»Grüner« Wasserstoff oder »grüner« Strom für die Gebäudewärme?
Kassel 31.05.2020 (pm/red) In Deutschland und Europa wird die energiepolitische Diskussion derzeit stark von Wasserstoff als universellem Energieträger für die Energiewende geprägt. Die unterschiedlichen Sektoren erfordern aber eine differenzierte Betrachtung. Eine Studie des Fraunhofer IEE in Kassel hat den Einsatz von Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem mit dem besonderen Fokus auf die Gebäudewärmeversorgung untersucht und in Bezug zur direkten Nutzung von elektrischem Strom in Wärmepumpen gesetzt.
Für eine CO2-neutrale Energieversorgung gibt es zu den erneuerbaren Energiequellen keine Alternative. Erneuerbare Energien, allen voran aus Windenergie- und Photovoltaikanlagen, liefern effizient und günstig elektrischen Strom. Die wetterbedingt fluktuierende Erzeugung aus Wind- und Solarenergie erfordert eine höhere installierte Gesamtleistung gegenüber der bisherigen Kraftwerksleistung für die Stromversorgung.
»Es bietet sich an, die anderen Energiesektoren Verkehr, Gebäude, Industrie zunehmend an den elektrischen Sektor anzubinden. Dadurch lässt sich dem fluktuierenden Erzeugungsmuster der erneuerbaren Energiequellen eine Lastdynamik mit zahlreichen flexiblen Lasten und Speichermöglichkeiten entgegenstellen«, erläutert Prof. Dr. Clemens Hoffmann, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel.
Wie kommt die Energie zu den Verbrauchern?
Doch wie kommt die Energie zu den Verbrauchern? Direkt über die Stromleitungen oder über chemische Energieträger, wie Gase oder flüssige Kraftstoffe? In Deutschland und Europa wird die energiepolitische Diskussion derzeit von Wasserstoff als universellem Energieträger für die Energiewende geprägt. Im Auftrag des Informationszentrums Wärmepumpen und Kältetechnik IZW e.V. in Hannover hat das Fraunhofer IEE nun den Einsatz von Wasserstoff im zukünftigen Energiesystem mit dem besonderen Fokus auf die Gebäudewärmeversorgung untersucht.
Im ersten Schritt haben die Forscher die zukünftige Wasserstoffnachfrage in allen Anwendungen und das Angebot von »grünem« also mit regenerativen Energien erzeugtem Wasserstoff analysiert. Anschließend werden ein Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur in Deutschland sowie eine teilweise Umnutzung des bestehenden Gasnetzes generell und in Hinblick auf eine dezentrale Gebäudeversorgung bewertet. Dem stellen die Autoren der Studie Potenziale und mögliche Hemmnisse einer von Wärmepumpen dominierten Wärmeversorgung gegenüber, die über das Stromnetz direkt mit regenerativem Strom gespeist wird.
Die Erzeugung von »grünem« Wasserstoff in Deutschland muss durch Importe ergänzt werden
»Wasserstoff kann als chemischer Energieträger in vielen Anwendungsfeldern als Endenergie genutzt werden, wie z.B. als Kraftstoff im Verkehr, oder weiter konvertiert werden in chemische synthetische Energieträger und Chemierohstoffe unter Hinzuziehung von Kohlenstoff aus CO2 oder von Stickstoff, beispielsweise zur Herstellung von Düngemittel. Das wirtschaftlich zu erschließende Erzeugungspotenzial über Elektrolyse mit regenerativen Strom ist in Deutschland aber begrenzt. Daher müssen wir gut transportierbare synthetische Energieträger auch in Regionen mit sehr guten Potenzialen für Solarenergie und Windenergie herstellen und von dort importieren«, erklärt Prof. Hoffmann aus der Systemsicht. Aber auch der Import von Wasserstoff hat laut Studie ein begrenztes wirtschaftliches Potenzial.
Wärmepumpentechnologie bietet Vorteile für die Gebäudewärmeversorgung
»Aufgrund des wirtschaftlich begrenzten Erzeugungspotenzials von Wasserstoff in Deutschland und Europa sollten wir ihn vor allem dort einsetzen, wo es keine wirtschaftlichen Alternativen gibt oder er besondere Vorteile gegenüber anderen Optionen aufweist. Für eine Versorgung der dezentralen Gebäudewärme ist der Einsatz von Wasserstoff nach unseren Erkenntnissen nicht notwendig und auch aus Kosten- und Effizienzgründen nicht sinnvoll. Denn die benötigte erneuerbare Energiemenge zur Bereitstellung von Niedertemperaturwärme mit Wasserstoff ist um 500 bis 600 % höher gegenüber der Wärmepumpe. Selbst in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland besteht ein ausreichendes Potenzial von Strom aus Windenergie und Photovoltaik, um die hohen Nachfragepotenziale einer direkten Stromnutzung in den Bereichen Elektromobilität, Industrieprozesswärme und Gebäudewärme zu versorgen«, stellt Hoffmann fest.
»Für die Versorgung von Gebäuden bietet die effiziente Wärmepumpentechnologie mittlerweile umfassende Lösungen, um den für einen schnellen Markthochlauf teilweise notwendigen Einsatz in unsanierten Bestandsgebäuden effizient zu ermöglichen.« Dabei kann die elektrische Versorgungssicherheit in einem wetterabhängigen Energiesystem in der kalten Dunkelflaute trotz der erhöhten Stromnachfrage mit moderaten zusätzlichen Gaskraftwerkskapazitäten zu geringen Mehrkosten gewährleistet werden. Auch für das Stromnetz ergeben sich daraus keine besonderen Herausforderungen. Die Ausbaukosten für das Stromnetz werden überwiegend durch die zur Erreichung der Klimaziele notwendige erneuerbare Stromerzeugung und die Elektromobilität bestimmt. Die zusätzlichen Netzkosten für den Einsatz von Wärmepumpen sind gering.
»Grüner« und »blauer« Wasserstoff
Die technische- und wirtschaftliche Reife der Bereitstellung von Gebäudewärme aus elektrischem Strom mit Hilfe der Wärmepumpe, sowie die Bereitstellung von CO2-freiem »grünem« Wasserstoff für industrielle Prozesse und Mobilität ist hoch. Beim CO2-armen »blauen« Wasserstoff ist derzeit unklar, ob die Behandlung der technischen Probleme der Herstellung und des Transportes dazu führen, dass er überhaupt wirtschaftlicher sein kann, als der elektrolytisch hergestellte grüne Wasserstoff. »Insbesondere aber muss die Energieforschung beim »blauen« Wasserstoff frühzeitig darauf hinweisen, dass die Erzeugung hochkonzentrierten Kohlendioxids in Mengengerüsten von Milliarden von Kubikmetern pro Jahr – wenn dieser Wasserstoff einen signifikanten Beitrag zum zukünftigen Energiesystem beitragen soll – Fragen aufwirft, die ähnlich sind wie jene, die an die Kernenergie zu stellen waren: nämlich die Frage nach der Größe eines größten anzunehmenden Unfalls (GAU) und die Wahrscheinlichkeit dafür.
Diese Fragen werden derzeit noch nicht aufgeworfen und es kann deshalb der Eindruck entstehen, dass der »blaue« Wasserstoff bereits eine reale Alternative zur Energiesystemtransformation darstellt. Dies ist nicht der Fall und wissenschaftliche Verantwortung muss darauf hinweisen«, stellt Prof. Hoffmann, der früher für die Kernfusion forschte, mahnend fest.