Marburger Volatilitäten – oder wie Wahlergebnis und Mindereinahmen zur Posse geraten können
Marburg 21.03.2016 (yb) Während allenthalben der Frühling vor der Tür steht, scheint Marburg von einem frostigen Klima erschüttert. Wegen Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer will Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies eine Haushaltsperre im Magistrat beschließen lassen. Das ist ein durchaus normales und in solcher Situation gebotenes Mittel. Immerhin geht es um geschätzte 20 Millionen Euro Minderneinnahmen, bei 88 Millionen Gewerbesteuereinnahmen, die sich im Haushalt 2016 veranschlagt finden. Der Gesamthaushalt der Stadt Marburg tituliere rund 223 Millionen Euro, teilte OB Spies in einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag mit. Er teilte jedoch auch mit, dass aus dem Haushaltsabschluss für 2015 ein Überschuss vorhanden und in die Betrachtung einzubeziehen sei.
Was bedeutet dies nun konkret, wenn es darum gehen soll „bei den anstehenden Investitionen zu prüfen, was schadlos zurückgestellt werden kann“, wie es sich in der schrifltichen Pressemitteilung der Stadt Marburg formuliert findet? Wie schlecht ist die Haushaltslage der Stadt Marburg geworden? Müssen sich die BürgerInnen Sorgen machen um grundlegende Leistungen ihrer Kommune, etwa bei den Kindergärten? Und müssen Vereine und Inititiativen um Zuschüsse bangen, die sie für ihre Arbeit benötigen und seit Jahr und Tag von der Stadt erhalten?
Die Antwort vorweg lautet „Nein“. Niemand muss sich Sorgen machen. Das hat der Oberbürgermeister längst mündlich und schriftlich mitgeteilt. Ebensowenig wie es Kündigungen geben werde, sei der „Erhalt der sozialen, kulturellen, technischen und Bildungs-Infrastruktur der Stadt“ gesichert. Doch wer in diesen Tagen die OrtsPresse liest, könnte durchaus einen anderen Eindruck gewinnen. Darin wird nach Kräften Alarmismus betrieben, werden Statements eingeholt und wird wichtigtuerisch mitgeteilt, dass der OB sich der „Rückendeckung“ der Fraktionen sicher sein könne.
Worum geht es also in Marburg? Wird hier lediglich ein Thema hochgekocht? Wird ein Gewerbesteuerausfall instrumentalisiert um Stimmung zu machen in Angesicht der angelaufenen Gespräche für die zu verhandelnde und konstiuierende Mehrheit im zukünftigen Stadtparlament? Mit anderen Worten, wird hier ein fragwürdiges Spiel betrieben, bei dem die örtliche Presse als vermeintliche Aufklärerin munter vorweg marschiert?
Es sieht durchaus danach aus und Hanke Bokelmann von der FDP lässt sich vollends in Bockshorn jagen. Er reflektiert zwar 42 Millionen Euro Mehreinnahmen im Juni 2015, unterlässt es jedoch auch nur ein wenig nachzudenken wenn in der OrtsPresse am 21. März einen „rot-grünen Schlendrian“ unterstell und sich gar dazu versteigt Ex-OB Vaupel ein „vergiftetes Erbe und ein zusammenfallendes Kartenhaus“ zu unterstellen. Das ist starker Tobak und sehr weit daneben.
Die Fakten und Hintergründe sprechen eine andere Sprache. Zunächst einmal hat OB Spies selbst Wert darauf gelegt zu betonen, dass es keinen Grund zur Panik(mache) gibt. Auf die Frage, wie es um die freiwilligen Leistungen der Stadt Marburg stehen würde, sagte der Oberbürgermeister, dass diese nicht zur Disposition stehen würden. Von ihm selbst kam zudem der Hinweis, dass aus dem Haushalt 2015 ein Überschuss in 2016 zur Verfügung steht.
Wer mitbekommen hat, dass die Stadt Marburg in 2015 unerwartet mehr als 40 Millionen zusätzlicher Gewerbesteuereinanhmen verbuchen konnte, sollte ein wenig nachdenken. Was ist mit diesen vielen Millionen passiert? Ein kleiner Teil davon wurde verwendet, um geplante Kreditaufnahmen zu vermeiden. Der Rest kann weder verausgabt noch verschwunden sein. Wie der Redaktion von das Marburger. als Information vorliegt, beträgt der Haushaltsüberschuss aus dem vergangenen Jahr 10 Millionen Euro. Das relativiert die Auswirkung einer (derzeit verlautbarten) Mindereinahme von 20 Millionen Euro deutlich.
Jedem denkenden Menschen müsste klar werden, dass 42 Millionen Mehreinahmen bei der Gewerbesteuer in 2015 und 20 Millionen Mindereinahmen in 2016 in irgendeiner Weise gegenübergestellt und auch verrrechnet werden können. Doch offenbar soll das Denken zum Ende des Winters mit kurzatmigen Tagesnachrichten blockiert werden. Und solche publizistische Mache scheint aufzugehen. Den Eindruck jedenfalls könnte ein/e unbedarfte/r Zeitungsleser/in gewinnen.
Es stellt sich die Frage nach dem Interesse. Wer hat einen Nutzen von einem Verwirrspiel einer vermeintlichen „plötzlichen Armut der reichen Leute von Marburg“? Offensichtlich und seit mittlerweile vier Ausgaben in Folge nachzulesen erblickt die „Oberhessische Presse“ in den Mitteln des Alarmismus, der Verzeichnung und Übertreibung ihre journalistische Aufgabenstellung. Das ist bedenklich.
Oberbürgermeister Spies artikulierte: „Transparenz und Beteiligung ist ernst gemeint, deshalb werde ich auch hierzu Vertreter der Fraktionen und den Magistrat einladen.“ Das kann man ihm abnehmen, denn aus seinem Mund kamen nun keine drastischen Neuigkeiten. Allerdings befindet sich das Stadtoberhaupt in einer ungewöhnlichen Situation im doppelten Sinne. Bei der Kommunalwahl ist die Rot-Grüne Mehrheit verloren gegangen. Und derzeit gibt es noch kein neues Stadtparlament (konstituierende Sitzung kommt am 22. April) – vor allem gibt es keine politischen Mehrheiten, auf die OB Spies blicken könnte. Er braucht also unmittelbar für sein administratives Handeln, genau dies ist das Mittel einer Haushaltsperre, eine Mehrheit. Wie sollte der OB als Kämmerer diese finden können, wenn er nicht möglichst alle Fraktionen in diesem Stadium anspricht und einzubinden versucht?
Oberbürgermeister Spies hat mithin das alleine Gebotene getan. Er hat informiert und darauf verwiesen, dass für dieses Jahr die ‚Karten neu gemischt werden müssen‘, sprich Mindereinahmen in einem Nachtragshaushalt ihren Niederschlag zu finden haben. Diesen Nachtragshaushalt würde Spies gerne vor der Sommerpause verabschiedet wissen.
Weit früher dürfte Marburgs neuer Oberbürgermeister eine neue belastbare Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung hinter sich wissen wollen. Für die Gespräche und Verhandlungen darüber werden die jetzt bekannt gemachten Mindereinahmen mit Sicherheit eine Rolle spielen. Das muss für den OB kein Nachteil sein. Dabei ist ausgemacht und ist für die Stadt Marburg kein Problem den Gewerbesteuerausfall mit einer erhöhten Kreditaufnahme auszugleichen. Ganz und gar, wenn es sich dabei de facto um einen Betrag von ’nur‘ 10 Millionen Euro handelt, in der Einbeziehung des Haushaltshaltüberschusses aus 2015.
Diese haushalterische Lösung – in Gestalt von Kreditaufnahme zur Schließung der Lücke – des lauthals breit gewalzten Problems hat OB Spies übrigens schon in der Pressekonferenz mitgeteilt. In Marburg steht also wie überall der Frühling vor der Tür. Es gibt keine ‚plötzliche Armut der reichen Leute von Marburg‘. Abzuwarten bleibt, wie Politiker und OrtsPresse mit alledem weiter umgehen. Eine Marburger Posse sollte daraus nicht werden. Schon ein wenig Nachdenken wäre ein probates Gegenmittel, auch für einen wild gewordenen FDPler. <210316-20.47 CEWT>