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Das koloniale Erbe in unseren Köpfen – 60 Jahre Unabhängikeit für Ghana

Die Independent Arch in Accra. Foto George Appiah Quelle Wikipedia

Marburg 1.3.2017 Gastbeitrag von Ursula Wöll Vor 60 Jahren, am 6. März 1957, wurde die britische Kronkolonie Goldküste unabhängig und in Ghana umbenannt. Die junge Republik Ghana war die erste in Schwarzafrika, die sich aus eigener Anstrengung dekolonisierte. 1960 folgten dann, ermuntert durch das ghanaische Beispiel, weitere subsaharische Staaten in die Unabhängigkeit. Die Vorreiterrolle Ghanas ist ohne den Panafrikaner Kwame Nkrumah nicht denkbar, ebensowenig die rasche Dekolonisierung weiterer Staaten, da Nkrumah deren Unabhängigkeitsstreben unterstützte.

Kwame Nkrumah

Nkrumah, Sohn eines Goldschmieds, hatte in den USA und in England studiert und bereits dort Diskussionen über den Weg in die Unabhängigkeit seines Landes geführt. Ihm schien das gemäßigte Konzept einer Dekolonisierung in kleinen Schritten erfolglos, er gründete die People’s Convention Party PCP und forderte ‚Independance NOW‘. Damit entstand eine breite Volksbewegung. Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, der damals Schüler in einem Internat in Cape Coast war, erwähnt in seiner Autobiografie, wie politisiert seine Jugend durch diese jahrelange Bewegung war. Er war fasziniert von Nkrumah, während sein Vater zur gemäßigten Gruppierung gehörte, die sich peu á peu vom ‚Mutterland‘ lösen wollte. Kofi Annan schreibt: „Für mich selbst war das Erwachsenwerden untrennbar mit dem Unabhängigkeitskampf verknüpft….Die gesamte Gesellschaft mobilisierte sich, denn jeder trug auf seine Weise zum Kampf für die Unabhängigkeit bei…Als junger Mann war ich stark beeinflusst von den Diskussionen, die mein Vater und seine Freunde in unserem Haus führten. Gleichzeitig fühlte ich mich von der Leidenschaftlichkeit und Dringlichkeit von Nkrumahs Forderung nach ‚Unabhängigkeit jetzt‘ angezogen.“

An der Spitze des jungen Staates hatte Nkrumah ebenso große Eile, sein Land voranzubringen. Er forcierte die industrielle Entwicklung, auch um von den Weltmarktpreisen für Kakao oder Holz unabhängiger zu werden. Er verstaatlichte die Industrie, baute den Volta-Staudamm, einen neuen Hafen, Straßen und Schulen, so dass die Infrastruktur des Landes heute relativ gut ist. Als Sozialist orientierte er sich eher nach Osten. War es diese dem Westen missfallende Ausrichtung,war es das allzu schnelle Vorgehen bei der Industrialisierung, war es seine zunehmende Hybris – nur noch eine Partei war zugelassen -, jedenfalls wurde er 1966 als Präsident durch einen Militärputsch gestürzt.

Nach vielen unruhigen Jahren scheint heute Ghana zu einer relativ stabilen Demokratie zurückgekehrt. Es ist das am höchsten entwickelte Land in der Region und hat die geringste Analfabetenrate. Kindergarten, Grundschule und Junior High School sind gebührenfrei. Nun, zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit,  wird auch der Besuch der Senior High School kostenlos, um mehr Leute zum Studium zu bringen. Wie der zu erwartende Andrang räumlich und personell bewältigt werden soll, ist noch in der Diskussion.

Das deutsche Kolonialreich

Die Küste Ghanas war einst einer der größten Umschlagsplätze für Sklaven. Sogar die Deutschen beteiligten sich kurz am transatlantischen Handel. Der Große Kurfürst gründete dafür 1682 die Afrika-Compagnie. Seine Festung Groß Friedrichsburg in Westghana existiert noch heute. Mit einer kleinen Flotte stieg man ins Geschäft ein. Eigens erbaute Sklavenschiffe wie die Friedrich III. fassten 800 Sklaven. Bis zu 30000 dieser Unglücklichen sollen in den wenigen Jahrzehnten durch die brandenburger Eindringlinge verschleppt worden sein. Ein unserem historischen Gedächtnis weitgehend entfallenes Faktum.

Überlebende Herero nach der Flucht durch die Wüste. Foto nn

Auch unsere spätere Kolonialgeschichte wird ziemlich verdrängt. Sie dauerte von 1884 bis 1918. Eine der sechs Kolonien des deutschen Kaiserreichs, Togo, grenzte direkt an Ghana. Ist diese „kurze“ Kolonialzeit Schnee von gestern? Nein, denn in unseren Köpfen existieren ihre mentalen Folgen wohl bis heute. Damals entstanden die Vorurteile von der Überlegenheit des weißen Mannes, der dem schwarzen Kontinent die Zivilisation bringen müsse. Eine Rechtfertigung der Ausbeutung, die wir verinnerlichten und unbewusst weiter mit uns schleppen.

Die Haltung eines Albert Schweitzer spukt weiter. Er sah sich als den großen Bruder der Afrikaner, die er an die Hand nehmen muss. Ein wenig scheint mir auch die Reise unseres Entwicklungsministers Müller davon geprägt. Er präsentierte beeindruckende  Vorschläge, die aber die strukturell ungleichen Beziehungen nicht antasten. Dazu gehören die ungleichen Handelsbeziehungen und die Nachsicht gegenüber autokratischen und korrupten Herrschern, wie sie jüngst die Kanzlerin gegenüber Ägypten übte. Letzten Endes reiste Müller wohl, um die Chancen deutscher Firmen in Afrika auszuloten. Deren Investitionen sollen durch Hermes-Bürgschaften abgesichert werden.

Wie vorrangig man auf eigene Interessen achtet, zeigt auch der Umgang mit den Ansprüchen der Herero. In der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika und nicht an den Armeniern wurde der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts begangen. Deutsche Truppen unter dem Kommandeur von Trotha trieben 1904/07 die aufständigen Hereros in die Omaheke-Wüste, wo etwa 60000 verhungerten und verdursteten. Nun hat endlich das Auswärtige Amt anerkannt, dass dies ein Völkermord war. Aber eine Entschuldigung, wie sie die Nachfahren dieser kleinen Ethnie verlangen, wird bis heute verweigert. Man fürchtet Reparationsansprüche. Hoffentlich wird wenigstens dem Wunsch nach Umbenennung des ‚Trotha-Hauses‘ in Hamburg entsprochen, den die Herero in ihrem offenen Brief vom 31. 1. 2017 an Bürgermeister Scholz äußerten.

—>Augenzeugenbericht von der Unabhängigkeitsfeier in Ghana

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