Bilanz der Tarifrunde 2018 und Ausblick: Kräftige Lohnzuwächse und mehr Selbstbestimmung bei der Arbeitszeit
Marburg 06.02.2019 (pm/red) Mit den Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder hat die Tarifrunde 2019 Fahrt aufgenommen. Die Forderungen der Gewerkschaften liegen zumeist zwischen 5,5 und 6 Prozent. „Damit bewegen sie sich auf einem ähnlichen Niveau wie im Vorjahr“, erklärt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten, in seiner aktuellen Tarifbilanz.*
„Außerdem wird auch die Frage der Selbstbestimmung der Beschäftigten bei ihren Arbeitszeiten in Form individueller Wahlmöglichkeiten in vielen Branchen wieder auf der Tagesordnung stehen.“ Das Tarifarchiv dokumentiert die Tarifrunde tagesaktuell im Webangebot der Stiftung.
Wie das Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in seinem heute veröffentlichen tarifpolitischen Jahresbericht 2019 aufzeigt, haben die Tariflöhne und -gehälter im Jahr 2018 nominal im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt um 3,0 Prozent zugelegt. Gegenüber Steigerungsraten von jeweils 2,4 Prozent in den beiden Vorjahren hat die Lohnentwicklung damit deutlich an Dynamik gewonnen. Nach Abzug des Verbraucherpreisanstiegs von 1,9 Prozent ergibt sich für 2018 ein realer Zuwachs der Tarifvergütungen um 1,1 Prozent.
„Mit der Tarifrunde 2018 haben die Gewerkschaften nicht nur kräftige Lohnzuwächse durchgesetzt, sondern sind auch eine Renaissance der tariflichen Arbeitszeitpolitik eingeleitet“, sagt Schulten. In einer Reihe von Branchen wie z.B. der Metall- und Elektroindustrie, bei der Deutschen Post AG oder bei Teilen des öffentlichen Nahverkehrs wurde erstmalig die Möglichkeit geschaffen, dass Beschäftigte auf einen Teil der vereinbarten Lohnerhöhung verzichten und stattdessen zusätzliche freie Tage wählen können.
Bei der Deutschen Bahn AG wurde bereits zum zweiten Mal hintereinander ein Wahlmodell vereinbart, bei dem sich alle Beschäftigten individuell zwischen mehr Geld oder mehr freier Zeit entscheiden können. „Damit ist den Gewerkschaften ein wichtiger Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung der Beschäftigten bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeiten gelungen“, sagt Schulten.
Das WSI-Tarifarchiv berücksichtigt bei der Berechnung der kalenderjährlichen Tariferhöhungen für das Jahr 2018 sowohl die Neuabschlüsse aus dem Jahr als auch Abschlüsse aus den Vorjahren, die eine Laufzeit bis mindestens Ende 2018 haben. Insgesamt schlossen die DGB-Gewerkschaften in Deutschland im vergangenen Jahr Lohn- und Gehaltstarifverträge für knapp 11 Millionen Beschäftigte ab. Für weitere 8,7 Millionen Beschäftigte traten im Jahr 2018 Erhöhungen in Kraft, die bereits 2017 oder früher vereinbart worden waren.
Die Laufzeit der 2018 neu angeschlossenen Verträge beträgt durchschnittlich 26,4 Monate. Damit setzt sich der seit Jahren anhaltende Trend zu immer längeren Laufzeiten fort. In der Tarifrunde 2019 verhandeln die DGB-Gewerkschaften für rund 7,3 Millionen Beschäftigte.
In der Tarifbilanz für 2018 zeigen sich zwischen den verschiedenen Branchen deutliche Unterschiede (siehe auch Abbildung 2 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Am höchsten fällt 2018 die jahresbezogene Tarifsteigerung mit nominal 5,2 Prozent im Bauhauptgewerbe aus, gefolgt von den Branchen Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft mit 4,3 Prozent, der Holz und Kunststoff verarbeitenden Industrie mit 4,3 Prozent, der Metall- und Elektroindustrie mit 4,0 Prozent und der Systemgastronomie mit 3,9 Prozent. Ebenfalls oberhalb des Durchschnitts liegen die Tariferhöhungen mit jeweils 3,4 Prozent bei der Deutschen Bahn AG und im Öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden. 3,0 Prozent erreichte die chemische Industrie.
Es folgen mit 2,8 Prozent der Großhandel, mit jeweils 2,7 Prozent der Einzelhandel und die Deutsche Post AG und mit jeweils 2,5 Prozent die Deutsche Telekom AG, das Gebäudereinigerhandwerk, das Hotel- und Gaststättengewerbe, das Nahrungs- und Genussmittelgewerbe sowie der öffentliche Dienst bei den Ländern. Um 2,2 Prozent sind die Tariflöhne im privaten Verkehrsgewerbe gewachsen.
Bei den Versicherungen stiegen die Tariflöhne und -gehälter 2018 um 1,8 Prozent, in der Eisen- und Stahlindustrie um 1,7 Prozent, bei den Banken um 1,3 Prozent sowie in der Textilindustrie um 1,2 Prozent. In den Branchen mit unterdurchschnittlichen Tarifzuwächsen wurden die Erhöhungen zumeist bereits in den Vorjahren vereinbart, während 2018 keine Tarifabschlüsse getätigt wurden.
Insgesamt konnte nach der Analyse des WSI-Tarifarchivs im Jahr 2018 der gesamtwirtschaftliche Verteilungsspielraum – gemessen als Summe aus Preis- und Produktivitätsentwicklung – durch die Tariferhöhungen übertroffen und damit eine Umverteilung zugunsten der Arbeitseinkommen durchgesetzt werden.
„In der Tarifrunde 2018 hat sich damit der seit einigen Jahren zu beobachtende Trend fortgesetzt, dass der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen wieder steigt – nachdem sie zuvor über einen längeren Zeitraum an Boden verloren hatten“, sagt der WSI-Tarifexperte Schulten. Das reflektiere die verbesserte Lage am Arbeitsmarkt. Die stärkere Lohnentwicklung stärke aber ihrerseits auch wieder Konjunktur und Beschäftigungsentwicklung, weil sie der Binnennachfrage wichtige Impulse verleihe.