Erinnerungskultur – Von Denkmälern und Gedenken
Marburg 15.11.2014 (red) Erinnerungskultur ist wichtig. Ob persönlich und personenbezogen – dafür stehen der ‚Friedhof‘ und seit längerem auch der ‚Friedwald‘ – oder im kollektiven, gesellschaftlichen Zusammenhängen. ‚Denkmal‘, ‚Mahnmal‘ sind Begriffe, die das vergegenwärtigen. Am 9. November hat in Marburg im ‚Garten des Gedenkens‘ eine Veranstaltung stattgefunden, bei der es um Versöhnung gegangen ist. Zugleich wird seit einigen Jahren in der Stadtgesellschaft der Universitätsstadt an der Lahn über ein ‚Kriegerdenkmal‘ der vormaligen ‚Marburger Jäger‘ gestritten. Dieses ist derzeit auf einem privaten Gartengrundstück im Stadtteil Bortshausen aufgestellt. In einer Studie über die ‚Marburger Jäger‘ wurden historische Hintergründe, Verbrechen und virulente Probleme ans Licht gebracht. Veranstaltungen zum Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren haben Übergriffe und brutale Menschentötungen in der belgischen Stadt Dinant vergegenwärtigt. Letzter Stand in Marburg ist, das das ‚Kriegerdenkmal‘ eingelagert werden soll, und als ‚Stein des Anstoßes‘ aus der Öffentlichkeit verschwindet. Erinnerung kann schmerzen, eine ‚Erinnerungskultur‘ ist essentiell für das individuelle wie gesellschaftliche Leben. Damit will sich der Gastbeitrag von Ursula Wöll auseinandersetzen:
Am 24. Oktober wurde in Wien ein Denkmal für die Opfer der NS-Militärjustiz eingeweiht. Etwa 30.000 Todesurteile fällte diese ‚Justiz‘ unter Hitler, die meisten der Verurteilten waren Deserteure und sogenannte Wehrkraftzersetzer. Wurden sie einst als Vaterlandsverräter diskriminiert, so zollt ihnen nun das unübersehbare begehbare Monument am zentralen Ballhausplatz nunmehr Respekt. Bei der Einweihung lobten der österreichische Bundespräsident und der Wiener Bürgermeister den Mut der Deserteure, die ihrem Gewissen folgten. Das dreistufige Monument trägt oben die Aufschrift ‚all alone‘, um zu betonen, dass hier gewissermaßen Helden erinnert werden. Sie schwammen allein gegen den Strom der Barbarei. Die Form des Denkmals als riesiges X ist nicht sofort verständlich, der Künstler Olaf Nicolai begreift das X einerseits als Zeichen der Anonymität und andererseits als Statement selbstbewusster Setzung. Auch wenn ich die Ausgestaltung nicht unbedingt schön finde, es wird ein deutliches Zeichen in die Stadtlandschaft gesetzt. Eine Mahnung sich nicht blind oder fanatisiert inhumanen Taten oder Befehlen zu ergeben.
Das Wiener Denkmal setzt eine positive Wende in der Erinnerungskultur fort. In Köln wurde ein Deserteur-Denkmal im Jahr 2009 eingeweiht, zentral gelegen am Appellhofplatz. Es hat eine lichte, grazile Form und erinnert an eine Pergola. Sein Motto ist mit bunten Buchstaben quasi in den Himmel geschrieben, es endet mit einer Hommage an „die Menschen, die Zivilcourage zeigten als die Mehrheit schwieg“.
Solche Mahnmale lenken den Blick auch auf die Denkmäler für die Gefallenen der beiden Weltkriege und fordern indirekt dazu auf, sich diese genauer anzusehen. In vielen noch so kleinen Orten findet man sie, meist an zentraler Stelle neben der Kirche oder am Friedhofseingang.
Deren Botschaften sind häufig nicht mehr zeitgemäß. Denn ein solches Denkmal sollte nicht nur an die gefallenen Personen erinnern, sondern auch zum Frieden mahnen. Wenn man davon absieht, dass die endlose Reihe der aufgeführten Toten an sich schon vor kriegerischen Gelüsten abschreckt, so sind die meisten der Monumente durch ihre Inschriften Kriegerdenkmäler und nicht Mahnungen zum Frieden. Die Gemeinden „danken“ oft ihren „tapferen Helden“, ja wofür? War es heldisch, in einem Eroberungskrieg mitzumachen? Die Inschrift „Wer den Tod im heilgen Kampfe fand, ruht auch in fremder Erde im Heimatland“ zeugt ja davon, dass sich zumindest die Überlebenden bewusst waren, dass es nicht um die ‚Rettung des Vaterlandes‘, sondern um Eroberungen ging.
Am Volkstrauertag, dieses Jahr am 16. November, werden wieder Kränze vor steinernen Monumenten niedergelegt. Das Erinnern toter Verwandter, Freunde oder Mitbürger ist Bestandteil einer jeden Kultur. In Dillenburg findet sich ein Beispiel, wie mit veränderten Sichtweisen umgegangen werden kann. Neben der aggressiven Steinskulptur eines Domes hängt eine erklärende Tafel:
„Hier entstand im 13. Jahrhundert das frühgotische Südportal. Unterhalb der Steinfigur Marias mit dem Kinde zeigt sich die Darstellung eines Teufels, der einen Juden verschlingt. Angesichts der Pogrome gegen jüdische Mitbürger und des millionenfachen Mordes an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten soll die Darstellung uns heute Mahnung sein.“
Man schlägt also die Figur nicht ab, betreibt keine Bilderstürmerei, sondern erklärt sie als Aussage eines überholten Denkens. Wäre das nicht auch dort möglich, wo die Denkmäler für die Gefallenen allzu martialische Inschriften haben?
Nachtrag der Redaktion: In Marburg wurde bereits 1999 ein Denkmal für Deserteure eingeweiht. Es findet sich in der Frankfurter Straße im Bereich der vormaligen ‚Jägerkaserne‘. Dazu gibt es viele Veröffentlichungen. Die Geschichtswerkstatt Marburg hat sich mit anderen für die Schaffung dieses Denkmal engagiert. Von der Webseite der Geschichtswerkstatt stammt das Foto.
—>Im Gastbeitrag von Klaus-Peter Friedrich wird die Studie über die Marburger Jäger vorgestellt.