Hessens größtes Planetarium ab November 2024 wieder geöffnet

14.11.2024 (pm/red) Mit vielfältig intergalaktischen Programmen samt neuer Musikshow können Besucher in Hessens größtem Planetarium ab  1. November 2024 wieder zu fernen Galaxien reisen. Am 23. Oktober haben Wissenschaftsminister Timon Gremmels und Direktor Martin Eberle …

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Brot und Rosen – Zur Geschichte des Internationalen Frauentags

Solidaritätspostkarte zum Streik in Crimmitschau (1903/04). Quelle Wikipedia

Solidaritätspostkarte zum Streik in Crimmitschau (1903/04). Quelle Wikipedia

Marburg 01.03.2016 (Red) Gastbeitrag von Ursula Wöll. Der Internationale Frauentag, der weltweit am 8. März gefeiert wird, geht auf einen Streik amerikanischer Textilarbeiterinnen zurück. Auch das wundervolle Lied „Brot und Rosen“ entstand während eines Streiks in der Textilindustrie, „Brot und Rosen“ wurde im Jahr 1912 zur Durchhalteparole von 20.000 Textilarbeiterinnen in Lawrence, Massachusetts. Und Textilarbeiterinnen waren es, die den einst berühmten Streik im sächsischen Crimmitschau 22 Wochen lang, also fast ein halbes Jahr, durchhielten. Er endete am 18. Januar 1904, und obwohl das Lied noch nicht existierte, ging es auch diesen Arbeiterinnen nicht nur ums Brot. Ihre Streikparole für den Zehnstundentag hieß: „Eine Stunde fürs Leben“.

Heute ist die Textilindustrie als „Wirtschaftsflüchtling“ in Billiglohnländer ausgelagert worden. Unsere Kleider, auch teure Marken wie Hugo Boss, werden in Bangladesch genäht, natürlich von Frauen. So sind es auch hier Textilarbeiterinnen, die beginnen sich zu organisieren, um für menschenwürdige und sichere Arbeit zu streiten. Bekannt wurde der Hungerstreik vom August 2014, bei dem es um ausstehende Löhne ging.

Frauen haben also immer Geschichte gemacht, das sollte in unser historisches Gedächtnis eingehen. Deshalb hier eine Hommage an die fast vergessenen 8.000 Frauen (und auch Männer) von Crimmitschau, die zwar eine Niederlage erlitten, aber mit ihrem Streik dazu beitrugen, dass im Jahr 1908 endlich der Zehnstundentag Gesetz wurde. Im Sonntagsstaat und mit erhobenen Köpfen stellen  sich einige nach ihrer Niederlage dem Fotografen. Die Geschlossenheit der Gruppe und die Unterschrift ‚Hoch die Solidarität‘ drücken aus, dass die Arbeiterinnen den Streik trotz Misserfolg und Mühen als Bereicherung empfanden. Ihre schöne Erfahrung, gemeinsam für ein besseres Leben gekämpft zu haben, kann ihnen niemand nehmen.

Ebensowenig die Erfahrung, aus ganz Deutschland Unterstützung und Anerkennung erhalten zu haben. Zu Weihnachten 1903 spendete der Leipziger Konsumverein 7000 Stollen, und aus dem gesamten Kaiserreich rollten Geschenke in Möbelwagen und Waggons an. Ottilie Baader schrieb in ihren Lebenserinnerungen: „Die feste, besonnene Haltung der Arbeiterinnen, die doch zum erstenmal in diesem Kampf standen, war bewundernswert. Sie sind schlimmer als die Männer, meinte ein Fabrikbesitzer“. Das Streikpostenstehen war verboten, also führten die Frauen ihre Jüngsten im Kinderwagen ’spazieren‘. Versammlungen waren untersagt, so wich man bei Frost und Schnee in den Nachbarort aus.

Besonders schmerzlich war es den Arbeiterinnen, dass sie nach den 11 Stunden Fabrikarbeit beim Lärm der Maschinen ihrer Hausarbeit nicht gerecht werden konnten, die damals noch reine Frauensache war. „Eine solche Frau kann nicht mit der gleichen Hingabe und Zärtlichkeit sich den Ihrigen widmen“, heißt es in einem Gewerkschafts-Flugblatt. Unter den 8.000 Streikenden war auch eine Minderheit von Männern, aber die Flugblätter benutzten nicht nur die männlichen, sondern auch die weiblichen Sprachformen in ihrem Text, sie richteten sich an die streikenden ‚Schwestern und Brüder‘.

Das war um 1900 ein Novum und hat sich sogar heute noch nicht völlig durchgesetzt. Nur ein aktuelles Beispiel: Wer im Portal der Giessener Uni-Bibliothek ein Buch aufruft, stößt auf die Rubrik „Verfasser“. Als gäbe es keine Verfasserinnen, als hätte nicht bereits vor 600 Jahren Christine de Pizan Bücher geschrieben! Im Jahr 1405 vollendete diese das Buch „Die Stadt der Frauen“, in dem sie die Nichtbeachtung von weiblichen Leistungen beklagt.

Manche Forderung setzt sich eben quälend langsam durch, auch die nach Frieden. Im Jahr 1977 übernahm die UNO das Datum 8. März und erklärte den Tag zum „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frauen und den Weltfrieden“. Ein Grund mehr, ihn auch 2016 wieder zu begehen. Ohne Frieden in der Welt gibt es für die meisten hierzulande zwar viel Brot, aber keine Rosen. Denn wie könnten wir glücklich leben, wenn vor unserer ‚Haustür‘ Menschen hungern oder vertrieben werden (womöglich mit „unseren“ Waffenexporten)? Doch nicht nur „wir“,  auch die zu „uns“ Geflüchteten haben einen Anspruch auf Rosen. So kann die Selbstvergewisserung am 8. März durch ein Erinnern an das  bewundernswerte historische Handeln von Frauen nicht alles sein. Wir müssen den Stein weiterwälzen, so lange bis der 8. März als Sehnsuchtstag überflüssig wird. Die letzte Strophe des Liedes „Brot und Rosen“ deutet das an:

Wenn wir zusammengehen, kommt mit uns ein schöner Tag.
Die Menschen, die sich wehren, wehren aller Menschen Plag.
Zu Ende sei, dass kleine Leute bluten für die Großen.
Her mit dem ganzen Leben, Brot und Rosen!

Über den Streik von Crimmitschau gibt es eine 48-Seiten-Broschüre beim Westsächsischen Textilmuseum Crimmitschau „Textilarbeit um 1900“ für 3,50 Euro plus Porto. Tel. 03762-931939

—>Aktionen zum Internationalen Frauentag 2016 in Marburg

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