Spielerische Vermittlung digitaler Kompetenzen beim Familien-Medientag

21.12.2024 (pm/red) Das Programm zum „Familien-Medientag“ im Marburger Haus der Jugend hat teils spielerischen Einstieg in den Umgang mit digitalen Medien geboten. So gab es interaktive Stationen um Apps auszuprobieren, Drohnen zu steuern oder Stop-Motion-Filme …

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Die Rentenpanik

Kassel 16.02.2020 | Gastbeitrag von Holger Balodis.  Entgegen der Propaganda von Arbeitgebern und Finanzwirtschaft wären bessere Renten möglich. Abdruck aus dem Buch „Rente rauf!“. „Rente rauf!“ Das finden fast alle gut, jedenfalls bei der eigenen Rente und der des Partners. Wenn wir aber auf das große Ganze schauen, verlässt viele von uns schnell der Mut und es kommen leise Zweifel: Sind es nicht wirklich zu viele, die demnächst eine Rente wollen? Werden die Jungen — Stichwort „Generationengerechtigkeit“ — dadurch nicht maßlos überfordert? Wer nun verschämt mit Ja antwortet, hat rentenpolitisch schon die weiße Fahne gehisst. Er stimmt der These zu, höhere Renten wären womöglich unfinanzierbar und unverantwortlich. Genau genommen — das wäre dann die logische Folge — könne es noch nicht mal so weitergehen wie bisher. Die Renten müssten sogar sinken, sonst bräche das Sozialsystem zusammen. Angelangt an diesem Punkt, erfasst viele Verzagtheit und Ratlosigkeit. Richtig wäre stattdessen, kräftig Einspruch einzulegen: Denn dieses Szenario ist grober Unfug. Wer so argumentiert, hat nur vermeintlich die Logik auf seiner Seite — ist vielmehr der jahrzehntelangen Einflüsterung von Finanzwirtschaft und Arbeitgeberverbänden auf den Leim gegangen.

Es ist Propaganda, die uns weismachen will, dass das Ende der gesetzlichen Rente und das Ende des Sozialstaats insgesamt kurz bevorstünden. Zwar werden uns noch ein paar wenige Jahre Schonfrist zugestanden, aber dann soll der rententechnische Weltuntergang folgen. Derzeit datieren die Apologeten diesen ungefähr auf das Jahr 2030.

Demografie als Vorwand

In Reinform betreibt diese Propaganda die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Sie ist eine PR-Truppe der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie (4). Mit tendenziösen Studien und als Experten auftretenden Botschaftern — darunter die Professoren Bernd Raffelhüschen und Michael Hüther sowie der Unternehmensberater Roland Berger (5) — versucht die INSM immer wieder, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Ihr Mantra: Höhere Renten kosten Wachstum und Wohlstand.

Stattdessen soll mehr private Vorsorge betrieben werden. Die Arbeitgeber bekämpfen gute Renten schlicht deshalb, weil sie möglichst niedrige Rentenbeiträge zahlen wollen. Das Demografie-Argument, also zu viele Alte, zu wenig Junge, dient hierfür nur als Vorwand. Wer die demografische Entwicklung als Begründung heranzieht, hätte nahezu jeden Zeitpunkt in den vergangenen 100 Jahren nehmen können, um das nahe Ende der gesetzlichen Rente zu prophezeien. Die Geburtenzahlen sinken nämlich schon genau so lange mit großer Regelmäßigkeit — nur unterbrochen von einem Geburtenboom zwischen 1955 und 1970 (6).

Somit sank auf lange Sicht auch das Verhältnis von Jungen im erwerbsfähigen Alter zu den Alten im Rentenalter beständig: von einem Verhältnis von über 10 zu 1 im Jahr 1910 bis auf aktuell knapp 3 zu 1 (7). Der demografische Wandel ist also Fakt. Nur ist er keine künftige Bedrohung.

Er hat in ganz wesentlichen Teilen längst stattgefunden (siehe Rente kompakt: Demografie, Seite 123). Wichtiger als das Verhältnis von Alten zu Jungen ist zudem das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern. Und noch wichtiger ist, wie sich die Wirtschaftskraft entwickelt und wie die Arbeitnehmer daran beteiligt werden.

Steigen die Bruttoeinkommen kräftig und dauerhaft an, so war und ist die Versorgung von mehr Rentnern kein Problem (8). Deshalb ist der Zusammenbruch des Rentensystems bis heute ausgeblieben. Die Furcht davor ist dennoch verbreitet. Die heute Jungen glauben vielfach schon gar nicht mehr daran, dass sie später überhaupt eine Zahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommen werden. Dieser Fatalismus ist gefährlich: Wer die Rente schon abgeschrieben hat, ist auch nicht bereit, für bessere Renten zu kämpfen.

„Rente rauf!“ erscheint ihnen wie eine völlig unrealistische Forderung. Dabei übersehen die jungen Resignierten das Wesentliche: Die gesetzliche Rente bietet im Umlageverfahren ausgezeichnete Möglichkeiten, eine wachsende Rentnergeneration gut zu vorsorgen.

Die Rezepte liegen auf dem Tisch: gute Beschäftigung und bessere Löhne, mehr Beitragszahler durch Einbeziehung aller Arbeitnehmer, politisch verordnete Einnahmeverluste beenden, höhere Beiträge und ein fairer, deutlich höherer Bundesanteil an den Renteneinnahmen. Diese Stellschrauben bilden den Kern unseres 8-Punkte-Programms „Rente rauf!“.

Zusammen eingesetzt, können sie den Niedergang der gesetzlichen Rente korrigieren, der Ende der 1980er Jahre Fahrt aufnahm und sich mit der Riester-Rentenreform 2001 beschleunigte. Nur wenn wir diese Wende zu besseren Renten schaffen, hat die gesetzliche Rente eine gute Zukunft. Wird sie weiter kaputtgespart, verliert sie zunehmend ihre Legitimation und die Jungen würden dann wirklich mit allem Recht fragen: Wozu sollen wir noch einzahlen?

Retter als Täter

In die Existenzkrise geriet die Rente paradoxerweise erst durch ihre selbst ernannten Retter Gerhard Schröder, Walter Riester und all die anderen Politiker, die zur Jahrtausendwende willig den Interessen der Finanzwirtschaft folgten. Ihr Glaubensbekenntnis lautete: 1. Die Rentenbeiträge seien überhöht und schuld an der hohen Arbeitslosigkeit. 2. Die private, sogenannte kapitalgedeckte Geldanlage biete eine erheblich höhere Rendite. 3. Die gesetzliche Rente werde an der Alterung der Gesellschaft scheitern. Alle drei Annahmen waren falsch, doch Schröder und Riester setzten ihre Reform durch und schalteten ihre Kritiker gezielt aus (9).

Tatsächlich kreierten sie ein Dreisäulenmodell aus gesetzlicher Rente, betrieblicher Rente und Riester-Rente. Während die erste Säule, die gesetzliche Rente, ohne Not langsam, aber sicher durch zahlreiche Kürzungsmaßnahmen auf die Intensivstation geschickt wurde, sollten die beiden anderen Säulen diese Verluste ausgleichen.

Knapp 20 Jahre später wissen wir: Es funktioniert nicht. Die von der Finanzwirtschaft bereitgestellten Vorsorgeprodukte der zweiten und dritten Säule liefern klägliche Ergebnisse. Ohne die staatlichen Zuschüsse lägen die meisten Renditen wohl tief im Minus. Und das liegt keineswegs nur an der Niedrigzinsphase. Es sind die gigantischen Kosten der Finanzwirtschaft, die Erträge nahezu unmöglich machen. Wer Jahr für Jahr allein im Bereich der Lebensversicherungen rund 9 Milliarden Euro an Kosten produziert, hat am Ende wenig zu verteilen (10).

Die Qualität der Rentenkasse

Das sieht beim Non-Profit-Unternehmen Deutsche Rentenversicherung ganz anders aus. Hier verdienen keine Aktionäre, hier muss kein Heer von Außendienstmitarbeitern finanziert werden. Die Kosten sind mit 1,3 Prozent der Ausgaben sehr gering (11). Und ob die Zinsen am Kapitalmarkt hoch oder niedrig sind, kann der Rentenkasse praktisch egal sein. Sie verteilt die Einnahmen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen sowie Bundesanteilen direkt um.

Dieses Umlageverfahren ist ein besonders effektives und von den Kapitalmärkten unabhängiges Verfahren, das nicht nur bei uns, sondern in ähnlicher Form in nahezu allen Nachbarländern praktiziert wird. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Bund zahlen ein und rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner bekommen eine Rente (12). Rund 300 Milliarden Euro werden so derzeit pro Jahr ausgezahlt: als Altersrente, als Hinterbliebenenrente, als Erwerbsminderungsrente für jene, die wegen dauerhafter Erkrankung vorzeitig ausscheiden, und als Kranken- und Pflegekassenbeitrag für die Rentner (13).

Auch die noch Aktiven profitieren, da die Rentenkasse darüber hinaus Reha-Maßnahmen bezahlt, um die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen (14). Das ist ein Leistungspaket, das Allianz & Co. privat niemals in dieser Form bereitstellen könnten. Dennoch wird gerade vonseiten der privaten Finanzwirtschaft die Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rente in Zweifel gezogen.

Dabei sprechen die Fakten eine andere Sprache. Alle ökonomischen Rahmendaten untermauern, dass die Basis für gute Renten seit Jahren exzellent ist. Die Einnahmen der Rentenkasse wachsen seit Jahrzehnten kräftig, Jahr für Jahr (15).

Und die Rücklagen erreichten Ende 2019 einen neuen Rekordstand (16). Selbst in Zeiten von Börsencrash und Finanzkrise ging es stetig nach oben. Ein Grund: Seit vielen Jahren steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (17). In den vergangenen zehn Jahren kamen fast sechs Millionen Beschäftigte hinzu. Zwar hat auch die Zahl der Rentner zugenommen, doch das Verhältnis von Einzahlern zu Rentenbeziehern ist heute deutlich günstiger als etwa vor 20 Jahren (18). Und die Lohn- und Gehaltssumme der Arbeitnehmer wächst sowohl absolut als auch bezogen auf den Einzelnen Jahr für Jahr an (19). Auch das Bruttoinlandsprodukt, aus dem letztlich aller Sozialaufwand finanziert werden muss, steigt mit einer beeindruckenden Konstanz an (20).

Wer die Daten der Deutschen Rentenversicherung nüchtern analysiert, stellt fest, dass alle noch vor einem Jahrzehnt gemachten ökonomischen Prognosen sich nicht erfüllten: Die Zahl der Beitragszahler liegt um 17 Prozent höher, die Zahl der Arbeitslosen um 34 Prozent niedriger und der Beitragssatz um fast einen Prozentpunkt niedriger als erwartet (21). Wie so oft in den vergangenen Jahrzehnten lagen die Renten-Kassandras daneben. Wir sind davon überzeugt, dass dies auch für die Zukunft gelten wird, wenn die Weichen heute richtig gestellt werden (siehe Rente kompakt: Umlageverfahren statt Kapitaldeckung, Seite 114).

Viel Potenzial für gute Renten

Zwar werden Millionen „Babyboomer“ in den nächsten Jahren in Rente gehen, doch lässt sich dieser Rückgang an Beschäftigung weitgehend kompensieren, wie eine Untersuchung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler- Stiftung gezeigt hat (22). Die Forscher sehen noch erhebliche Reserven bei Migranten, Frauen und Personen über 60 Jahren (23). Speziell für die gesetzliche Rente ist sogar noch ein riesiges Potenzial an Beitragszahlern relativ einfach zu gewinnen: durch die Eingliederung aller Erwerbstätigen in die Rente.

Derzeit gibt es in Deutschland 33,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (24), doch die Zahl der Erwerbstätigen liegt mit rund 45,3 Millionen weit höher (25). Mit anderen Worten: Es gibt aktuell fast 12 Millionen Personen — Beamte, Selbstständige, Freiberufler, Politiker, Spitzenmanager, geringfügig Beschäftigte —, die sich in die Rentenkasse integrieren ließen, wenn das politisch gewünscht wäre.

In Österreich und der Schweiz ist dieses Prinzip bereits verwirklicht. Dort zahlen alle in die Rentenkasse ein. Die ökonomischen Grundlagen für „Rente rauf!“ sind also vorhanden. Dies belegt auch das Portal „Fakten zur Rente“, das das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) seit dem Sommer 2019 auf seiner Internetseite präsentiert. Unter dem Titel „Ist die Bevölkerungsentwicklung eine Gefahr für das Sozialsystem?“ findet sich eine eindrucksvolle Grafik. Sie zeigt, dass die Last, die unsere Gesellschaft für die nicht arbeitenden Alten und Jungen tragen muss, heute deutlich niedriger ist als in den vermeintlich goldenen 1970er Jahren (26).

Das liegt daran, dass der leicht steigende Altenquotient durch einen sinkenden Jugendquotienten mehr als ausgeglichen wird. So betrachtet, kann von einer demografischen Überlastung keine Rede sein. Das Schaubild zur Entwicklung der Rentenbeiträge im Ministeriumsportal belegt, dass diese Beiträge aktuell sehr niedrig sind. Mit 18,6 Prozent vom Bruttoeinkommen liegen sie immerhin 1,7 Prozentpunkte niedriger als vor 20 Jahren (27).

Doch das ist keineswegs eine gute Nachricht: Dieser niedrige Rentenbeitragssatz ist einer der Gründe, warum die deutschen Renten im internationalen Vergleich so kümmerlich ausfallen. Dazu passt ein weiteres Schaubild, das das Ministerium unter dem Titel „Wie viel Rentenausgaben hat Deutschland im Vergleich zum europäischen Ausland?“ veröffentlicht. Es dokumentiert, dass Deutschland hier noch reichlich Luft nach oben hat. Gemessen am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt, liegt Deutschland klar unter dem EU-Durchschnitt (28). Soll heißen: Wir leben bei den Renten eindeutig unter unseren Verhältnissen.

Prozentual deutlich mehr vom gesellschaftlichen Reichtum gönnen Spanien, Belgien, die Niederlande, Finnland, Dänemark, Österreich, Portugal, Frankreich, Italien und Griechenland ihren Rentnerinnen und Rentnern. Die schwache deutsche Position wird sogar noch dadurch geschönt, dass in die Darstellung auch die hierzulande vergleichsweise hohen Beamtenpensionen sowie die Betriebsrenten und sogar die private Vorsorge in die Berechnung eingeflossen sind.

Bezogen auf die gesetzliche Rente für Arbeitnehmer sieht der internationale Vergleich noch düsterer aus. Genau diesen Vergleich stellt regelmäßig die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an. Hier landet Deutschland mit einer Lohnersatzquote von kümmerlichen 38 Prozent auf einem hinteren Platz, weit abgeschlagen hinter Ländern wie den Niederlanden (97 Prozent), Dänemark (86 Prozent) oder Österreich (78 Prozent) (29). Eine Lohnersatzquote von 38 Prozent besagt, dass ein deutscher Arbeitnehmer später mit einer Rente rechnen kann, die nur 38 Prozent seines durchschnittlichen früheren Bruttoeinkommens ausmacht. Es ist höchste Zeit, das zu ändern: „Rente rauf!“

Quellen und Anmerkungen:

Die Anmerkungen und Quellenangaben zu diesem Text finden Sie im Buch.
Holger Balodis, Dagmar Hühne: Rente rauf!, So kann es klappen, DVS-Verlag Frankfurt

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht und ist entnommen Rubikon, dem Magazin für die kritische Masse.

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