Forschungsergebnisse „Blista in der NS-Zeit“ liegen vor
Marburg 9.11.2016 (pm/red). Zu ihrem 100-jährigen Bestehen hat die Blindenstudienanstalt (Blista) mit Unterstützung der Geschichtswerkstatt Marburg unter dem Titel „Die Blista in der NS-Zeit“ die eigene Vergangenheit untersuchen lassen. Blista-Direktor Claus Duncker stellte die Ergebnisse mit dem Historiker Dr. Klaus-Peter Friedrich vor. „Wer 100 Jahre alt ist, blickt gerne einmal zurück“, erklärte Blista-Direktor Claus Duncker den Ausgangspunkt für die umfangreichen Untersuchungen. „Die Vergangenheit ändert sich nicht, wenn wir sie ignorieren“, machte er zugleich die Motivation deutlich, sich auch dem Thema der Blista im Nationalsozialismus zu stellen. Wenn diese Untersuchungen dazu beitragen könnten, dass sich Vergangenheit nicht wiederhole, „dann haben wir unser wichtigstes Ziel erreicht“, so Duncker.
Historiker Dr. Klaus-Peter Friedrich von der Geschichtswerkstatt gab in seiner Analyse einen Überblick von den Anfängen der Blista über die Zeit zwischen 1933 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den späten 1940er Jahren. Der Politikwissenschaftler Dr. Wolfgang Form von der Philipps-Universität Marburg lieferte einen Beitrag über Schülerinnen und Schüler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Blista im Visier der „Sozialhygiene“. Unter den Anwesenden waren aktuelle wie ehemalige Studierende, Lehrerinnen und Lehrer sowie aktuelle und ehemalige Mitglieder der Leitung und der Blindenstudienanstalt Verbundene.
Ihren Ursprung hat die Blista in Marburg im Ersten Weltkrieg. Auf Betreiben des Vereins der blinden Akademiker Deutschlands und maßgeblich unterstützt vom Direktor der Marburger Augenklinik, Alfred Bielschowsky, wurde noch im Krieg der Verein „Hochschulbücherei, Studienanstalt und Beratungsstelle für blinde Studierende“ gegründet, aus dem in den Folgejahren die Blista hervorging. Zunächst für im Krieg erblindete Männer eingerichtet, avancierte sie in den 1920er Jahren zu einem Zentrum der fachschulischen und gymnasialen Ausbildung in Deutschland. In- und ausländische Schülerinnen und Schüler bereiteten sich auf ein selbständiges und eigenverantwortliches Leben, aufbauend auf einer fundierten Berufsausbildung bis hin zum Studium, vor. Ab Mitte der 1930er Jahren nahm die Zahl der „Zivilblinden“ zu. Sie stellten Anfang der 1930er Jahre das Gros der Auszubildenden.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich einiges: Die Blista wurde gleichgeschaltet, der NS-Volkswohlfahrt unterstellt. Jüdinnen und Juden durften nicht mehr ausgebildet werden und neben einem „Arier-Nachweis“ musste ein „erbgesundheitliches Gutachten“ vorgelegt werden. Einige der Schülerinnen und Schüler sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden zwangssterilisiert.
Ein zentrales Betätigungsfeld der Blista war die Produktion von Punktschrift-Publikationen und technischen Hilfsmitteln für Blinde. Das Angebot reichte von Sachbüchern über Zeitschriftenartikel bis hin zur schöngeistigen Literatur und Propaganda: so wurde 1933 auch Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in Punktschrift verlegt. Zu Beginn der 1930er Jahre umfasste die eigene Bibliothek mehrere zehntausend Werke. Ab 1933 kam die nationalsozialistische Literatur hinzu, verbotene, vom Regime unerwünschte Schriften wurden entfernt.
Die Forschungsergebnisse werden barrierefrei publiziert. Interessierte können sich bei Dr. Imke Troltenier per E-Mail an troltenier@blista.de oder per Telefon unter (06421)606-220 melden. Interessierte können die zugehörige barrierefreie Ausstellung „blick:punkte“ im kleinen Rittersaal des Marburger Landgrafenschlosses besuchen. Anhand von Exponaten zum Anfassen und Ausprobieren werden die über die Jahrzehnte erfolgten Entdeckungen immer neuer Möglichkeiten für ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben selbst erfahrbar.