Deutschlands Freiheit wird jetzt in Subsahara-Afrika verteidigt
von Johannes Maria Becker
140206 Überraschend schnell hat die neue Große Koalition militärpolitisch Fahrt aufgenommen. Außenminister Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) überbieten sich mit Ankündigungen militärischer Aktivitäten in Mali und Zentralafrika. Hatte die Bundesregierung sich im Jahre 2011 noch weise aus dem Bombardement gegen Libyen herausgehalten – Außenminister Westerwelle steckte hierfür viel Schelte ein –, so wird nun vermutlich zum einen das deutsche Kontingent in Mali aufgestockt (Ausbildung der malischen Armee durch die Bundeswehr), zum andern wabern gar verschiedenste Überlegungen durch die Nachrichten, die Deutsch-Französische Brigade könnte in Mali oder sogar in Zentralafrika zum Einsatz kommen.
Wo liegen die Triebkräfte der zu beobachtenden Entwicklung? Frankreichs Interessenlage ist eindeutig. Im Nachbarland Malis, im Niger, wird etwa die Hälfte des in Frankreich für die zahlreichen AKWs und die Force de frappe benötigten Urans gefördert. Öl- und Gasfunde (unter anderem in Mali selbst) werden durch Goldreserven und weitere seltene Rohstoffe ergänzt. Politische Instabilitäten, sei es durch Putsche oder das Vordringen islamistischer Kräfte, stören hier Frankreichs Interessen empfindlich. (Dass die Destabilisierung Malis wesentlich mit dem von Frankreich vorangetriebenen Krieg gegen Libyen zusammenhängt, wird in Paris allerdings selten problematisiert.) In der Republik Zentralafrika geht es für Frankreich um seinen neokolonialen Einfluss generell. Paris hat nach wie vor mit einer Vielzahl der schwarzafrikanischen Staaten Verträge der verschiedensten Art, militärische wie auch ökonomische und kulturpolitische. Hier einer anderen Macht Raum zu geben, ob sie nun USA oder VRChina heißt, würde u.U. den Beginn des Zusammenbruchs eines sorgsam und kostspielig gepflegten Einfluss-Geflechts bedeuten.
Die deutschen Interessen an Mali und Zentralafrika sind schwerer zu durchschauen. Auch Berlin ist daran interessiert, dass Afrika mit seinen nach wie vor ungeheuren Bodenschätzen, Einflussgebiet der EU und damit seiner mit Abstand stärksten Wirtschaftsmacht bleibt – was konkrete deutsche Interessen an Öl, Gas, Gold etc. natürlich einschließt. Ein zweites Interesse könnte in der Erkenntnis liegen, dass Frankreichs Ökonomie in einem problematischen Zustand ist. Der französische Anteil an der weltweiten industriellen Produktion und am Welthandel ist im freien Fall. Auslandseinsätze, militärische Interventionen sind kostspielig, der Beinahe-Erstickungstod der USA an Afghanistan und am Irak ist noch frisch im Gedächtnis. Ein Scheitern Frankreichs in Afrika liegt nicht im Interesse Berlins. Dass die Beschleunigung der deutschen Kooperationsangebote militärischer Art an Frankreich unmittelbar auf den neoliberalen Schwenk Präsident Hollandes in der Wirtschafts- und Sozialpolitik folgt, mag dabei ein historischer Zufall sein – sie fällt gleichwohl ins Auge.
Zum dritten agiert Berlin natürlich im Geflecht der europäischen Migrationsabwehr. Und da ist eine weitere Destabilisierung Malis kontraproduktiv. Die Grenzen sollen von zumindest halbwegs intakten Staaten wie eben Mali oder auch Libyen selbst dicht gehalten werden. Schließlich liegt Mali in etwa im Radius des Hindukusch – und da passt das Waffenrasseln in Berlin vorzüglich ins imperiale Nach-Wende-Gehabe.
Dass diese Politik der Großen Koalition nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, muss an dieser Stelle nicht erwähnt werden. Dass es darüber hinaus dem im Zuge der Libyen-Krieg-Zurückhaltung gerade zaghaft aufgebauten Vertrauen innerhalb der EUROMED-Politik1 gegenüber Deutschland zuwider läuft, sollte indes (systemimmanent) bei den Beraterinnen und Beratern der Merkel, Steinmeier und von der Leyen ernsthaft bedacht werden.
Am Rande interessant ist der Umstand, dass gerade eine sozialdemokratische Regierungsbeteiligung ein Katalysator für deutsche Kriegseinsätze zu sein scheint. Dies begann 1998/99 mit der Teilnahme der Schröder-Fischer-Regierung an der völkerrechtswidrigen Bombardierung Jugoslawiens; das setzte sich 2001 fort mit der fatalen „uneingeschränkten Solidarität Deutschlands mit den USA“ und dem Eintritt in den Afghanistan-Krieg. Und jetzt, nach der zurückhaltenden Politik um die Irak- und Libyen-Kriege, ist wieder ein Sozialdemokrat im Außenministerium tätig und es entsteht der Eindruck – wie die Süddeutsche und taz (22.01.14) schreiben – „Steinmeier treibe von der Leyen vor sich her“.
Anmerkungen
1.) EUROMED ist der Versuch der EU, ihren Einfluss auf den mediterranen Raum zu stärken.
PD Dr. Johannes Maria Becker ist Geschäftsführer des Zentrums für Konfliktforschung an der Universität marburg und Vorsitzender von Wissenschaft und Frieden e.V.
Dieser Beitrag ist zuerst in der interdisziplinären Wissenschaftszeitschrift für Friedensforschung, Friedenspolitik und Friedensbewegung „Wissenschaft & Frieden“ veröffentlicht worden.