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Mitglieder der Gemeinwohlökonomie-Peergroup ziehen Bilanz – Nachhaltiges Wirtschaften ist Thema im Landkreis

Marburg 12.03.2019 (pm/red)  „Lokal handeln: Gemeinwohlökonomie – eine demokratische Alternative wächst“: Unter diesem Titel stellten in einem Gespräch mit Landrätin Kirsten Fründt vier Mitglieder der Gemeinwohlökonomie-Peergroup Lahn- Eder ihre Bilanzen vor und sprachen über die Bedeutung von Bilanzen und Zertifikaten für eine nachhaltige Wirtschaft.

In dieser Peergroup schlossen sich Akteure aus unterschiedlichen Bereichen zusammen, die mit dem Thema Nachhaltigkeit ein gemeinsames Ziel verfolgen. Sie wollen für andere ein Vorbild sein und so einen Wandel in allen Lebensbereichen in Gang setzen.

Dabei berichteten die gemeinnützige und mildtätige GmbH „Die Fleckenbühler“ (Bereich Landwirtschaft), die Frankenberger Steuerberatungsgesellschaft Czeczatka & Werner, MarMed GmbH (Praxisbedarf und Praxisausstattung für Tierarztpraxen) und der St. Elisabeth-Verein Berufliche Bildung (StEBB) über ihre Erfahrungen beim Erstellen der Gemeinwohlbilanzen. Die Regionalgruppe Lahn-Eder des internationalen Vereins Gemeinwohl-Ökonomie fördert und berät Unternehmen mittels Organisationsentwicklung, Personalbetreuung und Wirtschafts-Mediation bei der Schaffung nachhaltiger Strukturen.

Landrätin Kirsten Fründt sieht die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) als einen Bestandteil des kreiseigenen Nachhaltigkeitskonzeptes. „Kommunen sind nicht mit Unternehmen zu vergleichen. Daher ist für uns die spannende Frage wie man die Gemeinwohl-Zertifizierung auch auf die kommunale Ebene herunterbrechen kann“, erläuterte die Landrätin ihre Zielvorstellung. Ziel sei es, Teile der eigenen Verwaltung und der Eigenbetriebe zertifizieren zu lassen sowie eine Vermittlerrolle für die Kommunen und andere Landkreise einzunehmen. „Ich sehe in der Gemeinwohlökonomie eine Möglichkeit, eine lebenswerte Zukunft auch für künftige Generationen zu erhalten“, betonte Fründt.

Die Regionalgruppe Lahn-Eder des Vereins Gemeinwohl-Ökonomie möchte den Unternehmen dazu Werkzeuge an die Hand geben. Zu diesem Zweck haben sie eine sogenannte Gemeinwohl-Matrix entwickelt. „Die Unternehmen können anhand dieser Matrix überprüfen, welche Handlungen bestimmte Gruppen berühren könnten“, erklärte GWÖ-Beraterin Ulrike Häußler. Zu den sogenannten Berührungsgruppen gehören: Lieferanten, Eigentümer und Finanzpartner, Mitarbeitende, Kunden und Mitunternehmen sowie das gesellschaftliche Umfeld. Sie werden dahingehend überprüft, ob sie jeweils im Einklang stehen mit Kriterien wie menschenwürdig, solidarisch und gerecht, ökologisch und nachhaltig sowie transparent und partizipierend. Die Prozess- Beraterin sieht in der Gemeinwohl-Matrix das Herzstück. Derzeit werde eine zweite Matrix für Kommunen und Familien entwickelt.

„Reine monetäre Bilanzen geben keine Auskunft über das menschliche Zusammenleben. Mit der Gemeinwohl-Ökonomie streben wir einen Bewusstseinswandel an, in der Kooperation anstatt Konkurrenz zum Leitmotiv wirtschaftlichen Denkens sein wird“, sagte der GWÖ-Berater Dirk Posse und betonte, dass Geld wieder nur ein Zweck des Wirtschaftens, aber nicht dessen Ziel sein sollte. Mit der Gemeinwohlökonomie werde das umgesetzt, was Schüler in den vergangenen Wochen fordern: handeln, nicht reden.

Peter Jacobs von MarMed schloss sich GWÖ-Berater Dirk Posse an und bemängelt, dass der Gemeinwohlgedanke häufig auf der Strecke bleibe, insbesondere dann, wenn die Eigentümer keinen Bezug zur Region und zu den Belegschaften hätten. „Diese Eigentümer interessieren sich ausschließlich für den Profit“, beklagte sich Jacobs. Sein Unternehmen gemeinwohl-ökonomisch zu bilanzieren stelle aber auch ihn vor große Herausforderungen. So zum Beispiel das Offenlegen von Bezugsquellen oder das Nennen von Lieferanten. „Transparenz ist aber notwendig, wenn das Unternehmen nachweisen möchte, dass die Güter, die es von Lieferanten bezieht, unter menschenwürdigen Bedingungen hergestellt worden sind“, erläuterte Jacobs. Für den Geschäftsführer ist es aber schwierig, Zulieferketten bis nach China, Pakistan oder Indien zu kontrollieren, da es mit einem Marktanteil von zwei bis drei Prozent in Deutschland nicht über die Marktposition verfüge um Auskünfte über die Arbeitsbedingungen vor Ort verlangen zu können.

Für Christoph Feist von der Fleckenbühler Landwirtschaft hat die Bilanzierung den Innenblick geschult. „Die Bilanzierungsmethoden der Gemeinwohl-Ökonomie stoßen zurzeit bei einem landwirtschaftlichen Betrieb noch an ihre Grenzen“, bilanzierte er. „Wir stellen uns dieser Herausforderung und werden gemeinsam mit den GWÖ-Beratern die Bilanzierung verbessern“. Feist bittet die GWÖ-Berater bei der Weiterentwicklung der Bilanzierungsmatrix landwirtschaftliche Betriebe stärker in den Fokus zu nehmen. „Denn nach der Bilanz ist bekanntlich vor der Bilanz“, betonte Feist.

Steffen Werner von Czeczatka & Werner bilanziert seit längerem Non-Profit-Unternehmen. „Das gehört zum klassischen Portfolio einer Kanzlei. Jedoch ergaben sich ganz neue Fragestellungen als wir anfingen auch Unternehmen nach GWÖ-Kriterien zu bilanzieren“, erläuterte Werner die Anfänge der Kooperation mit der Regionalgruppe Lahn-Eder. Fragen wie woher Büroartikel wie Bleistifte für den Betrieb stammen wurden nun wichtig. Werner ist sich darum sicher, „dass man auch im Kleinen kann ganz Großes bewegen kann“. Wichtig sei es das man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Ziele der Nachhaltigkeit mitnehme und für diese Ideen gewinnt.

Rüdiger Müller vom St. Elisabeth-Verein Berufliche Bildung stellt rückblickend fest, dass bereits das Erfassen des Ist-Zustandes eine Herausforderung darstellte. Auch für ihn ergaben sich in der Auseinandersetzung mit der Gemeinwohl-Ökonomie ganz neue Fragestellungen, die zu überraschenden Erkenntnissen führten. „Wir fragten uns zum Beispiel, wer eigentlich unser Kunde ist? Sind es die Auszubildenden, das Jugendamt oder die Konsumenten? Wir kamen am Ende zu dem Schluss, dass der junge Mensch, der bei uns seine Ausbildung antritt, unser Kunde ist“, erläuterte Müller. Durch die Gemeinwohl-Bilanzierung stellte er überraschenderweise fest, dass sein Betrieb bereits in einigen Bereichen nachhaltig handelt. So verkaufen Lieferanten ihr Altöl bereits regional und recyceln dieses nahezu vollständig.

Die Mitglieder des Peergroup-Treffens waren sich übereinstimmend darin einig, dass es wichtig sei über den Tellerrand zu schauen und die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie weiter auszubauen und für diese zu werben.

„Lokal handeln: Gemeinwohlökonomie – eine demokratische Alternative wächst“: Unter diesem Titel stellt die Peergroup Lahn-Eder am Freitag, 5. April, ab 18 Uhr auf Hof Fleckenbühl in Schönstadt während des nächsten öffentlichen Treffens der Regionalgruppe Gemeinwohlökonomie ihre Broschüre zu den Gemeinwohlbilanzen vor.

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