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Buchbesprechung „Dagobertshausen Ausverkauf eines Dorfes?“ – Monopoly im Marburger Land in Zeiten des Finanzmarktkapitalismus

Kassel 24.08.2020 (yb) Das Marburger Land mit der Lahn als blauem Band ist recht erfolgreich mit der Vermarktung seiner landschaftlich-kulturhistorischen Potentiale. Ob als „Lahn-Ferienstraße“, als „Lahnradweg“ oder der südlich von Marburg beginnende Kanutourismus auf der Lahn, es mangelt nicht an Angeboten und Labels, um Touristen und Besucher nach Mittelhessen zu locken. Mit der Lahn und den Lahnbergen bietet die Region viele Dörfer und Kleinstädte, dazu die Universitätsstadt Marburg selbst, die mit dem weithin sichtbaren die Altstadt überragendem Wahrzeichen Landgrafenschloss grüßt. Landschaftliche und kulturhistorische Werte locken freilich nicht allein Touristen sondern auch das Anlagemöglichkeiten und gute Verzinsung suchende Kapital, von dem bekanntlich immer mehr in den Händen von immer weniger Personen und Holdings akkumuliert wird.
So mag es die Aufmerksamkeit manch Zerstreuung und Ausflugsziel suchendem Touristen finden, dass westlich der Kernstadt von Marburg ein kurzer Weg nach Dagobertshausen führt, ein dörflicher Stadtteil der Universitätsstadt an der Lahn. Wem käme bei diesem Ortsnamen nicht Dagobert Duck als „reichste Ente der Welt“ in den Sinn. Hier, im Marburger Land, heißt ein Dorf tatsächlich Dagobertshausen. Nomen es Omen. Der Name des Dorfes geht auf einen früheren Landesherren Dagobert I. zurück. Tatsächlich hat Dagobertshausen nicht alleine einen ungewöhlichen Namen zu bieten. Dort wartet eine Menge und Gemengelage, die mit viel Geld, ungebremsten Investitionen und Kapitalanlage genuin verbunden sind.

Das kürzlich im Marburger Büchner-Verlag erschienene Buch von Ute Göbel-Lehnert und Thomas Rautenberg „Dagobertshausen Ausverkauf eines Dorfes?“ thematisiert die ungewöhnliche und – für die beiden Autoren als Bewohner/in seit Jahrzehnten – sehr ungemütliche Entwicklung der Umnutzung und des Mißbrauchs des Dorfes Dagobertshausen mit überbordenden Einrichtungen heutiger Freizeitindustrie, im Betrieb und Besitz der Milliardärsfamilie Pohl aus Marburg.

Auf 140 Seiten leisten die Autorin und der Autor zunächst eine „Einordnung des Themas in die überörtliche Diskussion“. Referiert werden Fragen zum Klimanotstand und der Freizeitindustrie, Overtourism, Eventtourismus und „fehlende Stadtentwicklung – wenn Investoren bestimmen“. Im zweiten Abschnitt „Dagobertshausen – Eine (Fehl-)Entwicklung vom Wohnort zum Eventzentrum“ wird die Entwicklung und Überformung des (vormaligen) Dorfes beschrieben und konkret nachgezeichnet, darunter ein Abschnitt mit Zahlen, Daten, Fakten.

Die Kolonisierung des Dorfes durch Freizeitindustrie in Betreiberschaft der Holding der Familie Pohl hat Reaktionen bei den Bewohner/innen hervorgerufen, um letztlich erfolglos dieser Entwicklung entgegen zu treten. Dies wird geschildert und erläutert.

Kapitel 4 „Fortgang der Expansion: Bauantrag >Hof Mengel<“ beschreibt den „Schock an Halloween“ in Gestalt eines überdimenionierten Hotel-, Rstaurant- und Hotelkomplexes. In sachlicher Betrachtungsweise, Bericht und Auflistung werden dann „öffentliche Akteure und Institutionen“, wie Ortsbeirat, Stadtverwaltung Marburg, die Stadtpolitik und der Regierungspräsident als Genehmigungsbehörde betrachtet und eingeordnet.

Weitere Kapitel thematisieren „Klimanotstand und nachhaltige Stadt(teil)entwicklung versus Expansion der Freizeitindustrie“, „Kommunikation, Konfliktbewätigung und Steuerungsverantwortung“. Nach einem Ausblick mit einem Szenario zur Entwicklung von Dagobertshausen werden Erwartungen der Dagoberthäuser Wohnbevölkerung und eine Schilderung juristischer Auseinandersetzung vorgetragen. Im Anhang finden sich Leserbriefe, Erklärungen der Stadtteilinitiative und des Ortsbeirats und Parlamentarische Anfragen dokumentiert.

Das Sachbuch leistet damit eine umfangreiche und profunde Schilderung der Entwicklung, Folgen, und Betroffenheiten bis hin zum Widerstand der Wohnbevölkerung zum Ausverkauf ihres Dorfes. Polemik und Überzeichnung sind nicht Anliegen der kompetenten Buchautoren. Trotz eigener Betroffenheit als Wohnbürger/in präsentieren sie Informationen und sachliche Einordnung, zugleich mit kompentem Blick auf besondere Fragestellungen, die über Dagobertshausen hinausweisen. Ein gelungenes aufklärerisches und nicht alleine im Marburger Land unbedingt lesenswertes Buch.

Ute Göbel-Lehnert, Thomas Rautenberg: Dagobertshausen Ausverkauf eines Dorfes?
15 x 22 cm, 140 Seiten, Ladenpreis 19 €, Büchner-Verlag, ISBN 978-3-96317-206-9

Wen es als touristischen Besucher, ob per Abzweig vom Lahntalradweg mit dem Zweirad, oder von Marburg kommend, nach Dagobertshausen verschlägt, kann als Gast im Restaurant Waldschlösschen oder in der Eventscheune einer umgebauten Hofreite eigene Eindrücke sammeln. Donalds Geldspeicher gibt es nicht in Dagobertshausen. Stattdessen finden zahlreiche Events statt, bei denen – wegen zu wenig Parkflächen eine schier endlose Blechlawine auf Feldwegen und Dorfstraßen zum Parken niedergeht – des öfteren Anlageberater der DVAG es mal richtig krachen lassen oder auswärtige eventorientierte Zeitgenossen Stars und Sternchen in der Eventscheune erleben wollen.

—> Rezension ‘Die gekaufte Stadt? Der Fall Marburg: Auf dem Weg zur »Pohl-City«?’

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