Der Einfluss Gibraltars in den Verhandlungen rund um den Brexit
Marburg 16.5.2017 (pm/red) Das Ergebnis war denkbar knapp und sorgte für großen Unmut bei einem nicht unerheblichen Teil der Gesellschaft Großbritanniens. 52 Prozent aller abgegebenen Stimmen vereinigten sich beim angesetzten Referendum auf die Fraktion der Europaaussteiger und besiegelten damit den sogenannten Brexit, also den Austritt der Briten aus dem politischen Konstrukt der Europäischen Union. Dieses Referendum gilt als entscheidend für die Zukunft der EU.
Abstimmen durften die Wahlberechtigten in England, Schottland, Nordirland und Wales – und zusätzlich auch in Gibraltar, was vielen wohlmöglich nicht bewusst war. Gibraltar selbst liegt nämlich an der südlichen Spitze der iberischen Halbinsel und gilt als Überseegebiet der Briten, da die Insel im Jahr 1704 zum Britischen Königreich übertrat und neun Jahre später offiziell von den Spaniern abgetreten wurde. Doch inwieweit ist die Abstimmung der Menschen in Gibraltar ausschlaggebend?
Zum einen muss gesagt werden, dass die quantitative Auswirkung auf das Referendum nicht groß war. Auf Gibraltar leben 33.000 Einwohner, von denen gerade einmal 20.000 Menschen wahlberechtigt sind. 20.000 Stimmen, die sich jedoch klar im politischen Diskurs positionierten. Ganze 95,9 Prozent stimmten für einen Verbleib in der EU und reduzierten die Gegenstimmen auf magere 4,1 Prozent.
In qualitativer Hinsicht ist dieses Abstimmungsverhalten somit durchaus bemerkenswert. Die Bewohner Gibraltars verstehen sich zu einem großen Teil als Spanier, hat Spanien doch einen engen geographischen und auch kulturell-historischen Bezug zur Insel.
Die Gibraltarer fühlen sich dabei keineswegs als Spanier auch wenn der kulturelle und familiäre Bezug zu Spanien besteht. Über 300 Jahre britische Zugehörigkeit und die diverse ethnische Herkunft der Bevölkerung (Briten, Malteser, Genoeser, Portugiesen, Hebräer, Marokkaner, Spanier) haben eine ganz eigene Identität geprägt die sich als ein Bestandteil der britischen Völkerfamilie sieht.
Zudem kommt dazu, dass Spanien seit General Franco – und auch in der Demokratie seit 1978 – zeitweilig bemüht die Halbinsel wirtschaftlich zu unterdrücken. Trotz dieser Versuche arbeiten über 12.000 Pendler aus Spanien an einem festen Arbeitsplatz in Gibraltar und viele Tausende mehr als Zulieferer oder Gelegenheitsarbeiter.
Es gibt in Gibraltar ein Selbstbewusstsein, ein Stolz, also ein europäisches Selbstverständnis, was in das Ergebnis hineinspielte. Spaniens Außenminister Garcia-Margallo sprach eine geteilte Verwaltung Gibraltars durch Großbritannien und Spanien an, was schon vor 13 Jahren bei einem Referendum Thema war und mit 99 Prozent abgelehnt wurde: „Nun sind wir der Formel von der geteilten Souveränität auf dem Felsen näher gekommen, bald wird auch hier die spanische Fahne wehen.“
Es zeigt sich, dass die politische Debatte rund um das Referendum durchaus emotional aufgeladen ist. Auch in wirtschaftlicher Hinsicht spielt Gibraltar jedoch eine einflussreiche Rolle, gilt der „Affenfelsen“ doch als besonders attraktiv für internationale Großkonzerne. Zu diesen Konzernen gehören viele aus der Onlinespieleindustrie wie zum Beispiel bwin.de, die dänische Jyske Bank bezieht ihren Hauptsitz in Gibraltar und auch die deutsche Firma Lottoland findet sich dort. Etwa 20 Prozent aller Policen der britischen Autobesitzer halten Versicherungen in Gibraltar und auch einige Investmentfonds haben sich hier angesiedelt.
Ein Austritt aus der europäischen Zollunion, deren Vorteile zuvorderst im freiem Wahren-, Personen und Dienstleistungsverkehr bestehen, bedeutet also einen herben Rückschlag für Gibraltar in wirtschaftlicher Hinsicht. Viele tausend Spanier arbeiten auf der Halbinsel und sehen ihre Existenzgrundlage bedroht. Die Gibraltarer haben nach der Entscheidung angekündigt, sich schon auf einen harten Brexit einzustellen.