Defizitäre Familienpolitik: „Arm“ und „reich“ in Deutschland
Marburg 22.6.2016 (pm/red) Trotz zahlreicher staatlicher Umverteilungsmaßnahmen hängen Einkommen und Armutsrisiko in Deutschland in erheblichem Maße vom Haushaltstyp und dem Vorhandensein von Kindern ab. Wie eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Familienpolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung zeigt, gelingt es Haushalten mit Kindern im Schnitt nicht, durch Erwerbsarbeit, durch die Unterstützung des Staates und sonstige Einkünfte ein Einkommen zu erzielen, das den durch die Kinder entstehenden zusätzlichen Bedarf vollumfänglich decken würde.
Besonders gilt dies für Haushalte von Alleinerziehenden: So lag beispielsweise das bedarfsgewichtete verfügbare Einkommen in Haushalten von nicht erwerbstätigen Alleinerziehenden pro Kopf bei gerade einmal 45 Prozent des Einkommens von Paaren ohne Kinder. Wenig bekannt war bisher über die Verteilungswirkung der ehe- und familienbezogenen Leistungen. In der Studie untersucht wurden steuerliche Entlastungen wie etwa das Ehegattensplitting, die Subventionierung der Kinderbetreuung und monetäre Transfers wie das Kindergeld, das Elterngeld, der Kinderzuschlag sowie anderes mehr.
Ohne diese Steuer- und Transferleistungen läge das Armutsrisiko in Deutschland bei 18,3 Prozent statt 15,2 Prozent und bei der Kinderarmut ergäbe sich sogar ein Wert von 33,8 Prozent statt 18,3 Prozent. Die Familienpolitik leistet also durchaus einen Beitrag zur Verringerung des Armutsrisikos. „Durch eine stärkere Konzentration auf bedürftige Familien könnte der Beitrag aber noch stärker ausfallen. Derzeit streuen viele Leistungen sehr breit, und wohlhabende Familien werden tendenziell sogar stärker gefördert“, erklärt Dr. Holger Stichnoth, der Verfasser der Studie am ZEW.
Während 13 Prozent der Ausgaben für die hier untersuchten Leistungen an die reichsten zehn Prozent der Haushalte gehen, liegt der Anteil der Ausgaben für die ärmsten zehn Prozent der Haushalte bei lediglich sieben Prozent. Verantwortlich für die stärkere Förderung reicherer Familien sind in erster Linie die steuerlichen Leistungen (Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge), deren Wert mit dem zu versteuernden Einkommen wächst. Steuerliche Leistungen sind daher generell wenig wirksam zur Verringerung des Armutsrisikos. Vor diesem Hintergrund ist etwa eine Umwandlung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende in einen (höheren) Steuerabzugsbetrag skeptisch zu betrachten.
Wie die Studie zeigt, könnte für Ausgaben gleicher Höhe auch eine auf Alleinerziehende beschränkte Kindergelderhöhung um 100 Euro finanziert werden. Dadurch ließe sich das Armutsrisiko bei Kindern von Alleinerziehenden deutlich wirksamer reduzieren (um vier Prozentpunkte bei einem Ausgangswert von 41 Prozent).
Eine besondere Förderung erfahren in Deutschland Paare, in denen nur ein Partner erwerbstätig ist. Für sie liegt der Wert der hier untersuchten ehe- und familienbezogenen Leistungen im Schnitt bei 100 Euro (Paare ohne Kinder) beziehungsweise 608 Euro pro Monat (Paare mit Kindern). Das ist mehr, als Paare erhalten, die erwerbslos sind. Arbeiten beide Partner, dann sinkt der durchschnittliche Betrag auf 70 beziehungsweise 508 Euro pro Monat. Verantwortlich hierfür sind der Transferentzug durch das höhere Einkommen und der Splittingvorteil, der umso größer ausfällt, je stärker sich die beiden Partner in ihren zu versteuernden Einkünften unterscheiden.