Der Alte Botanische Garten – eine grüne Oase in der Stadt
140403 (red) Gastbeitrag von Johannes Linn „Ein Botanischer Garten – gleichsam ein Weltgarten – soll die gesamten Pflanzen der Erde, soweit das irgend menschenmöglich ist, in sich aufnehmen und in naturgemäßer Anordnung enthalten; daher hat man ihn auch wohl das Paradies genannt.“ Dieser Satz wird dem Gründer des etwa 200-jährigen Gartens, dem Marburger Professor der Botanik und Medizin Wenderoth (1774-1861) zugeschrieben. Das ca. 4 Hektar große Gelände als Hausgarten des Deutschen Ordens am Pilgrimstein war um 1810 durch Tausch mit dem Grundstück am Weinberg oberhalb der Ketzerbach, das als zweiter botanischer Garten 1786 begründet wurde, aber flächenmässig zu klein war, in den Besitz der Universität Marburg gelangt. Von 1812 bis 1814 wurden die ersten Bäume gepflanzt, von denen einige noch heute zu bewundern sind. Es entstand ein Wissenschaftsgarten für Forschung und Lehre, aber auch zur Erbauung der Besucher.
Bemerkenswert ist, dass Wenderoth aufgrund unzureichender finanzieller Unterstützung zahlreiche Gehölze aus anderen Gärten und Parks in Deutschland wie z. B. aus Potsdam und Kassel, Frankfurt und Gießen, Offenbach und Karlsruhe geschenkt erhielt und auch selber pflanzte. So berichtet er nach 40 Jahren: „…daß alle im Freien vorkommenden Pflanzen, Sträucher und Bäume ohne Ausnahme von mir herbeigeschafft, gepflanzt und gepflegt sind; daß ich sie wie meine Kinder betrachte.“
Die Nachfolger Wenderoths wie z. B. von 1862 bis 1867 der Prof. für Botanik und Pharmakognosie Albert Wigand sorgten für weitere Ergänzungen wie die Anlage einer pflanzengeographischen Abteilung und den Bau des heute unter Denkmalschutz stehenden Sandsteingebäudes der pharmazeutischen Biologie am Rande des Gartens durch den Architekten Karl Schäfer.
Im Alten Botanischen Garten findet man nach einer Bildinventur des Marburger Fotografen Wellinghoff aus dem Jahr 2011 116 Baum-, 81 Strauch- und 118 Wildblumenarten. ->Anzuschauen sind diese im Internet.
Eine Übersicht über die imposantesten Bäume aus aller Welt im Alten Garten hat Dr. Fuchs für einen Flyer des Freundeskreises (FABG) und des Arbeitskreis Dörfliche Kultur (ADK) nach einer Skizze von Erwin Wißner für das Katasteramt Marburg im Jahre 2008 erstellt.
Es finden sich hier Bäume und Sträucher aus Nord- und Südamerika wie der Lebensbaum (Nr. 152) sowie Eichen und Buchen.
Aus China, Japan, Persien und Kaukasien kommen Gehölze wie der Ginkgobaum (Nr. 44), die Japanische Lärche (140), der Lacksumach (139) sowie Ahornbäume.
Es folgt die Gruppe der „Buchenartigen“ mit der Hainbuche (243), der Esskastanie (241), die Wal-(240), Flügel- (239) und Hickory-Nuss (194), an die sich die Gruppe der verwandten Platanengewächse anschließt mit einem der dicksten und höchsten Bäume, der etwa 180 Jahre alten Platane (Nr. 238).
In der südwestlichen Partie am Pilgrimstein befinden sich die inzwischen hoch und dick gewachsenen Nadelbäume aus Europa, Amerika und Asien, wie die Riesentanne (270), der Urweltmammutbaum, Chinesisches Rotholz (256) und der Riesen-Mammutbaum (260), dieser wird in Kalifornien bis 100m hoch, erreicht 8m Durchmesser und kann dort 3000 Jahre alt werden sowie die Sumpfzypresse (Nr. 154).
Im Süden des Gartens gelangt man zu einem „Rosen-Duft-Pfad“, ursprünglich als Blindenpfad angelegt. Auch in der Südostecke des Gartens finden sich reichblühende Gehölze wie die Magnoliengruppe neben dem hohen Tulpenbaum (Nr. 14) mit seinen tulpenähnlichen Blüten sowie die mächtige Traubeneiche (297). Beide sind etwa 200 Jahre alt. Am Teich sind die rot und gelb blühenden Rhododendron immer eine Augenweide wie auch die seltene Mutation, die geschlitztblättrige Buche (305).
Der Alte Botanische Garten hat aber nicht nur eine hohe geschichtliche Bedeutung und Funktion zur Erholung für die Bevölkerung, sondern beherbergt auch eine hohe Zahl von Tierarten, besonders Vögeln. In einem Gutachten des Marburger Vogelschutzbeauftragten aus dem Jahr 2009 werden 109 Vogelarten beschrieben, davon 45 Arten von der Hessischen Roten Liste.
Im Zuge der Campusneubauten der Unibibliothek und des Sprachatlasses am Alten Botanischen Garten ist besonders darauf zu achten, daß die Gehölze nicht durch Grundwasserabsenkung beschädigt werden und das Gartendenkmal nicht zum Durchgangspark verkommt. Das wurde mehrfach von den Leitenden der Stadt, den BürgerInnen und Fachplanern gefordert. So sagte der Gartendenkmalpfleger M.A. Horst Becker, der im Auftrag engagierter BürgerInnen das vom Denkmalschutz anerkannte Parkpflegewerk als auch im Jahre 1997 das Buch „Der Alte Botanische Garten in Marburg an der Lahn“ verfasste, auf dem BürgerInnen-Workshop von Uni und Stadt: „Der Botanische Garten soll aber ein Park des Lesens und der Ruhe sein und nicht ein Park zur Durchquerung.”
Und Oberbürgermeister Egon Vaupel versprach am 16.11.2007 den BürgerInnen: „Konkurrierende Nutzungsvorstellungen dürfen zum Beispiel den wertvollen Alten Botanischen Garten weder in seinem Natur- und Denkmalbestand bedrohen noch ihn der einseitigen Übernahme und Nutzung, gar Überlastung, zuführen.“
Daran werden sich alle Beteiligten, besonders die Bauherrschaft messen lassen müssen. Vorschläge des Baudezernates im Jahre 2013, mitten durch das Gartendenkmal einen geteerten oder gepflasterten Weg zu bauen, wurden richtigerweise vom Umweltausschuss als auch vom Gartendirektor der Universität abgelehnt. Die weitere Entwicklung wird aufmerksam beobachtet werden müssen, damit eines der ältesten Gartendenkmale Europas als grüne Oase in der Stadt Marburg erhalten bleibt.
Daß den Bürgerinnen das Gartendenkmal sehr am Herzen liegt, daran kann kein Zweifel bestehen. Gerade haben der Freundeskreis als auch die IG MARSS zahlreiche Spenden für Sitzbänke im Alten Botanischen Garten gesammelt. Diese fehlten im Jahre 2013 ganz, als Sitzgelegenheit gab es nur den von Hessen-Forst gespendeten Holzstamm.
Die derzeit beginnenden Ausschachtungsarbeiten auf dem Gelände der ehemaligen Frauenklinik bergen die Gefahr der Grundwasserabsenkung und damit von Trocknisschäden für die Gehölze. Es bleibt zu hoffen, daß wie vom Hessischen Baumanagement angedeutet, die Baugrube für die neue Unibibliothek mit seitlichen angebrachten Stahlbetonträgern von Beginn an soweit abgedichtet wird, daß das nun im Gartendenkmal einzubauende Bewässerungssystem mit sogenannten Erdlanzen ausreichend lebensspendende Feuchtigkeit für die Gehölze aus aller Welt liefert. Das ist nicht nur für den Alten Botanischen Garten wichtig, sondern vielleicht auch für die benachbarte weltweit bekannte Elisabethkirche, die bei Grundwasserabsenkung Schaden an der Bausubstanz nehmen könnte.
„Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt“, so drückte es poetisch Khalil Gibran aus (1883-1931).
„Bäume machen nicht nur das Stadtbild schön. Im Sommer spenden sie Schatten, im Winter Schutz vor Kälte, und Tieren bieten sie notwendige Lebensräume. Für gute Luft sorgen die …Bäume. Sie filtern Staub, Ruß und Gestank heraus. Sie produzieren den Sauerstoff, den wir zum Leben brauchen.“ So steht es im Faltblatt „Baumschutz“ der Stadt Marburg.
Die vielfältigen positiven Wirkungen des Stadtgrüns sind also hinlänglich bekannt. Nun kommt es darauf an, dieses auch zu erhalten und zu fördern.
Unser Gastautor Johannes Linn ist öffentlich bestellter und vereidigter Forst-Sachverständiger. Der Erhalt von Bäumen in der Stadt Marburg und insbesondere des 200-jährigen Denkmals Alter Botanischer Garten liegt ihm seit vielen Jahren sehr am Herzen.
—>Beitrag Kulturdenkmäler in Marburg III: Der Alte Botanische Garten