Skandal im Kreishaus Marburg-Biedenkopf : Landrätin Fründt platziert AfD-Abgeordnete in der Mitte und düpiert demokratische Opposition
Marburg 20.5.2016 (yb/pm) Der Sitzungssaal ist voll besetzt, die zusätzlich aufgestellten Stühle hinten reihum ebenfalls, auf einigen leeren Stühlen liegen Zettel mit dem Vermerk “Reserviert für Mitarbeiter der Kreisverwaltung“. Zwei Kamerateams sind im Saal und in der Mitte hinten finden sich mehrere Tische von Kreistagsabgeordneten nicht besetzt. Es liegt eine Spannung im Raum. Der Kreistagsvorsitzende arbeitet die Tagesordnung ab und geriert sich gelassen. Erster Kreisbeigeordneter Martin Zachow verlässt den Saal zu einem Interview vor laufender Kamera und lässt Landrätin Kirsten Fründt vorn auf der Empore für den Kreisausschuss alleine sitzen. Ganz vorne in der Mitte in mehreren Stuhlreihen, dichtgedrängt ohne Tische, sitzend die Kreistagsabgeordneten der GRÜNEN, der LINKEN und der PIRAT. Es knirscht zur konstituierenden Sitzung des Kreisparlaments Marburg-Biedenkopf. Die Marburger Biedenkopfer GROKO aus SPD und CDU liefert ein Schauspiel instinktlosen Machtverhaltens ab, das seinesgleichen sucht.
Dem sind Gespräche und Verhandlungen vorausgegangen, die nicht gefruchtet haben. Dazu hatten FDP, der PIRAT, die Grünen und die LINKE zuvor zu einer ungewöhnlichen gemeinsamen Pressekonferenz eingeladen. Als deren Ergebnis wurde eine „Gemeinsame Pressemitteilung der demokratischen Oppositionfraktionen“ versendet. Darin findet sich zu lesen: „Ein breites Bündnis der Oppositionsfraktionen im Kreistag von Marburg-Biedenkopf kritisiert die Große Koalition aus SPD und CDU für ihren Kurs, weiter auf ihre Kosten undemokratisch Macht und Posten anzuhäufen. Zudem zeigen sich die demokratischen Oppositionsfraktionen mit der FDP solidarisch, die bei der konstituierenden Sitzung an den rechten Rand verbannt und stattdessen die AfD in der Mitte des Sitzungsrunds platziert werden soll.“
Die Vertreter dieser vier Parteien im Marburg-Biedenkopfer Kreistag verweisen in ihrer gemeinsamen Verlautbarung darauf, dass die durch die Kommunalwahl dezimierte CDU-Fraktion weiterhin sechs Plätze in der vorderen Reihe behalte und niemanden rechts neben sich haben wolle. Die SPD-Landrätin, die sich auch nach zwei Jahren noch nicht als Landrätin aller begreife, habe daher eine Sitzordnung vorgeschlagen, die ein Affront gegenüber den demokratischen Parteien sei. Gegen die in anderen Parlamenten übliche Sitzordnung mit der AfD rechts sollen deren Vertreter in der Mitte des Parlamentes bei den Abgeordneten von und die Abgeordneten der FDP hinter der CDU rechts Platz nehmen. Die fehlende Zustimmung aller Fraktionen, vorgetragene Bedenken und Gegenvorschläge seien ignoriert worden und finden jetzt einen unübersehbaren Ausdruck in der Protest-Sitzweise wider die Stellordnung.
AfD sitzt in der Mitte des Kreistags
Damit leisten es sich SPD und CDU im Kreishaus der AfD einen privilegierten Platz in der Mitte des Sitzungssaales zu gewähren. Das ist krass deplatziert, bedeutete einen Affront an alle Demokraten und insbesondere an die protestierenden Oppositionsabgeordneten. Es ist instinktlos aber offenbar gewollt und wirft ein Licht auf Machenschaften und Desorientierung bei der Landrätin Fründt (SPD), dem Ersten Kreisgeordneten Zachow (CDU), dem Kreistagsvorsitzenden Detlev Ruffert (SPD) und weiteren Verantwortlichen. Die GROKO im Landkreis inszeniert einen Skandal, der stark irritieren muss und alleine Kopfschütteln und Widerstand auf den Plan rufen kann.
Oder steckt mehr dahinter? Dazu finden sich Informationen in der Pressemitteilung der düpierten und frustrierten Oppositionsabgeordneten. Mit weiteren für die konstituierende Sitzung eingebrachten Anträgen schwäche die große Koalition die Opposition und damit die demokratische Kontrolle des Kreistages und verschaffe sich Pöstchen, wird mitgeteilt. Auf entsprechend im Vorfeld eingebrachte Kritik sei sie nicht eingegangen und scheine somit keinen Wert auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den demokratischen Parteien zu legen.
Das ist ein weiterer gravierender Vorwurf. Als Beleg wird angeführt, dass SPD und CDU die Sitze des Kreisausschusses auf 14 reduzieren wollen. Mit dieser Kürzung schwäche die zahlenmäßig ohnehin schon dominierende Große Koalition die demokratische Opposition und stärke zusätzlich die AfD, konstatieren die parlamentarischen Kritiker. Die übrigen Oppositionsparteien haben für eine bessere Repräsentierung des Kreistages eine Erhöhung der Sitze im Kreisausschuss um einen Sitz beantragt, konnten in der Sitzung dafür keine Mehrheit finden.
Weiterhin solle die Zahl der Stellvertreter des Kreistagsvorsitzenden auf drei erhöht werden. Schon der zweite Stellvertreter hatte in den letzten zwei Jahren keine einzige Sitzung geleitet. Drei Stellvertreter würden nicht demokratisch den Kreistag repräsentieren, so die Kritik. Außerdem wollen SPD und CDU die Sitze des Kreisausschusses auf 14 reduzieren, was die Oppsition schwächt.
Die Große Koalition habe zudem signalisiert, vier der fünf Ausschussvorsitzenden zu beanspruchen – trotz ihrer durch die Kommunalwahl dezimierten Größe also mehr Vorsitzende als bisher wolle. Den Vorsitz des Haupt- und Finanzausschusses der Opposition zu überlassen, wie es in vielen Parlamenten guter demokratischer Brauch ist, komme für die große Koalition nicht in Frage. Sie beraube somit trotz ihrer übergroßen Mehrheit die Opposition um ein wichtiges Element der demokratischen Kontrollfunktion des Kreistages.
„Somit zeichnet sich für die Abgeordneten von Grünen, Linken, Freien Wählern, der FDP und der Piratenpartei ein schlechter Start in die neue Wahlperiode des Kreistages von Marburg-Biedenkopf ab“ teilen die Parteien abschließend mit. Nicht alleine für die gewählten Abgeordneten, ist hinzuzufügen.
Im Kreishaus Marburg-Biedenkopf wird derzeit in unverantwortlicher Weise demokratische Kultur beschädigt, ja mit den Füßen getreten. Die Außenwirkung ist verheerend. Landrätin Fründt zeigt sich gerne bürgernah, überschlägt sich mit Foren und Angeboten zur (vermeintlichen) Einbeziehung der Menschen. Ihre allererste Pflicht ist es die gewählten – mitunter kritischen und unbequemen – Kreistagsabgeordneten und deren Mandat zu würdigen und zu respektieren.
Ansonsten bleibt alle Distanzierung von der AfD hohles Lippenbekenntnis. Dringender Korrekturbedarf Frau Landrätin! Oder wollen sie dem CDU-Granden Dr. Christian Wagner und seinem Berliner Kreis gefällig dienern. Dort will man keine Kräfte rechts von der CDU. In den Kreistag sind Abgeordnete der Afd gewählt worden. Die gehören auch in der Sitzordnung an den rechten Rand des Saales – nicht in die Mitte, wie unglaublicherweise derzeit unbegreiflich und provozierend platziert.