EZB kann die Konjunktur weiter stützen – öffentliche Investitionen würden mehr erreichen
Marburg 07.03.2019 (pm/red)Die Europäische Zentralbank (EZB) kann mit ihrer Geldpolitik helfen, die abflauende Konjunktur zu stützen. Dazu bleiben ihr trotz Nullzinsen noch einige Möglichkeiten. Zielgenauer würde jedoch die Fiskalpolitik wirken, indem sie die öffentlichen Investitionen stärker ausweitet. Zumal die Finanzierungsbedingungen für den deutschen Staat nie günstiger waren als heute. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie zu den aktuellen Herausforderungen der Geldpolitik, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung am Vorabend des EZB-Zinsentscheids vorlegt.
Das Wachstum der Weltwirtschaft flacht ab, das deutsche Bruttoinlandsprodukt stagnierte im zweiten Halbjahr 2018. Die EZB hält die Zinsen daher weiter niedrig, und es ist unwahrscheinlich, dass sich daran etwas ändert, wenn sich morgen ihr Direktorium trifft. Die ursprünglich für das vierte Quartal 2019 angepeilte Zinserhöhung ist verschoben. Der sogenannte Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Banken Geld bei der Zentralbank leihen können, bleibt bei null Prozent. Wenn Banken überschüssiges Geld über Nacht auf ihrem EZB-Konto parken, müssen sie sogar einen negativen Zinssatz – praktisch eine Strafgebühr – von 0,4 Prozent bezahlen. Zudem hält die EZB Wertpapiere im Gesamtwert von rund 2,6 Billionen Euro, durch deren Ankauf sie in den vergangenen Jahren viel Geld in Umlauf gebracht hat. Damit verfügen die Banken im Euroraum über reichliche Mittel, die sie in Form von Krediten an Unternehmen weiterreichen könnten, so IMK-Forscherin Dr. Silke Tober in einer aktuellen Analyse. Die Zunahme der Kredite an Unternehmen und Haushalte sei mit einer Wachstumsrate von drei Prozent „solide“.
Trotz der guten Liquiditätsversorgung sind keine ernsthaften Preissteigerungen in Sicht. Die sogenannte Kernrate der Inflation, die um schwankungsanfällige Preise etwa für Energie und Nahrungsmittel bereinigt ist, „dümpelt seit 2017“ um einen Wert von einem Prozent. Das ist Tober zufolge allerdings keine gute Nachricht. Denn für ein gesundes Wirtschaftswachstum bedarf es einer höheren Rate – die Zielmarke der EZB liegt bei knapp zwei Prozent.
– Investitionen mit EZB-Flankierung könnten viel erreichen –
Einige Ökonomen meinen, die EZB sei inzwischen am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt und könne nicht mehr tun, um die Wirtschaft anzukurbeln. Dem widerspricht Tober, die Zentralbank hätte durchaus noch Mittel, weiteres Geld in die Volkswirtschaft zu pumpen, etwa durch eine Verlängerung der durchschnittlichen Laufzeit ihres Wertpapierportfolios oder weitere Ankaufprogramme.
Allerdings, so Tober, gehe die lange Niedrigzinsphase mit erhöhten Risiken an den Finanzmärkten einher und sei gegenwärtig weniger treffsicher als die Fiskalpolitik. Angesichts der extrem niedrigen Zinsen – die Bundesrepublik kann derzeit zehnjährige Kredite zu einem Zinssatz von 0,1 Prozent aufnehmen – wäre es effektiver, dem Wirtschaftswachstum mit Investitionen in Infrastruktur und klimaneutrale Technologien auf die Beine zu helfen, analysiert die Forscherin. Dies hätte neben der kurzfristig stabilisierenden Wirkung auch langfristig positive Effekte. Den erforderlichen Strukturwandel hin zur Klimaneutralität könnte die EZB dabei flankieren, indem sie bei der Wiederanlage fällig werdender Wertpapiere bewusst „green bonds“ berücksichtigt, Anleihen für Investitionen in klimafreundliche Projekte. Da die Zentralbank per EU-Vertrag angewiesen ist, die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU zu unterstützen, zu deren Zielen auch das Pariser Abkommen zum Klimaschutz zählt, wäre dies mit ihrem Auftrag vereinbar.
– Vermeintliche Risikoabschottung ist teuer und würde im Ernstfall nicht funktionieren –
Der Euroraum hat weiterhin ein grundsätzliches Problem, warnt die Expertin: Einzelne Mitgliedstaaten können stets in die Zange der Finanzmärkte und damit in Staatsschuldenkrisen geraten, denen die Zentralbank nicht ohne weiteres etwas entgegenzusetzen hat. Die Regierungen hätten der „Fragmentierung des Euroraums Vorschub geleistet, indem sie staatliche Schuldenschnitte im Euroraum als wirtschaftspolitisches Instrument eingeführt haben, anstatt die Sicherheit aller Euro-Staatsanleihen zu gewährleisten“, schreibt die IMK-Wissenschaftlerin. Solange nicht alle Staatsanleihen der Mitgliedstaaten als „sichere Aktiva“ gelten und die Möglichkeit von Staatspleiten im Raum steht, bleibe die Gefahr bestehen.
Zwar sei psychologisch verständlich, so Tober, dass einige Länder auf einem Regelwerk bestehen, dass sie davor behütet, für eine unsolide Haushaltspolitik anderer Staaten gerade stehen zu müssen. Doch „die nationale Risikoabschottung“ sei „nicht nur teuer bezahlt, sondern auch eine Illusion. Der Preis ist hoch, weil der Euroraum anfälliger für Finanzmarktturbulenzen geworden ist.“ Er sei eine Illusion, weil die Risikoteilung an anderer Stelle stattfindet. „Eine dieser Stellen der Risikoteilung“, so Tober, sei das Zahlungssystem Target2, über das die nationalen Zentralbanken ihre Finanzbeziehungen abwickeln. Und auf die eine oder andere Art würden die Verwerfungen im Ernstfall ohnehin den gesamten Euroraum erfassen.
– Schwächere internationale Bedeutung des Euro –
Wegen der Unsicherheiten über künftige Schuldenschnitte hat die Gemeinschaftswährung nach der Analyse der IMK-Wissenschaftlerin auch international Renommee eingebüßt. Es sei kein Zufall, dass der Euro seit 2012 – damals wurde die Möglichkeit von Schuldenschnitten festgeschrieben – an Bedeutung als internationale Reservewährung verloren hat. Denn: „Währungen von Ländern, bei denen die Gefahr staatlicher Schuldenschnitte besteht, eignen sich nicht als Reservewährung.“ Eine stärkere internationale Rolle des Euro wäre wirtschaftlich und politisch von Vorteil für die Euroländer. Eine Reservewährung benötigt jedoch als Basis einen breiten und liquiden Markt für risikoarme Staatsanleihen, so Tober.