Rechtsextremismus in Hessen: Beratungs- und Präventionszahlen 2019 erneut auf Rekordhoch
Kassel 13.03.2020 (pm/red) Wolfhagen – Wächtersbach – Hanau: Gewalttaten in Hessen haben in den letzten Monaten auf schreckliche Weise klargemacht, dass der Rechtsextremismus zu einer immer größer werdenden Gefahr geworden ist. Für Fachleute ist das nicht überraschend: Seit Jahren steigt auch in Hessen die Zahl der Menschen, die Hilfe zu diesem Thema suchen: So registriert das „Beratungsnetzwerk Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus“ für 2019 erneut Rekordzahlen.
Das vom Land Hessen und vom Bund geförderte Netzwerk berät Gewalt- und Bedrohungsopfer, Schulen, Eltern, Familienangehörige, Kommunen, Vereine und andere Betroffene in Fällen von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus und bietet Präventionsmaßnahmen an. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 295 Beratungsfälle (2018: 248) sowie 149 Präventions- (2018: 123) und 476 Bildungsangebote (2018: 288) im Beratungsnetzwerk Hessen dokumentiert – so viele wie nie zuvor.
Gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus
Das teilt das zuständige Demokratiezentrum Hessen an der Philipps-Universität Marburg aktuell mit. Die Tendenz nach oben zeichne sich schon seit langem ab. Wachsender Rechtspopulismus, sprachliche Verrohung, Hass und Hetze im Internet und offene Bedrohungen als Ausfluss einer verfestigten Polarisierung und Unsicherheit in der Gesellschaft führten – ebenso wie der gestiegene Bekanntheitsgrad des Beratungsnetzwerks – dazu, dass sich von Jahr zu Jahr immer mehr Menschen an das Netzwerk wendeten, erklärt das Demokratiezentrum Hessen, das als zentrale Fach-, Anlauf- und Geschäftsstelle des Netzwerks fungiert.
Rechtes Gedankengut endet nicht an Landesgrenzen
Auf der eine Seite habe de facto die rechte Gewalt in Hessen seit dem vergangenen Jahr erkennbar zugenommen, auf der anderen Seite sei der organisierte Rechtsextremismus mit sichtbaren Strukturen wie Kameradschaften, rechten Gruppierungen, Skinheads usw. schwächer geworden, und das Problem verlagere sich in breite Schichten der Gesellschaft oder auch in sogenannte „Mischszenen“, erläutert Dr. Reiner Becker, Leiter des hessischen Demokratiezentrums.
„Viele Menschen mit rechtsextremen Einstellungen brauchen keine Strukturen mehr, sondern vernetzen sich z. B. in den sozialen Netzwerken“, so Becker. „Spätestens seit Anfang der 1980er-Jahre wissen wir, dass Tendenzen wie Rechtsextremismus und Antisemitismus weit in der Mitte der Gesellschaft verbreitet sind. Neu ist, dass mit Hilfe der sozialen Netzwerke die ‚Büchse der Pandora‘ geöffnet wurde. Und damit sind wir täglich konfrontiert“, sagt Becker. Zusehends folgten aus Worten Taten. So auch in Hessen, das im vergangenen Jahr besonders mit dem Problem rechter Gewalt konfrontiert war, aber keineswegs der „Hotspot der Republik“ sei.
Um Rechtsextremismus entgegenzutreten und ihm vorzubeugen, müsse man an „vielen Stellschrauben drehen“, meint Becker. Es gelte, sich stärker und dauerhafter klar gegen menschenfeindliche Tendenzen und für unseren gesellschaftlichen Wertekonsens zu positionieren, fordert er. Jeder Einzelne sei aufgerufen, Haltung zu zeigen, wenn er im Alltag auf Menschen mit rechtem Gedankengut treffe. Zudem sei offenbar das Wiedereinüben von Respekt, Toleranz und Offenheit im Sinne eines friedlichen Miteinander präventiv notwendig. Denn: „Unsere Demokratie ist nicht selbstverständlich, und es braucht mehr denn je ein breites Engagement dafür“, sagt Becker.