Mehr als 43 Millionen Euro für Stadthalle Marburg – Baukosten von 5,7 Millionen Euro wurden anderweitig verbucht
Marburg 24.10.2016 (yb) Eine Große Anfrage von Stadtverordneten Dr. Hermann Uchtmann von der Marburger Bürgerliste bringt jetzt neue und ganz andere Zahlen und Transparenz in die Zahlenwerke, die bisher unvollständig und stark verkürzend, ja sogar verfälschend, vom Magistrat zu den Baukosten der Stadthalle verlautbart worden sind. Per schriftlicher Antwort auf die Große Anfrage Uchtmanns vom 29. Juni 2016 datiert mit 30. September 2016 liegen die Zahlen und Hintergründe auf dem Tisch. Rund 5,7 Millionen Euro Baukosten wurden demnach verschwiegen und vorenthalten, sind jedenfalls in den offiziellen Zahlenwerken, die der Magistrat den Stadtverordneten vorgelegt hat, überhaupt nicht enthalten.
Dazu zählen beispielsweise 700.000 Euro Kosten für die Gastronomieeinrichtung, 470.050 Euro für die Photovoltaikanlage des Erwin-Picator-Hauses, 255.000 Euro für die Kommunikationsinfrastruktur oder 2.214.000 Euro für die Außengestaltung des Geländes der Stadthalle. Saldiert man die einzelen Positionen, ergibt sich ein Betrag von mehr als 5,7 Millionen Euro höherer tatsächlicher Baukosten. Das sind rund 15 Prozent des Betrages als tatsächliche Mehrkosten mit dem der Magistrat bisher als Baukostenberechnung operiert hat.
Im “Sachstandsbericht Nr. 5 Bauprojekt Erwin-Piscator-Haus“, der der Stadtverodnetenversammlung am 14.10.2016 vorgelegt wurde, finden sich Baukosten in Höhe von 37.627 Millionen Euro. Mithin hält es der Magistrat selbst nach Vorliegen der Antwort mit den Zahlen der Großen Anfrage noch für vertretbar mehr als 5 Millionen Euro Kosten vorzuenthalten.
das Marburger. veröffentlicht untenstehend die Beantwortung der Großen Anfrage zum Erwin-Piscator-Haus. Über die Konsequenzen bisheriger grob irreführender und verkürzender Berichterstattung der Stadtregierung kann jeder selbst nachdenken. Gefordert sind hier zuallererst die Stadtverordneten in ihrer Aufgabe und Verantwortung zur Kontrolle des Handelns von Magistrat und Verwaltung.
Der Magistrat Marburg, 30. Sept. 2016
Herrn Stadtverordneten
Dr. Hermann Uchtmann
Steinacker 16
35043 Marburg
Große Anfrage der FDP/MBL-Fraktion betr.: Umbaurenovierung des Erwin-Piscator-Hauses (EPH)
Sehr geehrter Herr Dr. Uchtmann,
die o.g. Große Anfrage wird wie folgt beantwortet:
Fragen:
1. Wie hoch waren die veranschlagten Baukosten bei Erteilung der Aufträge?
zu 1: In der Sitzung am 30.11.2012 hat die Stadtverordnetenversammlung die Ausfüh-rungsplanung mit einem Kostenvolumen von 24,125 Mio. € netto (28.709 Mio. € brutto) genehmigt (Projektbeschluss gemäß AGA, Anlage 21, 2.4. Die Gesamtkosten von 28.709 Mio. € (brutto) beinhalteten die Baukosten für das Gebäude, die Kosten der Ausstattung, einen Teil der Außenanlagen (Fläche Innenhof und Fläche zwischen Erwin-Piscator-Haus und Martin-Luther-Schule), die Nebenkosten und die Architektenleistungen.
Diese Kosten teilten sich wie folgt auf die einzelnen Nutzungseinheiten auf:
ursprüngliches Budget
Stadthallenveranstaltungsservice mit Hessischem Landestheater und Gastronomie: 16.164 T€
Kommunikations- und Freizeitzentrum e.V. (KFZ): 3.860 T€
Marburg Tourismus und Marketing GmbH (MTM): 2.412 T€
Martin-Luther-Schule (MLS): 1.689 T€
Summe (netto): 24.125 T€
Summe (brutto): 28.709 T€
2. Wie hoch sind die tatsächlichen Baukosten per Abrechnung 30.6.2016?
Zu 2. 35.365.270 €
3.Welche Gesamtbausumme (= Baukosten) sind zu erwarten?
Zu 3. Gemäß Sachstandsbericht Nr. 5 ist mit Gesamtkosten in Höhe von 37.626.302 € (real case) zu rechnen. Diese teilen sich wie folgt auf:
Summe Kosten real case
Stadthallenveranstaltungsservice mit Hessischem Landestheater und Gastronomie: 21.185 T€
Kommunikations- und Freizeitzentrum e.V. (KFZ): 5.059 T€
Marburg Tourismus und Marketing GmbH (MTM): 3.162 T€<
Martin-Luther-Schule (MLS): 2.213 T€
Summe (netto) 31.619 T€
Summe (brutto) 37.627 T€
Darin enthalten sind Ansätze für Weiterbelastungen an Dritte in Höhe von 965.000 €. Die Durchsetzung dieser Ansprüche ist aus juristischer Sicht nicht sicher.
4. Welche Kosten im Zusammenhang der Maßnahme EPH sind nicht in den Baukosten enthalten?
Zu 4. Gastronomieeinrichtung 700.000 €
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2015/16, Produkt 660010, Verwaltung und Bewirtschaftung bebauter Grundstücke, Investitionsnummer I601.001.4 Gastronomieeinrichtung Stadthalle. Die Veranschlagung unter dem genannten Produkt erfolgte, weil die Anschaffung ursprünglich durch den Pächter erfolgen sollte. Es stellte sich dann jedoch heraus, dass bei einer solchen Lösung die Vorsteuerabzugsberechtigung entfallen würde. Daher mussten die Kosten für Küche und Gastronomieeinrichtung nachträglich veranschlagt werden.
Teilmobiliar MLS 40.000 €
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2015/16, Produkt 240070, Bereitstellung und Betrieb von Gymnasien, Investitionsnummer I405.001.9. Veranschlagt unter dem genannten Produkt, weil für die Anschaffung von Ausstattungsgegenständen der FD Schule zuständig ist.
Umbau Galeria Classica 100.000 €
Kosten für angemietete Räume für ausgelagertes Inventar Miete 174.000 €
Mietnebenkosten 57.000 €
331.000 €
Die Kosten von 331.000 € wurden im Ergebnishaushalt 2013 veranschlagt. (s. o.)
Technische Ausstattung für Ersatzspielstätten HLT 220.000 €
(wird im EPH wieder eingebaut).
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2013, Produkt 241030, Veranstaltungsdienstleistungen, Investitionsnummer I413.001.9.
Ergänzung der Tonanlage 55.000 €
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2015/16, Produkt 241030, Veranstaltungsdienstleistungen, Investitionsnummer I413.001.9. Veranschlagung unter dem genannten Produkt, weil für die
Anschaffung von Ausstattungsgegenständen der FD Kultur bzw. Erwin-Piscator-Haus zuständig ist.
Photovoltaikanlage 470.050 €
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2015/16, Produkt 660010, Verwaltung und Bewirtschaftung bebauter Grundstücke, Investitionsnummer I650.006.3, Installation von PV-Anlagen. Unter dieser Investitionsnummer müssen aus Gründen der Doppik (kaufmännische Buchführung) alle neuen PV-Anlagen
veranschlagt werden.
Kommunikationsinfrastruktur Stadthalle 255.000 €
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2015/16, Produkt 111010, Information und Kommunikation, Investitionsnummer I111.001.5 Kommunikationsinfrastruktur Stadthalle (nur Anschaffung der Hardware, die hierfür benötigten Leitungen sind in den Baukosten enthalten). Veranschlagung unter dem genannten Produkt, weil für die Anschaffung der Hardware der FD Technische Dienste zuständig ist.
Anteil Vorfläche EPH an der Biegenstraße 2.214.000 €
Veranschlagt im Finanzhaushalt 2015/16, Produkt 666010, Verkehrsanlagen, Investitionsnummer I661.008.2 Außenanlagen Stadthalle/Umgestaltung Biegenstraße. Veranschlagung unter dem genannten Produkt, weil eine gemeinsame Durchführung mit der Umgestaltung der Biegenstraße erfolgte.
5.Wie hoch sind die Kosten für die Außengestaltung
a) auf dem städtischen Gelände des EPH?
b) in den angrenzenden Bereichen Savignystraße, vor dem Ernst-von-Hülsen-Haus?
c) auf der gegenüberliegenden Seite der Biegenstraße?
Zu 5. Kosten für die Außengestaltung
a) Gelände EPH 2.214.000 €
b) Angrenzende Bereiche 1.052.000 €
c) Gegenüberliegende Seite der Biegenstraße 364.000 €
6. Wer trägt die Kosten für die Einrichtung der Gastronomie (Küche, Mobiliar etc.)?
Zu 6. Universitätsstadt Marburg.
7. Wie hoch sind anteilig die Kosten für die Klassenräume der ML-Schule?
Zu 7. 2.634 Mio. €
8. Sind diese Kosten im Etat der Baukosten EPH enthalten und dargestellt?
Zu 8. Ja, die Kosten für die Erweiterung der Martin-Luther-Schule sind in den Baukosten EPH enthalten (s. Kostenstandsbericht Nr. 5, Drees & Sommer, S.6) und nicht separat im Finanzhaushalt ausgewiesen.
9. Wenn nicht, wo und wie genau sind diese Kosten etatisiert?
Zu 9. Siehe Antwort zu Frage 8.
10. Gab es im Zug der Baumaßnahme EPH Eingriffe in die Ausstattung, Innenausstattung um Kosten zu senken?
Zu 10. Ja. Ausstattung, Reduzierung der Möblierung im Foyer (I. OG) und Dachterrasse, Orchestermöblierung und Kunstwerke, insgesamt 109.480 €.
Als Maßnahme gegen die gestiegenen Gesamtkosten, aufgezeigt in den Sachstandsberichten Nr. 3 und Nr. 4, wurden Einsparmöglichkeiten gesucht und genutzt.
11. Sind die Betonfußböden Teil der ursprünglichen Planung?
Zu 11. Ja. Für die Umgestaltung und Erweiterung des Hauses war von Beginn an die Ausführung der Wände in Sichtbeton und des Fußbodens in geschliffenem Zementestrich im Foyerbereich vorgesehen. Diese Ausstattung ist vergleichsweise günstig, gehört aber auch zum Gestaltungskonzept des Architekturbüros.
12. Wurde an der Innenausstattung (Fußböden, Wand- und Deckengestaltung, Möblierung etc.) im Lauf der Baumaßnahme Einschnitte gemacht, um Kosten einzusparen?
Zu 12. Siehe Antwort zu Frage 10.
13.Wenn ja, welche und in welcher Höhe hat sich ausgewirkt?
Zu 13. Siehe Antwort zu Frage 10.
14. Gibt es absehbare Rechtsstreitigkeiten bei der Leistungserfüllung der beauftragten Firmen und Kostenabrechnung?
Zu 14. Ja, es sind Rechtsstreitigkeiten absehbar. Zum einen weil Firmen verschiedene Forderungen bezüglich Bauzeitverlängerung und Änderungen des Leistungsumfanges versuchen geltend zu machen. Zum anderen weil der Stadt Marburg durch Schlechtleistung verschiedener Beteiligter Schäden entstanden sind, welche von den Verursachern ersetzt werden sollen.
15. Wurde die Gestaltung der Außenanlagen ausgeschrieben und wurde dabei auf die Tariftreue der beauftragten Unternehmen Wert gelegt?
Zu 15. Ja. Die Erklärung zur Tariftreue wird grundsätzlich gem. Hessisches Vergabe- und Tariftreuegesetz vom Bieter mit Angebotsabgabe verlangt.
16. Gibt es bereits weiteren Nachrüstungsbedarf, wie etwa bei den Betonquadern auf dem Platz vor der Gastronomie als Stolperfallen und wenn ja welche?
Zu 16. Ja, z. B. Handlauf bzw. Geländer am Hubboden und Motoren des fahrbaren Rangs.
17. Gab oder gibt es Überlegungen hinsichtlich eines Parkleitsystems für Nutzer im EPH?
Zu 17. Vom Fachdienst Erwin-Piscator-Haus wurde mit den Stadtwerken ein Konzept entwickelt, das die Möglichkeit bietet, mit einem Ticket für eine Veranstaltung (RMV-Kombiticket) gleichzeitig den ÖPNV kostenlos zu nutzen.
18. Bleibt es bei der äußerst spärlichen Möblierung des Foyer Bereichs und der Dachterrasse, wo Bürger und Besucher gerne ohne konsumieren zu müssen verweilen könnten und möchten?
Zu 18. Kosten für Anschaffungen von weiterer Möblierung sind im Budget nicht enthalten. Auch hier ist es angebracht die ersten Betriebserfahrungen abzuwarten, um über Ergänzungen zu entscheiden.
Zuständiger Dezernent: Bürgermeister Dr. Kahle
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Spies
Oberbürgermeister