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Der Krieg geht weiter – Mit fortgesetzten Propaganda-Lügen will der Westen einen wirklichen Frieden in Syrien verhindern

Karte von Syrien mit den großen Städten. Quelle Wikipedia

Marburg 30.03.2019 | Gastbeitrag von Karin Leukefeld   Der Syrien-Krieg ist vorbei, die Dschihadisten sind endgültig besiegt — solche Meldungen waren in den letzten Tagen in den Medien zu lesen. Man könnte sich darüber freuen, wenn es denn wahr wäre. Solange die US-Administration und ihre europäischen Verbündeten massive politische und wirtschaftliche Interessen in Syrien haben, werden sie keine Ruhe geben. Schon jetzt wird versucht, weiter Druck auf das Assad-Regime und seinen Verbündeten Russland auszuüben. Wie gehabt, arbeitet die Propaganda-Maschinerie des Westens dabei mit unbewiesenen Geschichten über Chemiewaffen und schwere Menschenrechtsverletzungen.
Die Syrien-Strategie der US-Administration und ihrer Verbündeten hat sich nicht geändert. Solange ihre Interessen in Syrien und in der Region nicht gesichert sind, soll es eine friedliche Entwicklung nicht geben. Der Druck auf die syrische Regierung und ihre Verbündeten Russland und Iran wird aufrechterhalten.

Die westlichen Interessen werden von der US-geführten „Kleinen Syriengruppe“ vertreten, ihr gehörten im Januar 2018 neben den USA Großbritannien, Frankreich, Saudi Arabien und Jordanien an. Im Sommer 2018 wurde die Gruppe um Deutschland und Ägypten erweitert. Das Ziel, die Türkei in diese Gruppe einzugliedern, wurde bisher nicht erreicht. Die Ziele der einzelnen Mitglieder der „Kleinen Syriengruppe“ sind verschieden, gemeinsam ist den Kernstaaten, dass sie die militärischen Erfolge Russlands, Irans und Syriens in Syrien sabotieren wollen. Deutschland und Ägypten hätten ohne die Kooperation mit der „Kleinen Syriengruppe“ kaum Chancen, ihren Interessen in Syrien überhaupt Gehör zu verschaffen. Das Mittel, um die Interessen durchzusetzen, heißt Blockade, Sabotage und Erpressung Russlands, Irans und natürlich Syriens. Bis die eigenen Interessen erreicht sind, weigert man sich, Frieden in Syrien zu fördern.

Strategie und Denkweise der „Kleinen Syriengruppe“ wurden in einem Protokoll offenbart, das im Februar 2018 in die Hände von Journalisten gelangte. Die libanesische Tageszeitung Al Akhbar schrieb darüber, Rubikon veröffentlichte die deutsche Übersetzung des Artikels „Lasst uns Syrien aufteilen“ am 3. März 2018. Es ist wichtig, daran zu erinnern, denn das Protokoll ist wie ein Drehbuch für die politischen Ereignisse des vergangenen Jahres in Syrien und um Syrien herum.

Der „geschickten russischen Propaganda“ über den Sieg in Syrien werde man entgegnen, dass Russland noch immer „in einem Kriegsgebiet“ feststecke. „Der Wunsch Russlands nach einer politischen Lösung“ liefere ein „Druckmittel, das wir einsetzen sollten“. Der von Russland initiierte Astana-Prozess, insbesondere die „Konferenz für den nationalen syrischen Dialog“ in Sotschi im Januar 2018 solle unter die Genfer UN-Gespräche gezwungen werden, die von den westlichen UN-Vetomächten USA, Großbritannien, Frankreich in Kooperation mit Deutschland bestimmt werden.

Dezidiert wird in dem Protokoll festgehalten, wie der UN-Sondervermittler Staffan De Mistura und die Genfer Gespräche „gestärkt“ werden sollen. Weiter geht es um den Umgang mit der Konferenz in Sotschi, um politische Unterstützung für die Opposition und die politische Zukunft der „Syrischen Demokratischen Streitkräfte“. Hingewiesen wird auf eine zukunftsweisende Rede des damaligen US-Außenministers Rex Tillerson am Hoover Institut über den „Weg vorwärts in Syrien“. Der Protokollant, Benjamin Norman, vermerkt schließlich noch, was man tun solle, um den „Druck auf Russland“ aufrechtzuerhalten: „Immer wieder auf die schreckliche humanitäre Situation hinweisen und Russlands Komplizenschaft bei der Bombardierung ziviler Ziele hervorheben.“

Da es nur noch wenige Kämpfe in Syrien gibt, wird von der „Kleinen Syriengruppe“ die „Bombardierung ziviler Ziele“ nur noch selten erwähnt. Umso intensiver werden andere Bereiche hervorgehoben. Humanitäre Hilfe, Zugang zu den Hilfsbedürftigen, Kampf gegen die Straflosigkeit, Forderungen und Bedingungen werden erhoben. Humanitäre Hilfe und mehr gibt es dort, wo die syrische Regierung keine Kontrolle hat. Das gilt für die Flüchtlingslager in den Nachbarländern Jordanien, Türkei, Irak, Libanon. Es gilt für diejenigen, die in Idlib oder östlich des Euphrat in Lagern für Inlandsvertriebene ausharren oder die als Nichtregierungsorganisation für Hilfsbedürftige arbeiten.

Stabilisierungshilfe gibt es für Verwaltung, Medien, Wiederherstellung der Infrastruktur und einiges mehr, sofern es nicht dort liegt, wo die Regierung das Sagen hat. Für Menschen, die dort leben, für diejenigen unter ihnen, die besonders hilfsbedürftig sind, gibt es Nothilfe wie Medikamente, Nahrungsmittel, Winterkleidung. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben, könnte man sagen. Damit soll die „Resilienz“ gestärkt werden, die Fähigkeit, auch schwierige Situationen zu durchleben. Bei Nietzsche hieß das in der „Kriegsschule des Lebens“: „Was mich nicht umbringt macht mich stärker“ (1).

Mögliche finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau, für Ausbildung, die Schaffung von Arbeitsplätzen, für Mikrokredite und kleine Projekte der Selbstversorgung, wird an Bedingungen geknüpft. Erst müsse der politische Transformationsprozess unter Kontrolle der Vereinten Nationen stattfinden, heißt es. Vorher geht gar nichts. Doch es gibt nicht nur keine Wiederaufbauhilfe, auch die Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Syrien bleiben erhalten. Dazu gehört auch, dass beispielsweise die deutsche Botschaft in Damaskus geschlossen bleibt.

Beispiel: Chemiewaffen in Syrien

Zusätzlich zu diesen Druckmitteln werden Vorwürfe erhoben, die unbewiesen sind und doch immer wieder erhoben werden. Einer dieser Vorwürfe ist, dass die syrische Regierung chemische Waffen und Giftgas „gegen die eigene Bevölkerung“ eingesetzt habe. Die Staaten der „Kleine Syriengruppe“ interpretieren die weitgehend neutralen Berichte der Untersuchungskommission der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), gehen an die Öffentlichkeit und machen immer wieder die syrische Armee und Regierung verantwortlich. Sie informieren die Medien, die entsprechend berichten. Sie fördern Debatten in UN- und internationalen Institutionen, um die Vorwürfe zu bekräftigen und zu verbreiten. Die Antworten oder Gegendarstellungen der „Beschuldigten“ werden meist ignoriert oder als unglaubwürdig dargestellt.

Zum jüngsten Bericht der „Fact Finding Mission“ der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen erklärte am 2. März eine Sprecherin des Auswärtigen Amts, am 7. April 2018 seien „giftige Chemikalien als Waffe eingesetzt“ worden. Das hätten die OPCW-Experten herausgefunden. Tatsächlich hieß es in dem Bericht, es gäbe „vernünftige Gründe“ davon auszugehen, dass Chemikalien als Waffe eingesetzt worden seien. „Dutzende Frauen, Männer und Kinder“ seien auf „grausame Art und Weise getötet und hunderte weitere verletzt worden“, so das Auswärtige Amt weiter.

Das sei „leider kein Einzelfall“ und reihe sich ein „in eine lange Liste an bestätigten Einsätzen dieser international geächteten Waffen in Syrien“. Und obwohl bis heute von Seiten der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen keine Verantwortung zugeschrieben wurde, heißt es in der Erklärung weiter: „Das Assad-Regime muss endlich sein komplettes Chemiewaffen-Programm offenlegen und unter internationaler Aufsicht vernichten.“

Genau das ist bereits geschehen und war von der OPCW auch am 4. Januar 2016 entsprechend bestätigt worden. In Berlin hat man vermutlich auch vergessen, dass die Chemiewaffenbestände — von Syrien als Abschreckungswaffe gegen die israelischen Massenvernichtungswaffen (Chemiewaffen, Atomwaffen) angeschafft — unter Kriegsbedingungen von russischen Spezialkräften 2013 und 2014 gesichert und unter anderem auf einem US-Spezialschiff im Mittelmeer und einer Verbrennungsanlage in Deutschland vernichtet worden waren.

Weil es aber von Oppositionellen und deren Hilfsorganisation „Weißhelme“ behauptet wird, soll Syrien wieder über Chemiewaffen verfügen. Sie sollen in Khan Sheikhun eingesetzt worden sein und in Douma, dem größten der östlichen Vororte von Damaskus. Der Einsatz in Douma soll den international preisgekrönten „Weißhelmen“ zufolge am 7. April 2018 erfolgt sein. Die syrische Regierung und die Armee wiesen den Vorwurf zurück. Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine Evakuierung der Kämpfer der „Armee des Islam“, die Douma kontrollierten, und ihrer Angehörigen angelaufen. Weil die „Armee des Islam“ intern aber uneinig war, begannen einige Einheiten der Organisation, erneut die syrische Hauptstadt mit Raketen zu beschießen.

Die Autorin befand sich an diesem Tag an dem humanitären Korridor, durch den Zivilisten aus Douma herauskamen. Auf der Rückfahrt in das etwa 10 Kilometer entfernte Damaskus waren die ersten Raketen zu hören, die auf die östlichen Stadtteile von Damaskus geschossen wurden. Die syrische Armee reagierte und feuerte ihrerseits Raketen und Mörsergranaten ab. Dabei, so die „Weißhelme“, seien chemische Waffen eingesetzt worden. Am nächsten Tag wurden die Angriffe wieder eingestellt, die Evakuierung aus Douma ging weiter. Die Vorwürfe gegen die syrische Armee verbreiteten sich international und wurden von einem Videoclip untermauert. Dort waren angeblich Giftgasopfer zu sehen, die in einem Krankenhaus mit Wasser abgewaschen wurden.

Die Darstellung der „Weißhelme“ und die von ihnen gelieferten Bilder waren schließlich der Grund, warum am 14. April die USA, Großbritannien und Frankreich in einer Art Bestrafungsaktion mehr als 100 Raketen auf syrische Einrichtungen abfeuerten. Diesen auch vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages als „völkerrechtswidrig“ eingestuften Angriff (2) gilt es nun weiterhin zu rechtfertigen.

Was war geschehen am 7. April 2018 in Douma?

Es gab — wie beschrieben — gegenseitige Angriffe, die am 8. April nach Verhandlungen eingestellt wurden. Angehörige des russischen Zentrums für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien suchten den Ort des Geschehens am 9. April auf, fanden aber nichts, was auf den Einsatz von chemischen Waffen hingedeutet hätte. Die russischen Experten fanden keine Toten, wohl aber medizinische Mitarbeiter, die zu dem Zeitpunkt in der Klinik von Douma gearbeitet hatten. Diese berichteten, dass sie Patienten versorgt hätten, die einen Luftangriff auf ein Haus überlebt und ins Krankenhaus gebracht worden seien. Plötzlich sei ein Mann aufgetaucht, habe die Menschen mit Wasser abgespritzt und gerufen, es sei ein Giftgasangriff gewesen. Panik sei ausgebrochen. Ein anderer Mann habe gefilmt.

Die meisten westlichen Medien und auch die preisgekrönten „Forensischen Architekten“ aus London bestätigten in teilweise aufwendigen Untersuchungen die Darstellung der „Weißhelme“. Lediglich ein Produzent der BBC Syrien, Riam Dalati lieferte über seinen Twitter-Account eine andere Einschätzung: „Nach fast sechs Monaten Untersuchung kann ich zweifelsohne beweisen, dass die Szene im Krankenhaus von Douma inszeniert war“. Die BBC distanzierte sich von den „privaten“ Äußerungen.

Ein Untersuchungsteam der OPCW besuchte den Ort des Geschehens aus Sicherheitsgründen erst 10 Tage nach dem Ereignis und auch nach den Angriffen der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Ihr Anfang März veröffentlichter Bericht kommt zu dem Ergebnis, dass eine toxische Chemikalie als Waffe eingesetzt worden sei. Diese „toxische Chemikalie“, vermutlich molekulares Chlor, habe reaktives Chlor enthalten. Obwohl in dem Bericht ausdrücklich kein Verantwortlicher genannt wird, sahen sich die Ankläger der syrischen Regierung und Armee bestätigt. Die Erklärung des Auswärtigen Amtes wurde bereits zitiert, verschiedene Medien berichteten verschiedene ‚Wahrheiten‘.

Unstimmigkeiten, Widersprüche und Lücken

Weitgehend unbekannt in deutschen Medien blieb die Stellungnahme des russischen OPCW-Botschafters Alexander Shulgin. Russland werde nicht aufgeben, die Wahrheit über das Geschehen in Douma herauszufinden, sagte Shulgin bei einer russisch-syrischen Pressekonferenz mit seinem syrischen Kollegen Bassam Sabbah am 11. März in Den Haag. Der von der OPCW-Untersuchungsmission vorgelegte Bericht zu den Ereignissen werfe Fragen auf, so Shulgin. Der Bericht weise „innere Unstimmigkeiten, Widersprüche und Lücken“ auf, insbesondere die ballistischen Analysen, die hohe Annahme von Opferzahlen und die Unstimmigkeiten im Umgang mit den Informationen, die von den „Weißhelmen“ geliefert worden seien würfen Fragen auf. Die Gruppe der „Weißhelme“ sei offiziell als „Syrischer Zivilschutz“ bekannt. Damaskus und Moskau allerdings beschuldigten die Gruppe mit Terrororganisationen wie der Nusra Front verbündet zu sein.

Ein großer Teil der Beweise, die von Russland kurz nach den Ereignissen vorgelegt worden seien, seien von der OPCW-Untersuchungskommission nicht berücksichtigt worden, kritisierte Shulgin. Auch die Aussagen der Augenzeugen, die auf einer Pressekonferenz in Den Haag im April den angeblichen Giftgasangriff als Inszenierung beschrieben hätten, würden in dem Bericht kaum erwähnt. Die Experten der OPCW seien offenbar durch den Druck der US-geführten Koalition eingeschüchtert worden. Der syrische OPCW-Botschafter Sabbah wies darauf hin, dass die syrische Regierung „äußerste Kooperation“ mit der Untersuchungsmission angeboten habe. Es sei bedauerlich, dass die Mission dennoch auf Proben zurückgegriffen habe, die nicht vor Ort in Douma von der OPCW genommen worden seien. Unklar sei auch, was einige der von der OPCW befragten Personen überhaupt mit dem Vorfall in Douma zu tun gehabt hätten.

Ein Chemiewaffenexperte des russischen Verteidigungsministeriums kritisierte einige technische Aspekte des OPCW-Berichts. Man zweifele nicht an der Professionalität der OPCW-Inspektoren, dennoch seien einige der vorgelegten Analysen von „zweifelhafter Qualität“. Das beträfe die ballistische Analyse und die angenommene hohe Opferzahl. Botschafter Shulgin betonte, die russische Vertretung bei der OPCW werde alles tun, um den Vorfall aufzuklären. Wichtig sei, dass die exzessive Politisierung des Themas aufhöre, die die Diskussion bei der OPCW zuletzt bestimmt habe.

Der Vorwurf an Syrien, Chemiewaffen zu besitzen, obwohl bekannt ist, dass sie vernichtet wurden, erinnert an die Zeit vor dem Irakkrieg 2003. Heute ist bekannt, dass der von den USA und Großbritannien 2002 und 2003 erhobene Vorwurf gegen die irakische Regierung, chemische und biologische Massenvernichtungswaffen zu verstecken, erfunden war. Er diente lediglich dazu, vor der Öffentlichkeit den völkerrechtlich nicht legitimierten Angriff auf den Irak zu rechtfertigen. Die Meinungsmacher und PR-Berater in Washington und London setzten darauf, dass es für den Irak unmöglich war, den Vorwurf zurückzuweisen. Wie sollte man beweisen, dass man nicht hatte, was man nicht hatte?!

Quellen und Anmerkungen

(1) Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung, Sprüche und Pfeile, 8, Aus der Kriegsschule des Lebens
(2) Völkerrechtliche Implikationen des amerikanisch-britisch-französischen Militärschlags vom 14. April 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in Syrien https://www.bundestag.de/resource/blob/551344/f8055ab0bba0ced333ebcd8478e74e4e/wd-2-048-18-pdf-data.pdf

Karin Leukefeld, Jahrgang 1954, studierte Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften und ist ausgebildete Buchhändlerin. Sie engagierte sich für die Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit unter anderem beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), Die Grünen (Bundespartei) sowie der Informationsstelle El Salvador. Seit dem Jahr 2000 ist sie als freie Korrespondentin im Mittleren Osten tätig und seit 2010 in Damaskus akkreditiert.

Dieser Beitrag ist erschienen in Rubikon – Magazin für die kritische Masse, die Redaktion von das Marburger. übernimmt gemäß Creative Commons Lizenz.

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