25 Jahre Abteilung Allgemeinmedizin an der Philipps-Universität Marburg
Marburg 21.03.2015 (pm/red) Mit einem Festakt feierte der Fachbereich Medizin an der Philipps-Universität Marburg am 18. März das 25-jährige Bestehen der Abteilung Allgemeinmedizin. Am 1. April 1990 wurde Prof. Dr. Erika Baum auf den ersten Lehrstuhl für Allgemeinmedizin in Marburg berufen. Die Feier fand im Rahmen des Tages für Allgemeinmedizin statt, den die Abteilung in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) für Hausärzte und deren Mitarbeiter in den Regionen Marburg und Kassel veranstaltet hat.
Festredner Prof. Dr. Michael Kochen, der viele Jahre Vorsitzender der DEGAM war, skizzierte die Geschichte der Abteilung, die sich mit den Jahren „vom zarten Pflänzchen zum starken Baum“ entwickelt habe. Alles begann 1972 mit zwei Lehrbeauftragten, die halbtags neben ihrer Hausarzttätigkeit an der Universität arbeiteten. Später kamen eine halbe Sekretariatsstelle und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter hinzu. Als Erika Baum mit Mitte 30 als praktizierende Hausärztin in Biebertal die neu geschaffene Professur übernehmen sollte, gab es zunächst Widerstand. Heute floriere die 19 Mitarbeiter starke Abteilung und werde bundesweit verknüpft mit Kompetenz in den Themengebieten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rückenschmerzen und Osteoporose, sagte Kochen. Neben der Leiterin Professorin Baum sind 2003 Norbert Donner-Banzhoff und 2005 Annette Becker als Professoren hinzugekommen.
Zu den Leistungen der Abteilung gehört zum Beispiel der Marburger Herz-Score, den das Team auf Basis einer mehrjährigen Studie in Zusammenarbeit mit etwa 80 Praxen entwickelt hat. Das von der DEGAM empfohlene Instrument hilft Hausärzten, bei Patienten mit Brustschmerzen die Wahrscheinlichkeit einer Herzerkrankung als Ursache einzuschätzen. Bekannt geworden ist die Abteilung auch durch das zusammen mit zwei weiteren Universitäten entwickelte und vom Bund geförderte Instrument „arriba“. Damit können Hausärzte mit dem Patienten eine individuelle Risikoprognose für Herzinfarkt und Schlaganfall erstellen.
Die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Hausarztpraxen bezeichnet Erika Baum als gut. „Forscher und Praktiker brauchen sich gegenseitig“, sagt die Professorin, die beide Perspektiven aus ihrer täglichen Arbeit kennt. „Über 100 Lehrärzte unterrichten unsere Studierenden in ihren Hausarztpraxen. Für diese große Leistung geben wir ihnen mit dem jährlich stattfindenden Tag der Allgemeinmedizin etwas zurück. In über 20 Workshops geben wir ihnen neue Erkenntnisse weiter, zum Beispiel in der Notfallversorgung, der Diagnosestellung bei Schwindel oder der Behandlung von Rückenschmerzen.“
Die Praxen spielen auch eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, dass Studierende lernen, Patienten ganzheitlich zu betrachten. „Gute Allgemeinmediziner zeichnet aus, dass sie gerne mit Menschen umgehen und auch das soziale Gefüge beachten“, sagt Erika Baum. Als brennendstes Thema sieht sie den Nachwuchsmangel: „Zehn Prozent der Absolventen werden Allgemeinmediziner, es wären aber 20 Prozent nötig, um den Versorgungsbedarf abdecken zu können.“ Damit sich das ändert, müssten Universitäten, Verbände und Politik zusammenwirken.
Podiumsdiskussion zum Nachwuchsmangel
Die Frage, wie sich der Nachwuchsmangel beheben und die Attraktivität des Hausarztberufs steigern lassen, stand im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Festaktes. Dazu waren Vertreter der Landesärztekammer, des Hausärzteverbandes, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Jungen Hessischen Allgemeinmedizin, des Landratsamtes und der Universitäten Marburg und Gießen eingeladen. „Der Hausärztemangel ist schon da. Wir müssen jetzt die Krise meistern“, sagte Dr. Dieter Conrad vom Hausärzteverband. Thematisiert wurde in der Diskussion auch der hohe Verwaltungsaufwand in Hausarztpraxen, der viele Absolventen abschrecke.
Eine Tendenz sei, dass Allgemeinmediziner lieber angestellt sein wollen, als das Risiko einer Praxisübernahme zu tragen. Frank Dastych von der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen sagte zu, sich gemeinsam mit den anderen Vereinigungen für den Abbau von Bürokratie zum Beispiel bei der Zulassung von Ärzten einsetzen und Praxisgründungen stärker unterstützen zu wollen. Dr. Gottfried Knoblauch von Hatzbach von der Landesärztekammer betonte, dass die Verbände Rahmenbedingungen und Weiterbildung verbessern können, aber letztlich die Einstellung der Absolventen entscheidend sei, ob sie eher in der Klinik arbeiten oder Hausarzt werden wollen: „Der Hausarztberuf braucht Begeisterungsfähigkeit jenseits der Klagen über die Schwierigkeiten.“