Antifaschistischer Ratschlag Marburg: Zur geplanten „Reichsgründungsfeier“ der Burschenschaft Germania
Marburg 30.01.2015 (pm/red) Nach der beeindruckenden Antigiga-Demonstration in Marburg steht in Marburg eine Formierung von rechtslastigen und rechtsradikalen Burschenschaften vor der Tür. Dazu bezieht der ‚Antifaschistische Ratschlag Marburg‘ Stellung und hat inhaltliche Positionen und Argumente zusammengestellt, die einige wichtige Hintergrundinformationen enthält. Das Marburger. Online-Magazin veröffentlicht daher nachstehend diese Presserklärung:
Die Marburger Burschenschaft Germania plant anlässlich der Übernahme des Vorsitzes der Deutschen Burschenschaft eine „Reichsgründungsfeier“ und stellt dieses Vorhaben als harmlos dar. Es gibt etliche Gründe, dem entschieden zu widersprechen.
1. Diese „Reichsgründungsfeier“ erinnert an die Gründung des deutschen Nationalstaates am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles. Anders als z. B. in Frankreich war diese Gründung nicht das Ende eines bürgerlich-revolutionären Prozesses, in dem das Bürgertum den einheitlichen Nationalstaat gegen monarchistisch-feudalistische Kleinstaaterei erkämpft hätte. Sie war eine Gründung, die die herrschende Klasse von oben vornahm – im Gefolge des deutsch-französischen Krieges, als Siegermacht in der Hauptstadt der kriegerisch besiegten französischen Nation. Insofern war sie stets auch eine Siegesfeier über den historisch ersten Versuch, in der Praxis eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen – mit Hilfe des kurz zuvor gegründeten deutschen Kaiserreiches war die Pariser Commune im Mai 1871 blutig zerschlagen worden. Die geplante Reichsgründungsfeier bezieht sich somit zustimmend auf eine Reihe reaktionärer, militaristischer, imperialistischer historischer Ereignisse.
Anmerkung der Redaktion: Der folgende Absatz wurde im Nachhinein gestrichen:
2. Die „Reichsgründungsfeier“ der Marburger Burschenschaft Germania ist für den 31. Januar geplant, also genau einen Tag, nachdem sich die Übertragung der politischen Macht formal an das Kabinett Hitler, de facto an die Faschisten zum 72. Mal jährt. Wenn die Germania nun darauf verweist, dass diese Reichsgründungsfeiern bis zum Ende der dreißiger Jahre (wenn auch in der Regel am 18. Januar) stattfanden, dann bezieht sie sich bewusst und ohne jede Distanzierung darauf, dass die Nazis sich die bereits vorhandenen reaktionären Gedenktage deutscher Tradition problemlos politisch einverleiben und für ihre ideologischen Zwecke nutzen konnten. Solche Feiern heute wiederzubeleben bedeutet, sich positiv auf das faschistische Kapitel ihrer Geschichte zu beziehen.
3. Die Marburger Germania behauptet, eine solche Feier sei „nicht zwangsläufig Ausdruck einer konkreten politischen Meinung“. Dass ist mehr als zweifelhaft, wenn man in Betracht zieht, dass ihr Dachverband – die Deutsche Burschenschaft – in den letzten Jahren Aufsehen erregte, weil sie unter maßgeblichem Einfluss notorisch bekannter Neofaschisten steht und versuchte, die Aufnahme neuer Mitglieder von einem rassistischen „Ariernachweis“ abhängig zu machen. Nachdem etliche Bünde aus der DB ausgetreten sind, weil ihnen das dann doch zu weit geht, scheint der Rest-Dachverband mit einer solchen „Reichsgründungsfeier“ einmal mehr demonstrieren zu wollen, dass sie ultrarechte Positionen als normal ansieht und als legitimen Teil des politischen Spektrums gesellschaftlich zu verankern sucht. Einfacher gesagt: es handelt sich um eine neofaschistische Provokation.
4. Bei alledem sollte nicht vergessen werden, welche Rolle die Deutsche Burschenschaft und hier besonders die Marburger Germania im Prozess der Faschisierung der Universitäten bzw. der (akademischen) Gesellschaft in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre spielte. Ihr Verhältnis zum Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund war zwar durchaus von organisatorischer Konkurrenz, aber niemals von inhaltlicher Differenz bestimmt. Es war der Marburger Germane Hans Glauning, der im Februar 1935 die Führung der Deutschen Burschenschaft übernommen hatte und in dieser Eigenschaft im Oktober 1935 während des Wartburgfestes die Fahne der Burschenschaft offiziell an den Nationalsozialistischen Studentenbund übergab.
Diese „Selbstauflösung“ war alles andere als ein Akt der Opposition, sondern eine bewusste und freiwillige Selbstgleichschaltung aufgrund lang bestehender inhaltlicher Übereinstimmung: Schon 1920 hatte die Deutsche Burschenschaft beim Burschentag in Eisenach beschlossen, keine Juden mehr aufzunehmen, und von Neumitgliedern ein Ehrenwort verlangt, „frei von jüdischem oder farbigem Bluteinschlag“ zu sein und keine jüdischen oder farbigen Ehefrauen zu haben oder künftig zu heiraten.
Wir haben nicht die Illusion, dass unser Protest die Germania von ihrem provokativen Vorhaben abhalten wird – aber wir haben die Hoffnung, dass die Marburger Öffentlichkeit und ihre Repräsentanten in der Stadtverordnetenversammlung die „Reichsgründungsfeier“ unmissverständlich ablehnen und deutlich machen, dass in einer weltoffenen „Stadt der Vielfalt“ für solche Provokationen kein Platz sein darf.
Insofern begrüßen wir geplante Gegendemonstrationen und fordern zur Teilnahme daran auf.