Verfassungsschutz, Bespitzelung und Berufsverbote von 1972 bis heute
Marburg 4.11.2014 (pm/red) Die DGB-Senioren laden zu einer Veranstaltung über die Politik der Berufsverbote ein. Am 28. Januar 1972 verabschiedeten die sozialliberale Bundesregierung und die Innenminister der Bundesländer den sogenannten ‚Radikalenerlass‘. Danach sollte nicht mehr Beamter sein, „wer nicht die Gewähr dafür biete, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten“. Unter dieser Rechtsformel, fast wortgleich mit der aus dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ des Naziregimes vom 7. April 1933, wurde eine Politik massenhafter Bespitzelung, der Verwehrung des Zugangs zu Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst und der Vernichtung beruflicher Existenzen betrieben.
Offiziell gab es insgesamt 11.000 Verfahren bezüglich Einstellungen, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 bekannt gewordene Ablehnungen und 265 Entlassungen. Das betraf Lehrer ebenso wie Briefträger, Zöllner wie Museumsangestellte, Universitätsprofessoren wie Lokomotivführer. All das beruhte nicht etwa auf strafrechtlich relevanten Tatsachen oder Vorwürfen, sondern auf „Erkenntnissen“ der diversen Verfassungsschutzämter. Ohne Videoüberwachung, PC und Internet wurden zudem bereits in den siebziger Jahren fast lückenlose politische Lebensläufe erstellt und den Einstellungsbehörden übergeben.
Es entwickelte sich in den siebziger und achtziger Jahren sowohl im Land wie international eine breite Protestbewegung – entscheidend mitgetragen von vielen Betroffenen, die sich nicht den Mund verbieten und ihre demokratischen Rechte nehmen lassen wollten. In vielen, auch regionalen Aktionen festigte sich der Protest gegen die Berufsverbote. Nach anfänglichem Zögern erkannten auch die Gewerkschaften die Berufsverbote als Gefahr für ihre Handlungsfähigkeit und für die politische Demokratie.
Endgültig beendet ist die Politik der Berufsverbote immer noch nicht. In Bremen wurde beispielsweise der Erlass erst kürzlich aufgehoben, in Bayern ist die Regelanfrage beim Verfassungsschutz noch immer Voraussetzung für eine Einstellung in den öffentlichen Dienst. In Hessen und Baden-Württemberg musste ein engagierter Antifaschist noch vor wenigen Jahren seine Einstellung erkämpfen.
Als Zeitzeugen werden Bodo Ramelow, Frank Deppe, Renate Bastian, Silvia Gingold und andere am 14. November im Technologie- und Tagungszentrum TTZ ab 19 Uhr diskutieren.