Erholsame Festtage und ein zuversichtliches, gesundes und erfolgreiches 2025
Kultur

Hessische Geschichten

Kassel

Hessen Kassel Heritage

Kunst

Home » Hessische Geschichten, Schule, Stadt Land Fluß

Klassentreffen 13 w Schwalmschule 1974

Marburg 29.11.2018 Nach zwei Jahren wurde wieder zum Klassentreffen unserer 13 w eingeladen. 1974 hat die Klasse 13 w Abitur gemacht. 24 Abiturienten sind wir damals gewesen. 12 ehemalige Schwalmschüler sind jetzt im Hotel Restaurant Rosengarten in Ziegenhain zusammengekommen. Immerhin.

In den vergangenen 44 Jahren hat es zahlreiche Klassentreffen gegeben und so ist der Faden nicht gerissen. Wiedersehen, Treffen und Austauschen mit den 74ern war auch mein Motiv, weshalb ich mich am Samstag, 24. November auf den Weg nach Schwalmstadt begeben habe.
Wenn auch die Entfernung zwischen Marburg und Treysa, heute Schwalmstadt, fast noch als Nahbereich zu bezeichnen ist, führt(e) mich der Weg seit vielen Jahren höchst selten in die Schwalmstadt, bestehend aus den beiden vormalig selbstständigen Städten Treysa und Ziegenhain und 11 vormaligen Dörfern. So nehme ich das bevorstehende Klassentreffen zum Anlass früher loszufahren um mich ein wenig umzuschauen in Schwalmstadt.

In Treysa, wo sich in der Ascheröder Straße unser Schwalm-Gymnasium findet, hat sich unübersehbar viel getan. Spät erst hat man Maßnahmen zur Altstadtsanierung eingeleitet, mit denen in den achtziger Jahren einige Fachwerkbauten, Ensembles und Straßen renoviert, saniert und modernisiert wurden. Das liegt schon wieder Jahrzehnte zurück. Inzwischen haben ganz andere Kräfte gewirkt. So ist Treysa vielerorts verändert und überformt worden. Die Altstadt und die angrenzende Bahnhofstraße, über Jahrzehnte eine florierende Einkaufsstraße, sind inzwischen nicht nur vom Straßenverkehr abgehängt. In den Wieragrund wurde ein großflächiges Einkaufszentrum gesetzt, was von der neuen Innenstadtumgehung verkehrlich bestens angedient wird.

Nach einer Rundfahrt mit dem Auto stelle ich dieses in der Bahnhofstraße ab und beginne einen Rundgang zur Besichtigung. Fließender Verkehr mit lebendigem auf und ab von Fußgängern, das war einmal. Die vormalige Hauptgeschäftstraße hat eine Umfahrung durch den Wieragrund direkt vorbei am Bahnhofsgebäude Treysa bekommen. Danach ist sie zurückgebaut worden mit breiteren gepflasterten Fußgängerbereichen und nahezu einspuriger Führung mit rechts links versetzter Fahrbahnführung. Die Anmutung davon ist zunächst positiv, fußgängerfreundlich, Zonierung statt Durchfahrsstraße.

Das ist es aber auch schon gewesen mit positiver Anmutung. Klingelhöfer, Bäckerei mit großem Café als Entree in die Bahnhofstraße, gibt es nicht mehr. Schräg gegenüber sind gleich drei Häuser abgerissen worden. Es klafft eine riesige Lücke. Die Volksbank an der Mündung der Wagnergasse verschwunden. Gegenüber war längere Zeit der Hauptzugang zum Schwalm-Kaufhaus. Verschwunden. So geht es weiter auf dem ansteigenden Weg in der Bahnhofstraße zur Mainzer Brücke. Auf der rechte Seite Leerstände mit blinden Schaufenstern, auf der linken Seite ein kaum anderes Bild. Geschäfte mit klangvollem Namen sind verschwunden: Ob Gömpel, Jungclaß, Hirsch-Apotheke, die Eisdiele Venezia und andere mehr.

Zwar lässt es sich inzwischen in Ruhe schlendern in der Treysaer Bahnhofstraße, doch der Anblick von leeren Schaufenstern und aufgegebenen Geschäftshäusern muss irritieren. So etwas nennt man allgemeinhin Niedergang. Ein ökonomischer Zusammenhang zur so genannten Schwalm-Galerie, dem großflächigen Einkaufszentrum nahebei im Wieragrund, ist unübersehbar. Es ist Samstagnachmittag, sicher keine Hauptgeschäftszeit. Als einziger hat ein Sportgeschäft noch geöffnet, wahrscheinlich sind alle Geschäfte im nahegelegenen neuen Einkaufszentrum noch offen. Den Weg dorthin erspare ich mir.

Oben an der Mainzer Brücke führt die Mainzer Gasse zum Marktplatz mit Rathaus in die Altstadt. Die neue Pflasterung der Straße und die weitgehend ansehnlichen Fassaden vieler Fachwerkbauten wirken zunächst versöhnlich auf das Auge. Beim Gang über den Marktplatz, dann die Steingasse runter, an der Hospitalkapelle vorbei links in die Wagnergasse hinein, wiederholen sich die Beobachtungen. Viele Leerstände, aufgegebene Geschäfte. Ob Bäcker, Metzger, Friseur, das Bettenhaus Dötenbier, Nähmaschinen-Fischer – sie alle gibt es nicht mehr. Damit hat der Altstadtbereich nicht nur einen Aderlaß hinsichtlich ehemaliger Gewerbetreibender und Geschäfte erlitten. Viele Bereiche in der Fachwerkaltstadt sind einfach leer. Versicherungsbüros und andere Dienstleister mögen frei gewordene Ladengeschäfte belegen und nutzen, die entstandene Leere und den Funktionsverlust können sie nicht aufhalten.

Als neu entstanden fällt mir das kleine Altstadthotel, im Fachwerkaus vis à vis zur Totenkirche am Marktplatz, Ecke Burggasse, wohltuend ins Auge. Oben in der Steingasse betreibt Die Linke ein Parteibüro. Die langjährige hessische Parteivorsitzende ist mit der gerade zurückliegenden Hessenwahl als Abgeordnete in den Landtag gewählt worden, wie ich der Berichterstattung entnommen habe.

Beim Gang durch die Wagnergasse steigen Erinnerungen auf. Hier habe ich 1981 den Buchladen am Hexenturm eröffnet. Das damalige Fachwerkhaus ist verschwunden. Buchladen, die Gründung eines Verlages, Galerie, Flohmarkt, für kurze Zeit ein Café – in den frühen achtziger Jahren habe ich hier einiges in die Welt gesetzt. Es war noch die Zeit der alten Bundesrepublik, noch ganz und gar Gutenbergzeitalter, lange vor der Digitalfotografie, Handytelefonie und den Umwälzungen des Digitalzeitalters mit Google, Amazon, Facebook und den vielen anderen digitalen Monsterfirmen, die heute in das geschäftliche wie gesellschaftliche Leben hineinwirken und destruieren. Eine florierende Buchhandlung lies sich 1981 ohne sonderliches Eigenkapital gründen; sie existiert weiter, mit neuer Inhaberin in der Ascheröder Straße in Laufnähe zur Schwalmschule.

Auch damals gab es bereits Investoren und der unbebaute Wieragrund nahe zur höchst geschäftigen Bahnhofstraße lockte. Als ich mit einer Unterschriftenliste gegen die Bebauung des Wieragrunds (und damit der Schaffung von absehbaren Überkapazitäten im Einzelhandel als Verdrängungswettbewerb) in der Altstadt meine Runde machte, kamen 86 Stempel samt Unterschriften der Geschäftsinhaber zusammen, die sich unisono gegen ein großflächiges Einkaufzentrum artikulierten. Diese zahlreichen Unterschriften wurden in der Stadtpolitik aufmerksam zur Kenntnis genommen und haben gewirkt. Das Investorenvorhaben kam zumindest für zwei Jahrzehnte zum Erliegen. Jetzt ist es umgesetzt und die gesamte Innenstadt von Treysa wird schwer beeinträchtigt.

Bei meinem Rundgang durch die Wagnergasse sind auch kaum noch vormalige Geschäfte anzutreffen. Ob, Trebing, Möbel-Kieppe, Leder-Korell oder Fernseh-Becker, mit den Namen verbinden sich nur noch für Ältere Erinnerungen an die durchaus lebendige Altstadt in Treysa. So stimmt es mich nach meiner Runde zufrieden, dass unten in der Bahnhofstraße wenigstens die Filiale des Schwälmer Brotladens mit kleinem Café heute noch geöffnet ist. Beim Becher Kaffee mit Kuchen lässt sich die örtliche Ausgabe der Tageszeitung HNA Blättern und Lesen. Der trübe Samstagnachmittag im November schreitet voran. Es wird Zeit nach Ziegenhain zu fahren.

Auf der Fahrt nach dorthin passiere ich das kleine Gewerbegebiet zwischen Ascherode und dem ehemaligen Südbahnhof. Dabei fallen großvolumige Hallenbauten mit Leerstand ins Auge. Am Ortsausgang von Ascherode ist die frühere Rolladenfabrik Hoos längst Geschichte, als Schüler habe ich mit dort in den Ferien mein erstes eigenes Geld verdient. Direkt anschließend erstrecken sich Verwaltungsgebäude und Fabrikhallen der Schuhfabrik Rohde. Vor einigen Jahren bereits musste (nach Steuerhinterziehung und Flucht ins Ausland eines maßgeblichen Inhabers) Rohde Insolvenz anmelden. Geblieben sind die großen Hallen und der Name. Ein erster Investor wurde gefunden, danach ein Schuhhersteller aus Italien, der weiter macht, aber in Transnistrien produzieren lässt. Geblieben sind gerade mal noch fünzig Arbeitsplätze von ehemals annähernd eintausend.

Nach der Schwalmbrücke in Ziegenhain kommt der Wallgraben als Pforte in die historische Festung. Die Justizvollzugsanstalt beherrscht deren Zentrum im vormaligen Wasserschloß der Grafen von Ziegenhain. Bei Tageslicht will ich noch einen Gang durch den Festungsbereich unternehmen. Das Auto parke ich direkt vor dem Rosengarten, wohin zum Klassentreffen eingeladen ist. Der Rundgang durch diesen Teil von Ziegenhain zeigt mehr Erfreuliches. Das historische Stadtbild zeigt sich in gepflegtem Zustand, hier und da ist Gastronomie und es gibt kleine Geschäfte. Auch Ziegenhain hat wenig Aufregendes und bietet doch anders als Treysa dem Auge einen weitgehend vertrauten Anblick.

An dem ovalen Paradeplatz, eingefasst von Museumsgebäude, Stadtkirche und Schlossanlage, wurde mit EU-Förderung eine Weinstube eröffnet. Am Nachmittag noch geschlossen. So steige ich die engen Stufen hoch in das Museum der Schwalm, beheimatet im hufeisenförmigen Gebäude des vormaligen Festungskommandanten. Drei freundliche Damen begrüßen mich. Im Foyer wurde Platz geschaffen, womit rund herum auch Bücher und Postkarten präsentiert werden können. Neben 5 Euro Eintrittsgeld wird mein Namenseintrag in das Gästebuch erbeten. Dem letzten Eintrag vom 22. November nach zu schließen, bin ich für gestern und heute der einzige Besucher. Die untere Etage zeigt sich im Rundgang weitgehend unverändert. Hier wird die Schwälmer Tracht, einiges Handwerk und die Schwälmer Weißstickerei präsentiert. Ein Videofilm läuft einsam auf einem Monitor. Neues kann ich nicht entdecken, die Präsentation wirkt luftiger als früher. Auch in der oberen Etage ist wenig verändert. Präsentation von Gemälden von Willingshäuser Malern, dazu bäuerliche Wohnkultur aus der Schwalm, ein Raum für Eheschließungen und der größere Raum für die Wechselausstellungen.

Alles oder jedenfalls vieles wie gehabt, geht mir durch den Kopf als ich dann die wenigen Schritte zum kleinen Gebäude der alten Wache mache. Hier gibt es einen gelungenen Anbau, um mehr Platz für die Touristinformation zu haben. Um diese Zeit geschlossen. Zu meiner Überraschung öffnet sich die Glastür des Anbaus. Darin finden sich Prospekte in Regalen und touristische Informationen. Zugänglich ohne Personal. Mit einigem Gedruckten mache ich den kurzen Weg hinüber zum Rosengarten.

In einem Auto mit Darmstädter Kennzeichen sitzt – ja sie ist es – Ilse. Ilse habe ich bestimmt 20 Jahre lang nicht gesehen. Zunächst überrascht als ich an die Scheibe der Fahrertür klopfe, steigt Ilse aus. Sie sei gerade erst angekommen und freue sich, dass ich gekommen wäre, sagt sie. Dann bringen wir uns nach einer Umarmung erst mal knapp auf die Höhe der Zeit, ehe sie mit Tasche vor mir den Rosengarten betritt. Im Theken- und Empfangsbereich räumt man eine Sitzecke frei. Ilse checkt ein und geht erst einmal in ihr Zimmer. Kaum steht das bestellte Getränk vor mir, trifft Klaus-Dieter ein. Vor der Zeit sitzen wir zu dritt und es gibt erst einmal  Berichte zum Stand der Dinge. Jürgen ist der nächste, gefolgt von Rüdiger und dann Ralf. Jetzt wird es eng hier und wir wechseln in den Nebenraum, wo der große Tisch mit 12 Gedecken vorbereitet ist. Gerd trifft ein, gefolgt von Claudia, Herbert, schließlich kommen Gerhild und Hajo.

Klassentreffen 13 w 1974 Schwalmschule. Was zwanglos im Plauderton begann setzt sich nun etwas lautstärker in gleichzeitigen Gesprächen fort. Frohe Mienen, muntere Berichte und Gespräche. Heiter und angeregt, zwischendurch Getränke, dann Essenbestellung. Der Abend nimmt einen lebhaften Verlauf. Für mich überraschend kommt durch die Tür unser WiSo-Lehrer und findet einen Platz in der Runde.

Nach zwei Jahren wird viel berichtet, gefragt. Einige sind bereits in Rente, die meisten noch in Arbeit. Drei aus der früheren Klasse leben nicht mehr, das erscheint mir viel. Drei sind in der Stadt geblieben und beruflich selbstständig. Drei wollten kommen, haben dann noch abgesagt. Die Gespräche mit wechselnden Sitzpositionen erweisen sich als tragend, unterbrochen nur einmal als einige ihre Handys zücken und Nummer eintragen. Whatsapp. Nein keine Gruppe, nur Einzeleinträge wird mitgeteilt.

Stunden später im Aufbruch: Bis dann in zwei Jahren, sagt einer mit leicht fragendem Unterton. Oder schon nächstes Jahr? Zustimmung.
Dann werden es 45 Jahre sein seit dem Abitur der 13 w Schwalmschule.
Hartwig Bambey

Contact Us