erschienen im Chronicon-Verlag. ISBN 978-3-944213-00-2. Erhältlich im Buchhandel, Ladenpreis 7,95 Euro. —>Vorstellung der Broschüre
Hintergrundinformationen:
Die Originale der Barockfiguren werden auf der Grundlage eines Dauerleihvertrages von der Familie von Knoblauch zu Hatzbach zur Verfügung gestellt. Der Vertrag wurde am 21.12.2010 abgeschlossen. Von den Originalen wurden Abgüsse angefertigt, die zu 2/3 der Stadt Marburg und zu 1/3 der Stadt Stadtallendorf gehören und inzwischen in Hatzbach von der Stadt Stadtallendorf aufgestellt worden sind. Die Kosten teilen sich auf:
- Gesamtkosten 175.000 Euro
- Kostenanteil Abgüsse 95.000 Euro
- Spenden 96.000 Euro
- Anteil Stadt Stadtallendorf 37.200 Euro
- Anteil Stadt Marburg 41.800 Euro
Die Spenden in einem Umfang von 96.000 Euro stammen im Wesentlichen von Bürgern, Institutionen und Unternehmen aus Marburg. Die Universitätsstadt Marburg ist dankbar für das hervorragende Engagement des Vereins „Barock in Marburg e. V.“ sowie der zahlreichen Spender.
Projektbeteiligte sind:
Restaurierung & Abgussherstellung: Fa. Schaper, Alsfeld
Herstellung der Sandsteinplatten: Fa. Trautmann, Marburg
Beleuchtung der Figuren: Stadtwerke Marburg
Planung der Aufstellung und der Platzanlage: Fa. scape, Düsseldorf
Pflasterarbeiten für die Platzanlage: Fa. Bernshausen Bau, Bad Laasphe
Archäologische Arbeiten: Landesamt für Denkmalpflege
Projektorganisation: Verein Barock in Marburg e. V., Landesamt für Denkmalpflege, Fachbereich Planen, Bauen, Umwelt der Universitätsstadt Marburg