viva piazza fridericianum – Stricken, Stricken, Stricken bis zum 8. März

22.12.2024 (yb) Viele, sehr viele 50 x 50 cm große gestrickte oder gehäkelte Decken sollen den Friedrichsplatz am 8. und 9. März bedecken und werden anschließend zu Gunsten des Autonomen Frauenhauses Kassel versteigert.

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Zum 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz

Käthe Kollwitz. Foto von Robert Sennecke

Marburg  9.1.2017 Gastbeitrag von von Ursula Wöll.  Am 23. August  1923 besucht Käthe Kollwitz wieder einmal ihren Sohn Hans und dessen Familie. Sie notiert in ihr Tagebuch: „Am Sonntag endlich in Lichtenrade gewesen. Ich ging vom Atelier hin und kam zum Mittagessen zu spät. Alle schliefen. Im Zimmer fand ich die Körbe mit den Zwillingen und stellte mich zwischen die Körbchen. Beide Kinderchen drehten ihre Köpfchen mir zu und beobachteten mich. Beide sahen blass aus, weil beide darmkrank gewesen waren. Jördis und Jutta haben dasselbe Gesicht….“ Die damals wenige Monate alte Enkelin Jördis sollte es nach dem 2. Weltkrieg nach Marburg verschlagen. Als  Bibliothekarin leitete sie die Marburger Stadtbücherei, und zwar laut Auskunft des Stadtarchivs von Juni 1947 bis Ende August 1951. In dieser Zeit, im August 1949, heiratete sie auch. Heute lebt die nun 93Jährige in Köln. Als das Universitätsmuseum Marburg 1947 eine Ausstellung mit Druckgrafik ihrer Großmutter zeigte, steuerte Jördis Kollwitz einen Aufsatz zum achtseitigen Katalog bei.

 

Die Exponate waren in ähnlicher Auswahl bereits zuvor in Frankfurt gezeigt worden. Mit ihnen hatte Hanna Bekker vom Rath ihr „Kunstkabinett“ eröffnet. Diese Galerie, die heute in der Braubachstraße residiert, brachte den Kunstbetrieb im noch stark zerbombten Frankfurt wieder in Gang. Bekker vom Rath kannte die Kollwitz von einem Besuch in Berlin persönlich. Abgesehen davon, was lag so kurz nach Kriegsende näher als eine Eröffnungsausstellung  mit Werken der engagierten Künstlerin? Sie hatte ja nicht nur die Not der armen Leute zu ihrem Thema gemacht, sondern war in einem schmerzhaften Prozess auch zur Pazifistin geworden. Ihr 1924 entstandenes Plakat „Nie wieder Krieg!“ wird bis heute auf Friedensdemonstrationen getragen. Während seiner Entstehung notierte sie in ihrem Tagebuch: „Wenn ich mich mitarbeiten weiß in einer internationalen Gemeinschaft gegen den Krieg, hab ich ein warmes, durchströmendes Gefühl…. Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit…“

In diesem Tagebuch stehen aber auch, Jahre zuvor, ganz kontroverse, erschreckende Sätze. Sie zeigen, dass sich die Kollwitz von der allgemeinen Kriegsbesoffenheit vor dem 1. Weltkrieg anstecken ließ. Peter, der jüngere ihrer beiden Söhne, war 1914 noch nicht volljährig. Er brannte darauf, sich freiwillig zu melden. Und Käthe überredete ihren Mann Karl, seine schriftliche Einwilligung zu geben. Beide waren im sozialdemokratischen Milieu zu Hause, aber selbst diese Partei bewilligte ja die Kriegskredite im Reichstag. Das alles ist heute schwer zu verstehen: Wie kann man vom weihevollen Opfertod für das Vaterland schwärmen? Wie kann man den Einmarsch der kaiserlichen Truppen in Belgien kritiklos hinnehmen? Wie kann man plötzlich in den Franzosen Feinde sehen? War doch Käthe Kollwitz zweimal in Paris gewesen und verehrte den Bildhauer Rodin! Die meisten Künstler und Intellektuellen wurden damals von diesem nationalistischen Taumel mitgerissen. Man denke an August Macke, der nur wenige Wochen später tot war. Genau wie Peter Kollwitz.

Nun löste sich seine Mutter in einem langen Prozess von dem lebensverachtenden Gewaber und schuf Grafiken mit dem Goethezitat  „Saatfrüchte dürfen nicht zermahlen werden“ als Titel oder „Gefallen!“ mit einer verzweifelten Mutter, umgeben von ihrer Kinderschar. So wird die Künstlerin für mich zu einem Beispiel dafür, dass es möglich ist, seine Meinung oder sein Verhalten zu ändern, Irrtümer zu korrigieren. Ihre Tagebücher und die zahlreichen Selbstporträts sind Ausdruck ihrer ernsthaften Selbstreflexion..

Vermeer Das Mädchen mit dem Perlenohrring

Käthe Kollwitz Arbeiterfrau mit Ohrring

In ihrer künstlerischen Hinwendung zu den Armen und Ausgebeuteten gab es keinen solchen Bruch. Bekannt wurde sie mit ihrem Zyklus „Ein Weberaufstand“, der von der Uraufführung des Hauptmannschen Dramas „Die Weber“ 1893 inspiriert war. 1910 entstand das Blatt „Arbeiterfrau mit dem Ohrring“.Mir scheint, dass Käthe Kollwitz ihre Kunst mit dieser Arbeit klar positionieren wollte. Der Titel erinnert an Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“, ebenso die Darstellung der Figur im Halbprofil. Doch die Arbeiterfrau kann sich die bürgerlich-modische Aufmachung nicht leisten, ihr Ohrring ist winzig und ihr Gesicht von Sorgen gezeichnet. Sie wirkt verbraucht, obwohl sie kaum älter als das Mädchen scheint. Käthes Ehemann Karl war ‚Armenarzt‘, die Praxis befand sich in der Wohnung im damaligen Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg, die PatientInnen warteten im Flur. So kannte die Künstlerin die existentiellen Nöte und die Dramen in den Mietskasernen mit ihren Hinterhöfen aus erster Hand

Das soziale Engagement der Künstlerin und vieler anderer verhinderte nicht, dass es weiterhin Kriege und Arme gibt. Vor allem deshalb ist ihr grafisches und plastisches Werk nach wie vor aktuell und wegen seiner verständlichen Aussagen populär. Sie selbst verlor noch ihren Enkel Peter im 2. Weltkrieg. Eine Reihe ihrer Arbeiten wurden von den Nazis als ‚entartet‘ geadelt. Ihre Wohnung und die ihres Sohnes in Berlin wurden zerbombt. Da wohnte sie bereits als Flüchtling in Nordhausen, später dann in Moritzburg. Ihr Mann Karl war 1940 verstorben. Das Kriegsende erlebte sie nicht mehr, sie starb Ende April 1945, Obwohl sie ihre Mütterfiguren so gebückt schuf und ihr Gesicht auf Aufnahmen selten lächelt, war sie wohl eine oft fröhliche Frau, die lachen konnte und Freundschaften pflegte. Ihre sporadischen Schaffenskrisen fielen mit seelischen Tiefs zusammen, weil bei ihr Leben und Werk eine Einheit bildeten.

Im Jahr 2017 jährt sich ihre Geburt  zum 150. Mal. Als Käthe Schmidt kam sie in Königsberg auf die Welt. In Königsberg erhielt sie auch, vom Vater bestärkt, ihre ersten Malstunden, bevor sie in München unter die „Malweiber“ ging und hier ihre Ausbildung fortsetzte. Es wird 2017 also eine Reihe von Ausstellungen geben, die das Kölner Kollwitz Museum unter www.kollwitz.de auflistet. Eine lesenswerte und lesbare Biografie von Yury und Sonya Winterberg erschien bereits Ende 2015.

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