Geschlechterkampf im Möbelhaus – Waggonhallen-Inszenierung begeisterte Publikum
Marburg 22.6.2016 (yb) Freitagabend in einem Möbelhaus ist bei heutzutage erweiterten Öffnungszeiten an und für sich keine Besonderheit. Doch der letzte Freitagbend im ‚Güterbahnhof 12‘ lässt sich ohne weiteres als Erlebnisabend bezeichnen. So viele Kunden wird Michael Seibert zudem abends wohl nur selten in seiner besonderen Verkaufshalle mit Industrieflair begrüßen. Und eine Sekt- und Weinbar, wie an diesem Freitag, ist sowieso dort nicht der Standard. Theater war angesagt, die Waggonhalle ging fremd und Regisseur Matze Schmidt zeigt mit den beiden Darstellern Inga Berlin und Uwe Lange, dass ein Ort des Möbelkaufes für das traute Heim schon lange für eine Off-Inszenierung von Dario Fo´s ‚Offene Zweierbeziehung‘ taugt.
Nein nicht taugt, geradezu angezeigt ist. Etwa 80 BesucherInnen, viele aus der Region mittleren und älteren Jahrgangs, fanden spielend Platz in Clubsesseln, auf Esszimmerstühlen an ebensolchen Tischen und verteilten sich im vormaligen Lagergebäude der Bahn. Beziehungskiste war angesagt und Inga Berlin zeigte sich länger als leidende Ehegattin, die die umtriebigen Aktivitäten ihres Mannes mit anderen und jüngeren Geschlechtsgenossinen nicht weiter tatenlos und klaglos über sich ergehen lassen wollte.
Anfänglich von Suizid- und dann Mordgedanken getragen und eine leidend im Stillen noch hoffende Gattin mimend, entwickelte sich das Stück dialog-disputisch mit dem sich als Gigolo gerierenden Ehemann in mittleren Jahren. Ganz gelöst im Hier und Jetzt auftretend, war dieser Mann sich nicht zu schade zu betonen, dass die wahre Beziehung samt Vertrauen ihr, seiner Ehefrau gelte. Uwe Lange brillierte.
Musikalische Zwischenspiele mit Titeln aus der Neuen Deutschen Welle ließen hörbar werden dabei Besucherinnen zu einer Tanzeinlage auf die Beine bringend, dass die eigentliche Zeit der offenen Zweierbeziehung schon eine Weile her ist. Weiter in die nächste Runde.
Die beiden Schauspieler tanzten und schwelgten, bespielten den Raum, schlenderten und eilten durch Gänge zwischen Tischen und Stühlen, wo das Publikum verweilte und sich unübersehbar amüsierte.
Im Lauf des etwa einstündigen Kämpfens in Verbalattacken mit gelungenen Dialogen kam, was kommen musste. Das starke Geschlecht, von Inga Berlin authentisch verkörpert, erwies sich als lernfähig. So sehr Uwe Lange seine Blicke ins Publikum richtete, seine Augen rollte und den gar nicht makelosen Manneskörper inszenierte, er geriet auf die Verliererstraße.
So kam es und wurde offenbar. Diese Frau erwies sich als genauso und mehr in der Lage zur offenen Zweierbeziehung. Der Gigolo schaute in die Röhre, präszise dem neuen Geliebten seiner Gattin ins Auge. Viel Applaus für die Akteure, ein vergnüglich gestimmtes Publikum war belohnt für den abendlichen Gang in den ‚Güterbahnhof 12‘ um Theater einmal anders erleben. Die Spielstätte bot Ambiente und die Adaption von Dario Fo in unsere Zeit konnte lebendiger kaum geleistet werden.
Sternbald-Fotos von Hartwig Bambey