Gedanken über den Krieg
Marburg 20.3.2018 Gastbeitrag von Ursula Wöll. Nach einer Hüftoperation wieder zuhause kann ich endlich wieder Radio hören, in der Reha gab es nur TV. Ich höre also im Sender „Deutschlandfunk Kultur“ ein Feature über das Massaker von My Lai. Es jährte sich am 16. März zum 50. Mal. In dem vietnamesischen Dorf My Lai ermordeten damals, 1968, Soldaten der US-Armee fast alle Bewohner, nämlich 504 unbewaffnete Zivilisten. Frauen, Männer, Alte, Kinder und Säuglinge wurden innerhalb von vier Stunden umgebracht, die Häuser niedergebrannt und Frauen vor ihrem Tod vergewaltigt. Das Massaker wurde zunächst vor der Öffentlichkeit vertuscht. Nur durch die Recherchen des unerschrockenen Journalisten Seymour Hersh wurde die Bluttat öffentlich, 1970 erhielt er dafür den Pulitzerpreis. Der Sender brachte wenig später auch die Hörspielfassung von Tim O’Briens berühmtem Buch „Was sie trugen“ (FischerTB). O’Brien war selbst Soldat in Vietnam und schildert die Ängste der Einberufenen, die in einer fremden Kultur töten müssen, ohne den Sinn zu sehen und traumatisiert nach Hause kommen.
KRIEGE VERROHEN DIE MENSCHEN
Seymour Hersh besuchte einen der beteiligten jungen Soldaten nach dessen Rückkehr in seinem amerikanischen Dorf. Es war ein Bauernjunge, dessen Mutter zu dem Reporter sagte: „Ich gab ihnen einen guten Jungen und erhielt einen Mörder zurück“. Diese einfache Frau hatte erkannt, dass Krieg die Menschen verroht, und zwar jeder Krieg. Die Welt wird nur noch in schwarz-weiß gesehen. Der „Feind“ wird total herabgewürdigt, um die Tötungshemmung aufzuheben. Auch das Sterben der Kameraden muss verkraftet werden und verstärkt den Hass auf den „Feind“. Hinzu kommen der Zwang, dem Kommandeur der Einheit Gehorsam zu leisten und die Angst, als Feigling dazustehen. Jimmi Hendrix hat mit seiner E-Guitarre die amerikanische Nationalhymne verunstaltet, um solche seelischen Verwüstungen symbolisch auszudrücken. Doch nicht nur amerikanische Soldaten haben ja Kriegsverbrechen begangen, jeder Krieg verändert die Menschen in schrecklicher Weise, Uniformierte wie Zivilbevölkerung gleichermaßen.
WANN LERNT MAN ENDLICH AUS DER GESCHICHTE?
So viele Millionen Menschen – Soldaten und Zivilisten – wurden allein im Zweiten Weltkrieg umgebracht. Und der begann nur 21 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, in dem ebenfalls viele Millionen elend verreckten. Hat man endlich daraus gelernt? Nein, sonst würde wohl das militärische Zeremoniell abgeschafft, mit dem Staatsgäste bis heute begrüßt werden. Sonst würden wohl nicht immer weiter Waffen produziert, für die eigene Armee und für den Export. Dann würde man sich wohl nicht so einfach den Nato-Wünschen beugen: Ja, man will unseren Verteidigungsbeitrag auf bis zu 2 % des Bruttoinlandsprodukts, also um mehr als 30 Milliarden Euro zusätzlich anheben. Warum heißt es überhaupt ‚Verteidigungsetat‘ und ‚Verteidigungsministerium‘? Ein Feind ist für mich nicht erkennbar, gegen den man sich verteidigen müsste und der solche horrenden Ausgaben rechtfertigen würde.
Ein Verdacht kommt da schnell, dass das gegenwärtige Russland-Bashing auch die Funktion hat, einen Bösewicht aufzubauen und einen neuen Kalten Krieg anzuheizen. Ich behaupte damit nicht, dass Putin ein Demokrat ist, weit gefehlt. Bedroht fühle ich mich durch Russland jedoch nicht. Aber die voreilige Schuldzuweisung für den Mordversuch in England ist schon erstaunlich. Noch gibt es nur Vermutungen und keinerlei Beweise, und doch bläst sogar der Nato-Generalsekretär Stoltenberg ins gleiche Horn wie die Briten mit ihren Anschuldigungen. Will man eine Ausweitung von Nato und EU nach Osten vorbereiten und die Ukraine ins westliche Boot holen? Ich rätsele hilflos und weiß nur: Angesichts der Schrecken jedes Krieges sollte man vorsichtiger sein und Behauptungen nicht zu Tatsachen machen. Denn jeder Konflikt kann gefährlich eskalieren, bei der weltweit angehäuften Menge von Waffen.
Ostermärsche fordern Abrüstung
Schon die Künstlerin Käthe Kollwitz forderte „Nie wieder Krieg!“. Sie hatte einen Sohn im ersten Weltkrieg verloren, so wie ich meinen Vater im Zweiten Weltkrieg. Abrüstung statt Aufrüstung fordert der traditionelle Ostermarsch auch in diesem Jahr. Nur wenige, gemessen an der Bevölkerungszahl, werden an ihm teilnehmen. Zwar bekennen sich alle zum Frieden, aber Ostern haben die meisten wohl was Besseres vor als an blutige Schrecken zu denken. Auch wenn sie mit unseren Waffen anderswo stattfinden. Also, nix wie hin. In Giessen findet am 31. März „nur“ eine Mahnwache im Seltersweg statt, die um 10 Uhr beginnt. Das ist für mich mit meinen Gehhilfen genau das Richtige. Veranstaltungen und Demos zu Fuß und zu Rad finden in über 60 weiteren Städten statt, so auch in Marburg, Kassel, Frankfurt oder Bruchköbel. In Marburg startet am 31.3. um 11 h eine Fahrradtour nach Stadtallendorf (Treff Elisabeth-Blochmann-Platz). Außerdem findet am 2.4. ein Osterspaziergang statt (Treff um 11 h Deserteur-Denkmal, Frankfurter Str.) Genaueres erfährt man unter www.friedenskooperative.de/aktuelles.