Ratlos im Rathaus – Rot-Grün in Marburg ohne Perspektiven
140326 (yb) Es würde wohl zu weit gehen, wenn man in Marburg bereits eine Umorientierung in der Stadtpolitik und im Ausgabeverhalten konstatieren wollte. Bevorstehende Zeiten sinkender Zahlen auf der Einnahmeseite wurden von meisten Sprechern am 25. März in der diesbezüglichen Debatte als Szenario zu Grunde gelegt. Das sind nur Prognosen. Auch wenn zutrifft, dass die Landeszuweisungen absehbar nach unten gehen werden. In der Debatte um den von Vaupel vorgeschlagenen Doppeletat 2015/2016 wurden Einsparungen auf der Ausgabenseite als einzige Möglichkeit für einen zukünftig ausgeglichenen Haushalt ins Feld geführt. Dabei ist vernachlässigt, dass es Gestaltungsmöglichkeiten auf der Einnahmenseite gibt. So schlägt die Marburger Linke seit mehreren Jahren einen höheren Hebesatz bei der Gewerbesteuer vor. Dieser wurde 2008 auf im Vergleich niedrige 375 Prozent abgesenkt. Bislang hat Oberbürgermeister Vaupel sich strikt dagegen ausgesprochen an dieser Stellschraube zu drehen. Ob die Stadt Marburg das durchhalten kann, bleibt abzuwarten. So wurden aktuell bereits Gebühren und die Eintrittspreise im Aquamar erhöht. Derzeit ist alleine absehbar, dass die von der Rot-Grünen Parlamentsmehrheit mitgetragene Maßnahme Doppelhaushalt 2015/2016 den Wahlkampf entpolitisieren wird, indem die Haushaltsdebatten zum Jahreswechsel 2014/15 und damit in das weite Vorfeld vorverlegt werden. Diese haushaltspolitische Volte wirft mehr als ein Schlaglicht auf die in die Jahre gekommene immer ratloser und und kraftloser gewordene Rot-Grüne Mehrheit in Marburg.
Es ist ruhig geworden in der seit 17 Jahren wirkenden Parlamentsmehrheit mit Rot-Grüner Kommunalpolitik in Marburg. Sicher gibt es klar positive Ergebnisse, etwa in der Sozialpolitik oder im Bereich frühkindlicher Erziehung. Zugleich fehlt es an Ideen und Vorhaben für genuin Rote oder Grüne Vorhaben. Vor allem vermittelt das Personal inzwischen einen ausgelaugten und abgenutzten Eindruck. Dies gilt für die Fraktionen der SPD und Grünen in der Stadtverordnetenversammlung ebenso wie für den Magistrat. Der hauptamtliche Magistrat ist auf 2,5 Personen geschrumpft. So muss der Oberbürgermeister jetzt die irrigen Avancen von ihm selbst und seiner Partei SPD für eine weitere Stadträtinnenstelle ausbaden. Der Magistrat ist dadurch zweifelsohne geschwächt.
Inhaltlich sind insbesondere den Grünen längst Themen und Projekte ausgegangen. Ob in Marburg vier Windräder im Gefolge der derzeitigen Windmessungen zur Aufstellung kommen werden, steht in den Sternen. Die vom Bund avisierte Kürzung der Förderung regenerativer Stromerzeugung macht das Vorhaben unwahrscheinlicher. Das – vielleicht zukunftsweisende – Projekt einer Seilbahnverbindung auf die Lahnberge tritt auf der Stelle. Eine Machbarkeitsstudie dazu ist zwar beauftragt, doch inzwischen opponiert die Stadt-SPD qua Parteitagsbeschluss vom März 2014 offen dagegen.
In den disparaten verkehrspolitischen Debatten lässt sich auch kein Profil der Grünen erkennen. Die Ablehnung von neuen Parkplätzen ist noch lange kein Konzept, wird zudem kommenden Erfordernissen im Zuge des Umbaus der Philipps-Universität immer weniger gerecht.
Hinzu kommt, dass es vorbei ist mit Schwarz-Grün im Landkreis. Dort wird zukünftig Rot-Schwarz geflaggt, angeführt von der neuen Landrätin Kirstin Fründt (SPD). Dazu gibt es auf der Landesebene eine Schwarz-Grüne Koalition. Doch welche Blumentöpfe können die Grünen in Zeiten der stockenden Energiewende dort schon gewinnen? In jedem Fall steht Rot-Grün als politische Konstellation in Marburg ziemlich alleine da. Vom Land Hessen hat die Stadt zudem wenig zu erwarten.
So konnte es – bei durchaus zutreffender Wahrscheinlichkeit – befremdlich wirken wahrzunehmen, dass in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am 25. März ein Redner aus dem Rot-Grünen Lager sich im tiefsten Brustton davon überzeugt zeigte auch nach der Kommunalwahl 2016 wieder mit Rot-Grüner Mehrheit in Marburg regieren zu können. Hochmut kommt vor dem Fall, sagt der Volksmund. Doch vor allem geht von scheinbar fest geronnenen Mehrheitsverhältnissen noch lange keine politische Orientierung aus. Doch genau dies ist als Defizit in Marburg zu beklagen.
Hinzu kommen personelle Aspekte. Man wird Bürgermeister Franz Kahle nicht vorwerfen können, dass er seine Aufgaben schlecht versehen würde. Administrativ hat Kahle alles im Griff. Die Frage ob und inwieweit sein Handeln das eines Grünen Bürgermeisters ist, wird dagegen von vielen kontrovers und abschlägig beantwortet.
Eine große Zukunftsfrage kommt auf Marburg bald nach der Kommunalwahl zu in Gestalt der Oberbürgermeisterwahl. Diesbezüglich gibt es derzeit lediglich eine Gewissheit. Egon Vaupel wird schon aus Altersgründen nicht noch einmal antreten. Ein Nachfolger aus den Reihen der Marburger SPD ist durchaus nicht in Sicht. Eventuelle Avancen des jetzigen Bürgermeisters wären sehr mutig. Im Landkreis ist ebensolches seitens des Ersten Kreisbeigeordneten klar gescheitert.
So zeigt eine Betrachtung der ohne Lust und Leidenschaft vor sich hin dümpelnden Kommunalpolitik in Marburg wenig Zukunftsorientierung. Dazu passt die Flucht in einen Doppelhaushalt natlos. Dagegen erscheinen die mit viel Getöse inszenierten ‚Zukunftsprojekte‘ ➜Bewerbung um Weltkulturerbestatus, ➜Schlossentwicklung mit Einhausung eines Stadtmuseums und ➜Bewerbung als Austragungsort für die Bundesgartenschau 2029 derzeit eher als Schimären.
Es wird in Marburg sicher weiter gehen. Da braucht sich niemand sonderlich zu sorgen. Der Level, nicht zuletzt hinsichtlich der Stadtfinanzen, ist hoch. Zugleich sind viele Anzeichen von Erschöpfung und Ratlosigkeit unübersehbar. Derzeit sind Perspektiven für Rot-Grün in Marburg allerdings Mangelware.
—> Egon Vaupels Doppik – Doppelhaushalt soll Kommunalwahl umschiffen