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Bestätigung des Vorurteils von einem weit verbreiteten Hurenhass – Erwiderung auf ‚Deutschland als Bordell Europas?‘

Illu PositionenMarburg 14.5.2016 (red) Unter dem Titel ‚Deutschland als Bordell Europas?‘ hat in Marburg eine Diskussionsveranstaltung über Prostitution und Menschenhandel stattgefunden. Darauf reagierte Sonja Dolinsek mit einer ausführlichen Stellungnahme, in der deutliche Kritik am Verständnis der Veranstalterinnen, darunter das städtische Gleichstellungsreferat, zum Ausdruck kommt. Die Wissenschaftlerin und Historikeri zeigt sich erschüttert darüber, dass eine solche Diskussion in Marburg über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt wurde. das Marburger. veröffentlicht das an Gleichberechtigungsreferat, Oberbürgermeister, Bürgermeister und Stadträtin gerichtete Schreiben als Gastbeitrag von Sonja Dolinsek:
Mir ist kürzlich dieser Beitrag zu einer Veranstaltung zum Thema Prostitution aufgefallen und ich möchte Ihnen hiermit mein Unbehagen darüber mitteilen.
 Schon wieder wird eine Veranstaltung über Prostitution OHNE jene Menschen geführt, die Prostitution tatsächlich ausüben.
Schon wieder einmal werden die Stimmen derjenigen, die gegen Prostitution sind als höher, wichtiger, besser, respektabler gewertet, als die Stimmen jener vielen Menschen, die mit Sex ihr Geld verdienen. Schon wieder einmal wird durch so eine Veranstaltung deutlich, dass diese Gesellschaft (und insbesondere Ihre Stadt) Prostituierte als Menschen zweiter Klasse sieht und behandelt. Und das in einer demokratischen Gesellschaft – gebilligt auch noch durch das Gleichberechtigungsreferat. Was für ein Skandal!

Was ist das denn für eine Gleichberechtigung, die nur Leute öffentlich sprechen lässt, die für Verbote, Restriktionen und teilweise sogar für menschrechtsverletzende Maßnahmen kämpfen? Warum darf ein pensionierter Polizist, der sich nach Zwangsuntersuchungen von Frauen sehnt, überhaupt noch auftreten und solche Maßnahmen fordern? Es wundert mich ja überhaupt nicht, dass er von Freiwilligkeit nichts hält, schließlich unterstützt Herr Paulus die erzwungene Untersuchungen von Frauen, so wie sie in Deutschland über das ganze 20. Jahrhundert hinweg praktiziert wurden. Zum Glück wurden sie abgeschafft, zum Glück – und leider viel zu spät!

Zwangsuntersuchungen sind Menschenrechtsverletzungen
Dass Zwangsuntersuchungen heute als Menschenrechtsverletzungen gelten, weiß wohl niemand von Ihnen und dass solche Praktiken traumatisierend, entwürdigend und absolut nicht mit dem Gleichberechtigungsgedanken vereinbar sind, haben Sie wohl verpasst.

Vielleicht zur Erinnerung, wie Zwangsuntersuchungen früher abliefen: Frauen (nein, keine Männer!), die verdächtigt wurden geschlechtskrank zu sein, konnten einfach so auf offener Strasse eingesammelt werden, zwangsweise und mit Gewalt ins Krankenhaus gebracht werden, damit man ihnen zwangsweise, mit Gewalt und gegen ihren Willen in die Vagina schauen konnte. Waren sie krank, wurden sie zwangsweise behandelt und mindestens bis in die 1960er Jahre eingesperrt. Diese Praktiken trafen bis mindestens in die 1970er Jahre nicht nur Prostituierte sondern Frauen, die außerehelichen Sex hatten – Frauen, wie wir es heutzutage alle sind! Solche Praktiken unterstützt Manfred Paulus immer noch und wird mit solch misogynen Forderungen sogar noch zu (wahrscheinlich gut bezahlten) Vorträgen eingeladen. Das ist ein Skandal und eine Zumutung für jede Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung! Eine Zumutung für alle Frauen, die früher solch entwürdigende Praktiken über sich ergehen lassen mussten, nur weil der deutsche Staat entschieden hatte, das nur Frauen Geschlechtskrankheiten übertragen.

Ich kann ja verstehen, dass differenzierte Zugänge zum äußerst vielfältigen Bereich der Prostitution sowie Menschenhandel nicht im Sinne derjenigen sind, die Prostituierte einfach nur besser kontrollieren, überwachen und in Datenbanken erfassen wollen. Ich verstehe auch, dass man nur dann argumentieren kann, dass Prostitution = Menschenhandel, dass repressive Kontrollen „Schutz“ sind, dass Verbote, Prostituierten helfen und dass sowieso niemand das „freiwillig“ machen würde, wenn man die Prostituierten – ach wie bequem – erst gar nicht einmal einlädt. Dass man für die fehlende Einladung dann (wahrscheinlich) auch noch sagt „die sind ja eh die Ausnahme“, bestätigt eher das Vorurteil und den weit verbreiteten Hurenhass, der in diesem Land zunehmend in die Köpfe eindringt, als eine tatsächliche Sorge um das Wohlbefinden der Menschen, die mit Sex ihr Geld verdienen.

Die Stadt Marburg verdient an der Sexarbeit der Prostituierten
Vergessen wir nicht, dass die Stadt Marburg – wie der Rest Deutschland – mit Steuern saftig mitverdient an der Sexarbeit der Prostituierten. Spätestens dann geben ja die meisten Bürgermeister*innen und Politiker*innen zu, dass es nun doch nicht so viele gibt, die „unfreiwillig“ arbeiten, denn sie müssten ja Steuern zahlen. Oder, was meinen Sie?

Steuern zahlen also ja, aber Teilhabe an einer politischen Debatte, die sie betrifft, nicht? So eine Haltung ist doch nichts anderes als Ausdruck der zunehmend antidemokratischen Tendenzen in diesem Land, in dem bestimmten Personen aufgrund ihrer Lebensführung die Fähigkeit abgesprochen wird, sich gesellschaftspolitisch zu beteiligen. Es ist antidemokratisch und sexistisch, einen alten pensionierten Mann einzuladen, der glaubt, dass Migrantinnen zu dumm seien, um zu wissen, dass das Umfeld von Tschernobyl keine Zukunft für sie hat und dass sie woanders besser leben können; ein Mann, der Menschenrechtsverletzungen legitimiert und der Zwangsuntersuchungen als Maßnahme gegen Zwangsprostitution sieht (wie soll das denn genau funktionieren?). Es ist ein Zeichen dessen, was ich nur als „Hurenhass“ einordnen kann, dass er eingeladen wurde, aber nicht die Sexarbeiter*innen, die von diesen Maßnahmen und neuen Gesetzen betroffen sein werden. Würden Sie bei anderen Themen auch so vorgehen?

Warum haben Sie nicht die Sexarbeiter*innen vom Berufsverband eingeladen, die politische Forderungen haben und (Überraschung!) überhaupt kein Interesse daran haben, auch in der politischen Debatte ständig sexualisiert zu werden? Warum haben Sie nicht versucht, mindestens fünf Sexarbeiter*innen zu finden, die in unterschiedlichen Segmenten arbeiten? Warum haben Sie nicht versucht, Prostituierte zu finden, die – natürlich gegen ein anständiges Stundenhonorar – an der Debatte hätten teilnehmen können? Sie hätten Ihnen damit sicherlich auch ein bisschen Sexarbeit erspart! Eine absolute Win-Win Situation!

Aber nein – wieder einmal war nichts davon der Fall. Prostitutionsgegner*innen (die übrigens auch nicht repräsentativ für die Ansicht der Mehrheit der Deutschen sind) werden eingeladen. Ich komme nicht drum herum, mich zu fragen: Ist es Hurenhass oder ist es eine tatsächliche Sorge über das Wohlbefinden von Prostituierten? Falls es letzteres sein sollte, empfehle ich Ihnen vielleicht doch häufiger, mit diesen angeblich „privilegierten“ „Ausnahmen“ zu sprechen. Es sind sehr nette Menschen, die auch nur in Ruhe leben wollen und – verständlicherweise – die Nase voll haben von Leuten, die sie verdrängen, abschaffen, ächten oder einfach nur unsichtbar machen wollen.
Warum Diskussion ÜBER Menschen zu führen, aber nicht MIT ihnen?
Es ist etwas bequem zu sagen, dass das Rotlichtmilieu eine „Subkultur“ sei, an die man überhaupt erst nicht rankommt, um dann eine Diskussion ÜBER Menschen zu führen, aber nicht MIT ihnen. Es ist ehrlich gesagt auch eine glatte Lüge, denn wenn Sie einen respektvollen Umgang mit Sexarbeiter*innen anregen würden, müssten sie auch alle keine Angst mehr haben, sich zu outen. Aber beim aktuellen Klima werden Prostituierte rechts und links mit Vorurteilen, Diffamierungen und Entmündigungsversuchen beworfen, dass ich mich nicht wundere, dass sie alle versteckt bleiben. Und Sie wundern sich vielleicht nicht, sondern freuen sich sogar darüber.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wünsche mir eine Welt, in der alle sexuell arbeitenden Menschen so privilegiert sind. Und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum wir sie nicht häufiger fragen, warum sie überhaupt so „privilegiert“ sind. Wie kam es dazu? Welche gesellschaftspolitischen und rechtlichen Bedingungen haben dazu geführt, dass es heute tatsächlich Prostituierte gibt, die unter guten und selbstbestimmten Bedingungen arbeiten? Vielleicht können wir ja was davon lernen, anstatt sie politisch zu diskreditieren, sie aus der politischen Debatte völlig auszuschließen und damit auf populistische Verbotsforderungen zurückzufallen, die uns in absehbarer Zeit wieder ordentlich auf die Füße fallen werden (und das ist Thema, worüber man ein ganzes Buch schreiben könnte) und die, folgt man dem Juristinnenbund, Ausbeutung und Menschenhandel sogar einfacher machen und Prostituierte in die Hände von Großbordellen drängen werden.

Wollen Sie, dass es allen Prostituierten besser geht?
Aber wie gesagt: Die Frage ist und bleibt: Wollen Sie, dass es allen Prostituierten besser geht und sie alle bald so „privilegiert“ sind, wie die Prostituierten, die Sie diskreditieren, oder wollen Sie, dass es allen schlechter geht, weil das (vermutlich) als Abschreckungsmaßnahme (angeblich) besser funktioniert? Falls es letzteres ist: Seien Sie sich bitte auch darüber bewusst, dass Sie damit in Kauf nehmen, dass manche Prostituierte mit ihrem Leben zahlen müssen, nur weil Sie beschlossen haben, dass es Prostitution nicht geben soll.

Zuletzt eine Anmerkung zu den Zahlen, die wieder mal verbreitet werden, ohne dass sich irgendjemand die Mühe macht zu prüfen, woher sie kommen (um entsprechend widersprechen zu können): Die Schätzung der 400.000 Prostituierten stammt aus den frühem 1980er Jahren. Schon damals beruhte sie nicht auf wissenschaftlichen Methoden und sie tut es (Überraschung!) heute immer noch nicht. Ich wäre Ihnen allen also dankbar, wenn Sie bei diesem Thema aufhören würden, falsche Zahlen zu mobilisieren!

Als Wissenschaftlerin und Historikern sowie als Privatperson bin ich erschüttert, schockiert und zutiefst enttäuscht über diese Veranstaltung, die ich als Ausdruck antidemokratischer Entwicklungen halte, in denen Prostituierte systematisch ausgeschlossen werden, nur noch als unmündige, infantilisierte Kontrollobjekte gesehen werden und in denen Hass und Stigma den Impuls geben, anstatt Respekt und Anerkennung. Bürgerinitiativen müssen Sie ja bekanntermaßen ernst nehmen, aber seien Sie das nächste Mal bitte so nett und laden jemanden ein, der auch andere Ansichten vertritt?! Ja?!

Anerkennung der harten Arbeit, die Sexarbeiter*innen täglich leisten, das wäre ja mal was für die „Gleichberechtigung“. Meinen Sie nicht auch?

—>‚Deutschland- Bordell Europas?‘ – Ausdruck von Respekt und Anerkennung ihres Mutes und Kraft zur Befreiung

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