Rechtsextremismus: 2016 Rekordzahl bei Beratung und Prävention in Hessen
Marburg 26.08.2017 (pm/red) Das in Marburg ansässige Demokratiezentrum Hessen registriert einen Höchststand. Immer mehr Hilfesuchende wenden sich an das „beratungsNetzwerk hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“: Im Jahr 2016 haben sich die Beratungs- sowie die Präventionsaktivitäten im Vergleich zum Vorjahr nahezu verdoppelt – so viele wie noch nie zuvor. Eine Ursache dafür sind nach Ansicht der Experten zunehmende populistische Stimmungen und Polarisierungen in der Gesellschaft. Dies geht aus dem bereits Ende Mai vorgelegten Jahresbericht des Beratungsnetzwerkes hervor.
Seit 10 Jahren gibt es in Hessen das über ein Bundes- und ein Landesprogramm finanzierte Beratungsnetzwerk Hessen. Es berät Hilfesuchende – Schulen, Eltern, Familienangehörige, Kommunen, Vereine, Diskriminierungsopfer und andere Betroffene – in Fällen von
Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus oder Salafismus und bietet ein breites Spektrum entsprechender Präventionsmaßnahmen an. Das an der Marburger Philipps-Universität angegliederte Demokratiezentrum Hessen fungiert dabei als zentrale Anlauf-, Koordinierungs- und Geschäftsstelle des Netzwerks.
Rekordzahlen im Jahr 2016 registriert
Wie aus der Anfang Mai vorgelegten Jahresstatistik des Demokratiezentrums hervorgeht, erreichten die Fallzahlen des Beratungsnetzwerks Hessen im vergangenen Jahr 2016 mit 138 Beratungsfällen und 92Präventionsangeboten einen bisherigen Höchststand seit Gründung des Netzwerks 2007. 2015 waren es noch 70 Beratungs- und 38 Präventionsfälle. Erste Zahlen aus diesem Jahr zeigen, dass die Tendenz nach oben anhält und der Hilfebedarf weiter wächst. So wurden für das erste Quartal 2017 bereits 40
Beratungsfälle registriert.
In der ausgewerteten Statistik sind im Übrigen nur die detailliert-wissenschaftlich dokumentierten Fälle berücksichtigt; kleinere Anfragen oder telefonische Kurzauskünfte sind dabei nicht erfasst.
Polarisierung und Populismus: Mitursachen für gestiegenen Hilfebedarf
Ursache für den deutlichen Anstieg der nachgefragten Hilfe- und Vorbeugeangebote des Beratungsnetzwerks Hessen sind nach Ansicht des Demokratiezentrums mehrere Faktoren: Zum einen die politisch geänderte Stimmung im vorigen Jahr mit einer zunehmenden Polarisierung der Gesellschaft und die damit verbundene Unsicherheit bei vielen Menschen, zum anderen aber auch die größere Sensibilisierung der Bevölkerung sowie der gestiegene Bekanntheitsgrad des Netzwerks.
Opferberatung war 2016 besonders gefragt
Hauptsächlich wurden drei Gruppen beraten: Einzelpersonen, Kommunen und Schulen. Die hohe Nachfrage von Einzelpersonen resultiert vor allem aus der gewachsenen Zahl beim seit 2015 bestehenden Angebot der Opferberatung: 2015 hatte die erste hessenweite Beratungsstelle „response. Beratung für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt“ ihre Arbeit aufgenommen, die an der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main angesiedelt ist.
Warum wird Beratung gesucht?
Hauptanlässe für eine Beratung waren 2016 mit jeweils 18 % die Wahrnehmung rechtsextremer Gewalt und sogenannte „Vorurteilskulturen“. Mit 13,3 Prozent war rechtsextreme Propaganda mit NS-Verherrlichung, Hetze über das Internet, Aufklebern, Plakaten, Schmierereien oder rechtsextremem Infomaterial ebenfalls ein häufiger Grund für eine Beratung durch das Beratungsnetzwerk.
In 12,5 Prozent der Beratungsfälle 2016 waren Rechtsextremismus und Rechtspopulismus Anlässe der Beratung (2015: 10,7 Prozent). Dabei ging es um rechtsextreme Kameradschaften, die NPD, die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ oder rechtspopulistische Aktivitäten (darunter namentlich der AfD).
Während im Jahr 2015 Fragen rund um die Unterbringung von Flüchtlingen der Hauptanlass war, eine Beratung beim Beratungsnetzwerk in Anspruch zu nehmen (20,1 Prozent), war das Thema Flucht und Asyl 2016 mit 11,7 Prozent nur noch der fünfthäufigste Beratungsgrund (allerdings sind die absoluten Zahlen gleichgeblieben: 30 Anfragen.).
Deutlich häufiger im Vergleich zu 2015 tauchte 2016 dagegen das Thema Antisemitismus auf, das in acht Fällen (3,1 Prozent) Anlass für Menschen war, sich an das Beratungsnetzwerk zu wenden.
Prävention durch Fortbildungen, Workshops, Vorträge und Informationen
Seit 2015 gehören Präventionsangebote explizit zum Aufgabenfeld des Beratungsnetzwerks Hessen. Dabei hat sich die Zahl der Präventionsprojekte im vergangenen Jahr mit 92 Fällen im Vergleich zu 2015 (38 Fälle) mehr als verdoppelt. Es wurden überwiegend Fortbildungen und Workshops sowie Vorträge angeboten. Expertinnen und Experten des Beratungsnetzwerkes wurden außerdem zu zahlreichen Diskussionen und Fachgesprächen eingeladen. Umfangreiches Informationsmaterial ergänzte das Präventionsangebot.
Besonders nachgefragt wurden Präventionsangebote zu den Themen Rassismus (21,4 Prozent der Angebote), Rechtsextremismus (19,9 Prozent) und Flucht und Asyl (13,8 Prozent). Dabei ging es beispielsweise um den Umgang mit (Alltags-)Rassismus sowie mit rassistischen und rechtsextremistischen Anfeindungen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten. Die Arbeit mit Geflüchteten stand in 7,7 Prozent der Präventionsmaßnahmen im Vordergrund. Auf größere Resonanz stießen auch Medienthemen (7,1 Prozent), zum Beispiel zur Radikalisierung durch das Internet, Online-Propaganda oder „Hate Speech“ in den sogenannten sozialen Medien.
Alle Informationen finden sich auf der Website des Beratungsnetzwerks. Dort kann man sich auch den kompletten Bericht als pdf-Datei herunterladen.
Über das Beratungsnetzwerk Hessen und das Demokratiezentrum Hessen
Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus oder Salafismus vorzubeugen und entgegenzuwirken – das sind Ziel und Aufgabe des „beratungsNetzwerks hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“. Seit 2007 berät es in solchen Fällen Hilfesuchende – Schulen, Eltern, Familienangehörige, Kommunen, Vereine, Diskriminierungsopfer und andere Betroffene – und bietet
ein breites Spektrum entsprechender Präventionsmaßnahmen an. Die professionelle Beratung ist individuell, qualifiziert, vertraulich und kostenlos.
Im Beratungsnetzwerk kooperieren zahlreiche relevante staatliche, nichtstaatliche und kirchliche Institutionen, Organisationen, Vereine, öffentliche und freie Träger aus ganz Hessen sowie landesweit eingesetzte mobile Beraterinnen und Berater, um sich gemeinsam für die beschriebenen Ziele und Aufgaben einzusetzen.
Zentrale Anlauf- und Geschäftsstelle des Beratungsnetzwerks ist das Demokratiezentrum Hessen, das an der Philipps-Universität Marburg angesiedelt ist. Es vermittelt Ansprechpartner vor Ort, koordiniert die Beratung, Vernetzung und Prävention und dokumentiert die Arbeit des Beratungsnetzwerks Hessen.
Finanziert wird die Arbeit des Beratungsnetzwerks und des Demokratiezentrums Hessen durch das Hessische Ministerium des Inneren und für Sport im Rahmen des Landesprogramms „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ sowie durch das Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend über das Programm „Demokratie leben!
Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“