Hessens größtes Planetarium ab November 2024 wieder geöffnet

14.11.2024 (pm/red) Mit vielfältig intergalaktischen Programmen samt neuer Musikshow können Besucher in Hessens größtem Planetarium ab  1. November 2024 wieder zu fernen Galaxien reisen. Am 23. Oktober haben Wissenschaftsminister Timon Gremmels und Direktor Martin Eberle …

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Kratzputz und Streichmusik im Hinterland

Fachwerkfassade mit Kratzputz am Schartenhof in Eckelshausen. foto Ursula Wöll.

Fachwerkfassade mit Kratzputz von einem Haus in Holzhausen. Foto Ursula Wöll.

Marburg 22.3.2016  Gastbeitrag von Ursula Wöll  Das Marburger Hinterland ist nicht gerade mit einem südlichen Klima gesegnet (noch nicht). Aber dort blühen Blumen sogar im Winter. Nämlich auf den Hauswänden. Obwohl das Fachwerk bereits schmückt, sind dessen Gefache mit floralen Ornamenten gefüllt. Die Kultur des Kratzputzes entwickelte sich in Oberhessen und ist auch in der Schwalm anzutreffen. In der hügeligen Landschaft rund um Gladenbach und Biedenkopf gedieh der Kratzputz vor allem im 19. Jahrhundert besonders üppig. Bis heute sind glücklicherweise eine Reihe von Häusern, Scheunen, ja sogar Kirchen mit Kratzputz verziert. Damit diese einmalige Volkskunst im Hinterland nicht ausstirbt, hat die „Hessische Beratungsstelle für Handwerk und Denkmalpflege“ beantragt, den Kratzputz in die Liste der immateriellen Kulturgüter der UNESCO aufzunehmen.

Kratzputz an einem Bauwerk in Ghana. Foto nn

Kratzputz an einem Bauwerk in Ghana. Foto nn

Das einfache Bemalen von Hauswänden ist weltweit verbreitet. In Afrika sind es die Frauen, die ihre Lehmwände mit überlieferten Motiven schmücken. Aber auch dort ist diese traditionelle Kunst vom Aussterben bedroht. Der oberhessische Kratzputz ist eine ganz spezielle Technik, die das Motiv als Relief gestaltet. Ein Paradebeispiel ist der „Schartenhof“ in Biedenkopf-Eckelshausen. Die heute 92jährige Künstlerin Annemarie Gottfried kaufte den 300 Jahre alten früheren Bauernhof 1970. Es dauerte viele Jahre, bis sie Haus und Scheune liebevoll in ein Kulturzentrum verwandelt hatte. Auch die unzähligen Kratzputz-Felder mit ihren Blumen, Weinreben, Vögeln und Rankenornamenten wurden natürlich sorgfältig restauriert. Dabei unterstützte die neue Besitzerin den Weißbinder selbst kräftig.

Die mit Strohlehm gefüllten Gefache werden mit einem mineralischen Putz überzogen. Er wird  mit Nägeln oder Reisern aufgerauht, also aufgekratzt. Sofort  werden dann die Ornamente mit einem Spatel freihändig in den noch feuchten Kratzgrund eingegraben oder -gezogen. An den Fachwerkbalken entlang wird jedes Gefach rundum mit einem schmalen glatten Rand versehen. Er sorgt für eine gute Verbindung von Holz und Putz. Mit einer Kalk-Magermilch-Mischung wird er geweißt und mit einem dunklen Strich zusätzlich betont. Auch die Zierornamente werden geweißt, so dass sie sich schön abheben.

Beim Kratzputz in den Gefachen werden typische Ornament eingebracht. Foto Ursula Wöll.

Beim Kratzputz in den Gefachen werden typische Ornament eingebracht. Foto Ursula Wöll.

Annemarie Gottfried, die auch Marionetten und Papierfiguren gestaltet, ist stolz auf ihren  Schartenhof, bei dessen Kratzputz sie mit Hand anlegte. Normalerweise beherrschen nur Weißbinder die Technik. Sie kennen eine große Auswahl an Motiven: Stilisierte Blumen, Pflanzenornamente und Weinreben oder auch Vögel und Fische. Die Hausbesitzer können wählen, auch unter verschiedenen Farben des Kratzputzes. Traditionell haben sich bestimmte Firmen auf dieses Kunsthandwerk spezialisiert.

Hans Donges

Hans Donges gehört zu den Handwerkern, die die Kratzputztechnik noch beherrschen. Foto Ursula Wöll.

Am bekanntesten ist das Familienunternehmen Donges in Dautphetal-Holzhausen, das seit sieben Generationen die Geheimnisse des Kratzputzes weitergibt. Die meisten verzierten Häuser sind daher heute vor allem in diesem Dorf und seinen Nachbarorten zu bewundern.

Erstaunlich ist, dass gerade im Hinterland der aufwändige Kratzputz so beliebt war! Die Gegend war ja früher bitterarm, dass sogar einst viele Männer als Wanderarbeiter zum Dreschen in die Wetterau gingen und ganze Familien auswanderten. Diese Armut war es, die acht Bauern und Tagelöhner aus Kombach und Dexbach im Jahr 1822 auf die Idee brachte, die monatliche Geldkutsche in einem Hohlweg zu überfallen. Dafür wurden 1824 einige der Räuber auf dem Giessener Marktplatz hingerichtet. Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta haben die historische Begebenheit unter dem Titel „Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach“ verfilmt.

Heute ist das Hinterland nicht mehr so arm, aber durch seine Lage abseits der Autobahnen von großem Reiz. Die herrliche Natur wird durch Kultur ergänzt. Im Biedenkopfer Schloss etwa existiert ein Museum. Der Schartenhof ist als Kulturzentrum überregional bekannt. Das Programm gestaltet die 1924 geborene Annemarie Gottfried bis heute mit. Neben Ausstellungen finden hier jährlich die Internationalen Kammermusiktage Eckelshausen statt, die einen exzellenten Ruf besitzen. In diesem Jahr kommen zum 30. Mal Musiker aus aller Welt, und zwar vom  7.  bis zum 16. Mai. Dabei ist etwa Gidon Kremer. Das Jubiläums-Festival läuft unter dem Motto „Menschlichkeit“.
Das Programm gibt es online.

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