Preisverleihung in Lutherischer Pfarrkirche an Seyran Ateş als Streiterin für Freiheit und Menschenrechte
Marburg 28.04.2019 (pm/red) Eine Lutherische Pfarrkirche und eine muslimische Preisträgerin, eine katholische Laudatorin und starke Worte für Freiheit und Menschenrechte; Pädoyers für die Geltung von Recht vor Religion, kombiniert mit der „Ode an die Freude“, gesungen als Bekenntnis zu Europa aus hunderten Kehlen – waren Zutaten der Festveranstaltung zum Preis „Das unerschrockene Wort 2019“ am Samstag. 27. April 2019 in Marburg. Die Berliner Muslima, Anwältin, Frauenrechtlerin und Moscheegründerin Seyran Ateş hat die Auszeichnung des ‚Bunds der 16 Lutherstädte Deutschlands‘ verliehen bekomen.
„Mit Ihnen würdigen wir heute eine Frau, für die unsere Auszeichnung der Lutherstädte wie gemacht scheint“, eröffnete Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies die feierliche Preisverleihung an Seyran Ateş in der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien. „Sie setzen sich im besten Sinne des Wortes für Freiheit ein: für das Recht von Frauen, für das Recht von Homosexuellen, für das Recht von Kindern und Schutzbedürftigen. Für das Recht von allen Menschen auf ein Leben unter eigener Regie, nach freiem Willen und mit freier Entscheidung. Für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Und für das Recht auf eine Religiosität nach genau diesen Grundsätzen: ohne Gewalt, selbstbestimmt, offen für alle Menschen. Und allem voran: für die Geltung des Grundgesetzes, der universellen Menschenrechte, für die Trennung von Staat und Kirche, für Religionsfreiheit, für die Geltung von Recht vor Religion“, so der Oberbürgermeister über das preiswürdige Wirken von Ateş.
Der Preis „Das unerschrockene Wort“ ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Veranstaltung mit VertreterInnen der Lutherstädte aus ganz Deutschland sowie Gästen aus Politik und Verwaltung, Religionsgemeinschaften, Vereinen und weiteren ehrenamtlich Engagierten, dazu EhrenbürgerInnen und interessiertes Publikum aus Marburg und Landkreis, fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt: Seyran Ateş wird für ihr Engagement mit dem Tode bedroht, sie muss rund um die Uhr unter Polizeischutz leben.
„Der Einsatz für Freiheit und Demokratie ist auch in einem Land wie Deutschland leider nicht einfach und keine Selbstverständlichkeit. Vielen Dank an Deutschland, speziell Berlin und das LKA Berlin, dass sie meine körperliche Unversehrtheit und mein Leben täglich schützen, während ich nicht müde werde, mich für die Gleichberechtigung der Geschlechter, für die Rechte der LGBTQI* Community und einen säkular-liberalen, reformierten, zeitgemäßen Islam einsetze und praktiziere“, sagte Seyran Ateş als Preisträgerin. Sie dankte den Marburger Sicherheitskräften und allen, „die mich vor Extremisten, Islamisten, Faschisten schützen, die mich am liebsten tot sehen würden“.
Unter großem Beifall und stehenden Ovationen des Publikums in der vollbesetzten Marburger Kirche nahm sie die Ehrungsurkunde der Lutherstädte entgegen. „Mit großer Freude und Demut nehme ich stellvertretend diesen Preis entgegen, wohlwissend, dass ich nur ein winzig kleiner Teil einer großen Bewegung bin, die in den nächsten Jahrzehnten die gesamte Welt zum Positiven verändern wird. Davon bin ich zutiefst überzeugt“, betonte Seyran Ateş. Man könne sie als die Friedensbewegung der Religionen, einschließlich der Weltanschauungsideologien, bezeichnen. Sie sei der Überzeugung, „dass wir den vielbeschworenen und heiß ersehnten Weltfrieden nur erlangen werden, wenn wir es schaffen, Frieden zwischen den Religionen, einschließlich der Weltanschauungsideologien herzustellen“.
Eindringlich spricht Seyran Ateş über die Freiheit – was sie ist, was sie für uns bedeutet. Anhand der drei Marburger Stadtschriften, die sie als Gastgeschenk im Hotel vorfand, führt sie aus, was Freiheit meint – von den berühmten Aussagen Hannah Arendts ( „Frauen in der Marburger Stadtgeschichte“) über Martin Luther („Die von Marpurg“) bis zu Oswalt Kolle („68’er Stichworte Marburg A-Z“). Sie selbst hat auch Kolle, eine der „Gallionsfiguren der sexuellen Revolution in Deutschland“ ein Kapitel in einem ihrer eigenen und wichtigsten Bücher „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ gewidmet. „Ich sehe in dem Thema der selbstbestimmten Sexualität die größte Kluft zwischen der sogenannten islamischen und sogenannten westlichen Welt“, betonte Ateş im Rahmen der Feierstunde.
Die Laudatio an die Preisträgerin Seyran Ateş sprach die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Gesine Schwan. Wunderbar ermutigend finde sie, so Schwan, „dass Seyran Ateş von der Offenheit der Menschen ausgeht. Ihre Moschee ist offen, sie glaubt an transkulturelle ‚Mehrsprachigkeit‘, auch zwischen den Religionen und Konfessionen. Die brauchen wir unbedingt, wenn unsere Gesellschaften nicht in Zuschreibungen erstarren sollen“, schlug die Laudatorin den Bogen von der Preisverleihung in der Marburger Kirche zu den großen Herausforderungen für die Zukunft des Zusammenlebens in Deutschland und der Welt.
Im musikalischen Begleitprogramm sang die persisch-deutsche Altistin und künstlerische Leiterin des interreligiösen Avram Ensembles Schirin Partowi zunächst ein aramäisches Vaterunser, dann ein mystisches türkisches Lied und schließlich die „Ode an die Freude“. Das Stück mit den Worten Friedrich Schillers nach der Melodie Ludwig van Beethovens, die Hymne Europas, hatte sich Seyran Ateş für die Preisverleihung gewünscht. Es war ein bewegender Moment, als das Publikum in der Kirche, begleitet von Uwe Maibaum an der großen Orgel, in den Gesang miteinstimmte.
Foto Georg Kronenberg