Der Krieg hat begonnen – Die USA wollen ihren Niedergang durch einen Wirtschaftskrieg gegen China und Russland aufhalten
Marburg 15.03.2019 Gastbeitrag von James O’Neill Sanktionen, Zollbeschränkungen, Wirtschaftssabotage — all diese von den USA gegenüber China und Russland angewandten Methoden sind, wie James O’Neill argumentiert, Formen der Kriegsführung. Die USA sehen ihre Vormachtstellung durch das rasante Wirtschaftswachstum in China sowie durch die militärischen Fortschritte Chinas und Russlands bedroht. Letzteres Land stellte kürzlich eine neue Serie von Hyperschallwaffen vor, denen die USA trotz ihrer horrenden Militärausgaben nichts entgegenzusetzen haben. Die USA reagieren auf ihre zunehmende Konkurrenzunfähigkeit auf der Weltbühne mit bereits kriegerischen Maßnahmen. Dabei entgehen ihnen sowohl die ungewollte Ironie ihrer Anschuldigungen gegenüber „den Feinden“ als auch die negativen Auswirkungen, die ihr Vorgehen auf das eigene Land hat.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Vereinigten Staaten die stärkste Wirtschafts- und Militärmacht des Planeten. Sie nutzten diese Position, um sich der Welt für die folgenden 60 Jahre aufzuzwingen. Potentielle Bedrohungen dieser Vorherrschaft wurden durch Überzeugungsarbeit, wirtschaftliche Erpressung mithilfe der dominanten Stellung des US-Dollars, Regimewechsel bei unbequemen Regierungen sowie in vielen Fällen durch Invasionen und Besetzungen zerschlagen. Millionen von Menschen kamen ums Leben und soziale Strukturen wurden zerstört.
Weil während dieser Jahrzehnte ein ernsthafter Herausforderer fehlte, gedieh eine Mentalität des Exzeptionalismus, des Glaubens an eine amerikanische Sonderstellung: Für die Vereinigten Staaten galten die gewöhnlichen Regeln des zivilisierten Verhaltens nicht, ihr Weg war der einzig akzeptable und ihr Monopol auf Vorherrschaft würde für immer bestehen — so der Glauben.
Trotz der fortwährenden Propaganda war die Sowjetunion nie eine ernsthafte Bedrohung, und China war zu beschäftigt mit internen Erschütterungen, um großen Einfluss außerhalb seiner eigenen Landesgrenzen oder seiner direkten Nachbarstaaten auszuüben.
Chinas Wachstum
In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben sich bedeutende Veränderungen ereignet, und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Nach der Jelzin-Ära in den 1990ern leitete Russland eine stetige Erneuerung seiner wirtschaftlichen und politischen Stellung ein. China setzte zu seinem wahrhaft „Großen Sprung nach vorn“ an infolge der Reformen und Öffnung seiner Wirtschaft und Gesellschaft unter Deng Xiaoping in den späten 1970ern. Die Ergebnisse sind ohnegleichen in der modernen Geschichte. Das Pro-Kopf-Einkommen in China ist seit Beginn von Dengs Reformen auf das heute 25-Fache angewachsen. Das von der Weltbank ermittelte Armutsniveau ist von 90 Prozent im Jahr 1978 auf heute weniger als 2 Prozent der Bevölkerung gesunken.
Chinas BIP-Wachstumsrate befindet sich seit mehreren Jahrzehnten auf einem konstanten Niveau, das etwa drei Mal so hoch liegt wie das der meisten Industriestaaten. Ausgehend von der Kaufkraftparität ist China heute die weltgrößte Volkswirtschaft, und diese überragende wirtschaftliche Stellung wird in der absehbaren Zukunft weiter ausgebaut werden.
Einer der Gründe für Chinas dynamisches Wachstum ist nicht zuletzt seine Investition in Bildung, insbesondere in die BereicheMathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik — kurz MINT. Etwa ein Viertel aller weltweit in diesen Bereichen Beschäftigten sind heute Chinesen. Es wird erwartet, dass bis zum Jahr 2025 — ein entscheidendes Datum in der chinesischen Planung — mehr Chinesen in der MINT-Branche tätig sein werden als Arbeitnehmer aus allen OECD-Staaten zusammen.
Auch Russland investiert — wenn auch in wesentlich geringerem Umfang — in die Förderung von Spitzenleistungen in den MINT-Fächern. Der Kontrast zu den USA könnte größer nicht sein. Seit dem Jahr 2001 haben die USA etwa 6 Billionen Dollar für Kriege im Ausland ausgegeben, während sie etwa 4 Billionen notwendiger Infrastrukturinvestitionen hintanstellten.
Militärische Entwicklungen
Der militärisch-industrielle Komplex gedeiht, doch nicht so der Rest der USA. In UN-Statistiken belegen die USA weltweit Platz 42 bei der Lebenserwartung. Dies ist ein sehr empfindlicher Indikator, der auf eine Reihe von Defiziten bei der Bildung, der Gesundheitsversorgung, den Ernährungsstandards und der sozialen Infrastruktur hindeutet.
Enorme Summen werden jedes Jahr für den Unterhalt eines Netzwerks von mehr als 800 Militärbasen rund um die Welt benötigt. Dieses Reich von Militärbasen ist erforderlich, um die Kontrolle über Vasallenstaaten zu wahren und sowohl Russland als auch China „in Schach zu halten“. Keines dieser Länder hat — auch wenn massive Propaganda anderes behauptet — das geringste Interesse an einer Ausbreitung über seine bestehenden Grenzen hinweg gezeigt.
Jedoch haben sowohl Russland als auch China — obwohl ihre Militärhaushalte nur einen Bruchteil des US-Etats ausmachen — eine Reihe von High-Tech-Waffen entwickelt, die denen der USA und ihrer Verbündeten bedeutend überlegen sind. Inseiner Rede an die russische Föderationsversammlung im März 2018 enthüllte Putin Russlands Fähigkeiten im Bereich der Hyperschallwaffen — dies war ein schwerer Schock für das US-Establishment. Nach anfänglichen Dementis erkannte es schließlich die Wahrheit von Putins Behauptungen an und bemühte sich unverzüglich um noch mehr finanzielle Mittel für das Militär, um ein Aufholen zu ermöglichen. Diese Ausgaben werden zu Lasten von Investitionen in die zivile Infrastruktur gehen, was zu einem weiteren Verfall der Einrichtungen für die einfachen Bürger führen wird.
Es gibt sehr guten Grund anzunehmen, dass Chinas militärische Fähigkeiten — wenn sie auch noch nicht das Niveau Russlands erreichen — für sich genommen dennoch eindrucksvoll sind. Die Dong-Fen-Raketen-Serie etwa verleiht China sowohl defensive als auch offensive Fähigkeiten, denen die USA nichts entgegenzusetzen haben.
Formen der Kriegsführung
Dies ist der Kontext, in dem die aktuelle Situation von Sanktionen, Handelskriegen und anderen Formen der Kriegsführungen bewertet werden muss.
Tatsächlich führt die Trumpregierung sowohl gegen China als auch gegen Russland Krieg. Auch wenn dieser — noch — keine militärischen Auseinandersetzungen beinhaltet, ist er nichtsdestotrotz ein Krieg. Dieser Krieg nimmt viele Formen an.
Im Fall Russlands werden weitreichende Sanktionen gegen die russische Regierung, Individuen und Unternehmen verhängt. An der Gesetzeswidrigkeit dieser Sanktionen lässt sich die US-amerikanische Missachtung internationalen Rechts ermessen, welches die USA auch zu den besten Zeiten nie sonderlich respektiert haben. Die Sanktionen dienen einer Reihe von geopolitischen Zielen. Nord Stream 2 ist nur ein Beispiel hierfür. Sowohl Außenminister Pompeo als auch Vizepräsident Pence waren kürzlich in Europa, um europäischen Staaten und Unternehmen, die am Nord-Stream-Projekt beteiligt sind, mit Sanktionen zu drohen. Den USA wäre es lieber, Europa setzte sein Vertrauen in das wesentlich teurere amerikanische Flüssig-Erdgas.
US-Politiker und -Medien beklagen fortwährend die „russische Einmischung“ in die internen Angelegenheiten der USA und anderer westlicher Nationen. Amerikanischer Druck beim Streitpunkt Nord Stream 2oder Drohungen gegenüber europäischen Staaten und Unternehmen aufgrund von deren Zusammenarbeit mit dem Iran bei dessen Zustimmung zu einem gemeinsamen Aktionsplan in der Atomfrage — wohingegen die Amerikaner eigenmächtig aus dem Abkommen ausgestiegen sind –, all das sind unverhohlene Einmischungen in die Angelegenheiten eigenständiger Nationen. Diese Ironie bleibt den USA und ihren Gefolgsleuten offenbar völlig verborgen.
Den Feind „in Schach halten“
Der „Krieg“ gegen China nimmt viele Formen an, von denen der sogenannte Handelskrieg nur ein offensichtliches Beispiel ist. Die Zölle, die auf Chinas Exporte verhängt oder dafür angedroht wurden, schaden nicht nur den Amerikanern, sondern dem gesamten Welthandel.
Andere Formen der Kriegsführung beinhalten den Cyber-Krieg, Militärübungen in der Nähe des chinesischen Territoriums, 400 gegen China gerichtete Militärbasen, die Teil der „Eindämmungs“-Strategie sind, sowie ein andauerndes Propaganda-Trommelfeuer über angebliche chinesische Spionage, Diebstahl geistigen Eigentums und „Schuldenfallen“ für arme Länder, die Chinas Entwicklungshilfe annehmen.
Dass keine dieser Anschuldigungen einer ernsthaften Untersuchung standhält, ist nicht der Punkt. Sie sind Teil einer bestimmten Kriegspolitik, mit der versucht wird, China zu isolieren, seine Entwicklung zu unterwandern und es davon abzuhalten, die US-Vorherrschaft auf jedem Kontinent und in jeder Region der Erde jemals infragezustellen. Es genügt ein Blick auf die globale Bedrohungsanalyse (World Threat Assessment) der US-Geheimdienste aus dem Jahr 2019.
Diese Analyse kommt zu dem Schluss, China nutze seine „Belt-and-Road“-Initiative, um seinen eigenen globalen, wirtschaftlichen und politischen Einfluss auszuweiten und damit den „US-Einfluss zu verringern“. Um sich dieser Herausforderung zu stellen, müssten die USA ihrer nationalen Sicherheitsstrategie zufolge „den Erfolg des Feindes verhindern“ und „die eigenen Interessen verteidigen“. Die offiziell benannten Feinde sind Russland und China. Es ist klar, dass den Formen, die diese „Verteidigung“ annehmen wird, keine Grenzen gesetzt sind.
Der Handelskrieg, den die USA zurzeit gegen China führen, hat in Wahrheit wenig mit dem Handelsungleichgewicht zwischen den beiden Ländern zu tun. Wie Michael Klare deutlich macht, indem er geleakte Dokumente zitiert, ist das Ziel des Handelskrieges die Sabotage des „Made-in-China-2025“-Programms. Dieses Programm soll der Entwicklung von Weltklasseleistungen in einer Reihe von technologischen Industriezweigen dienen. Bei den derzeitigen Handelsgesprächen zielen die USA darauf ab, China zur Annahme einer den amerikanischen Wünschen untergeordneten Rolle in allen Bereichen zu zwingen. Es ist eine wahnhafte Vorstellung zu glauben, China würde eine solche Rolle jemals akzeptieren, oder in seinem eigenen Streben nach Spitzenleistungen und Führerschaft auch nur nachlassen.
Umfassende Spionage
Die Kampagne gegen Huawei ist nur eine Facette der umfassenderen amerikanischen Strategie. Huawei wird beschuldigt, ein Agent der chinesischen Regierung zu sein, und seine 5G-Technologie, die weltweit führend ist, diene in Wirklichkeit — so behaupten die USA und andere — der weltweiten chinesischen Spionage.
Wieder einmal ist den Anklägern die Ironie der Sache entgangen. Mindestens seit dem Echelon-Projekt — das in den späten 1960ern begann — hören die Amerikaner und ihre „Five-Eyes“-Verbündeten — Australien, Kanada, Neuseeland und Großbritannien — private und regierungsinterne Kommunikation auf der ganzen Welt ab. Die Enthüllungen Edward Snowdens waren ein weiterer Beleg für die umfassende elektronische Spionage durch die nationale US-Sicherheitsbehörde NSA.
Jedes der „Five-Eyes“-Mitglieder überwacht einen Abschnitt der Welt, ausgehend von Orten wie Menwith Hill im britischen Yorkshire, Pine Gap in Australien, Waihopai auf Neuseelands Südinsel und der Buckley Air Force Base in Colorado. Moderne Technologien haben Ausmaß und Größenordnung dieser elektronischen Spionage lediglich erweitert.
Ein Großteil dieser Spionage zielt darauf ab, einen kommerziellen Vorteil für US-Unternehmen zu erzielen. Das ist nichts Neues. Die Amerikaner betrieben bereits im 19. Jahrhundert Industriespionage gegenüber den Briten, als diese eine führende Industriemacht waren. Diebstahl geistigen Eigentums ist keine neue Erfindung.
Bei den Patentanmeldungen belegt China heute weltweit den ersten Platz — im Jahr 2017 meldete es 1,38 Millionen Patente an, verglichen mit knapp 607.000 in den USA. Wenn ein Land größere Gefahr läuft, von Diebstahl geistigen Eigentums betroffen zu sein, dann ist es China. Es gibt bereits Hinweise darauf, dass eine der US-Reaktionen auf die Enthüllungen bezüglich Russlands überlegener Raketentechnik verstärkte Bemühungen zum Diebstahl russischen geistigen Eigentums in diesem Bereich waren.
Konkurrenzunfähigkeit
Die mehrheitliche Reaktion anderer Länder auf diese US-gesteuerte Offensive gegen Russland und China ist ein Hinweis darauf, dass die Wahrscheinlichkeit für ihren Erfolg gering ist. Einer der Gründe für die größere Bereitschaft anderer Länder, den Forderungen der US-Vorherrschaft zu trotzen, ist die wachsende Erkenntnis, dass die US-Schikanen auf einer Finanzstruktur basieren, die kurz vor dem Zusammenbruch steht.
Laut der Financial Times werden die USA im kommenden Jahrzehnt Anleihen im Wert von 12 Billionen Dollar verkaufen müssen. Sowohl China als auch Russland haben den Kauf von US-Staatsanleihen eingestellt; andere maßgebliche Käufer reduzieren ebenfalls ihre Anteile und sind immer weniger bereit, in Dollar zu handeln. Die USA werden entweder andere Käufer finden — unwahrscheinlich — oder ihre Ausgaben zurückfahren müssen — noch unwahrscheinlicher. Das Ausmaß, in dem Staaten aufhören, den Dollar als Handelsmedium zu nutzen, wird den Niedergang der US-amerikanischen Fähigkeit zur Dominanz beschleunigen.
Trump hat kürzlich versprochen, die Militärausgaben zu erhöhen, die sich bereits auf Rekordniveau befinden, und es mit China auf dem 5G-Markt aufzunehmen. Das sind Luftschlösser. Die USA haben derzeit keine Kapazitäten, um mit China oder Russland zu konkurrieren, wie der riesige Rückstand in der Hyperschallraketen-Technologie mehr als deutlich macht.
Es ist diese Unfähigkeit mitzuhalten, die den aktuellen Krieg, bestehend aus Zollkriegen, hybrider Kriegsführung, Sanktionen, Schikanen und Wirtschaftssabotage, vorantreibt. Diese Kriegsführung wird höchstens eine verzögernde Auswirkung auf den unvermeidlich fortschreitenden Aufstieg Chinas haben, der ohnehin nicht mehr als die Wiederherstellung einer historischen Position ist, die von fünf Jahrhunderten europäischer Kolonialherrschaft unterbrochen wurde. Im schlimmsten Fall — wie es im Rücktritt der USA von zahlreichen Vertragsverpflichtungen sichtbar wird, welcher symptomatisch für eine weitreichendere Missachtung der Rechte und Verantwortungen der Staatengemeinschaft ist — wird sie zu einem echten Krieg führen, der auf dem illusorischen Glauben beruht, die USA könnten ihre Vorherrschaft der Nachkriegsjahre für immer erhalten.
James O’Neill ist Rechtsanwalt und Jurist, sein Spezialgebiet ist das Internationale Recht, Schwerpunkt Geopolitik. Er hat gelehrt an der Universität von Bergen (Norwegen), der Universität von Waikato (Neuseeland) und war Gastprofessor an der Louvain la Neuve (Belgien). Er hat zwei Bücher und viele Artikeln verfasst, sowie Bewertungen in Fachzeitschriften und Kommentare in Publikationen in den USA, Europa und Australien geschrieben.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „US Already at War with China and Russia: The Rest ofUs Are Collateral Damage“. Er wurde von Melina Cenicero aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert. Das Marburger. Online-Magazin übernimmt den unter einer Creative Commons-Lizenz veröffentlichten Beitrag von Rubikon – Magazin für die kritische Masse.