Recht auf ein Leben ohne Gewalt für alle Frauen? – Drei Jahre Istanbul-Konvention in Deutschland
Kassel 09.03.2021 (pm) Nein heißt nein! Vor drei Jahren begrüßte der Frauennotruf Marburg e.V. gemeinsam mit vielen anderen Frauenrechts-und Gewaltschutzorganisationen das Inkrafttreten der Istanbul-Konvention als bedeutsamen Meilenstein im Einsatz beiGewalt gegen Frauen und Mädchen. Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, bekannt als Istanbul-Konvention, ist ein Menschenrechtsabkommen des Europarats zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Seit Februar 2018 ist die Istanbul-Konventionin Deutschland geltendes Recht. Die Bundesregierung verpflichtet sich dazu, Gewalt gegen Frauen und Mädchen nachhaltig zu verhindern und zu bekämpfen, die Betroffenen durch umfassende Präventionsmaßnahmen zu schützen und zu unterstützen.
Das Abkommen hat weitreichende Konsequenzen auf Bundes-, Länder- und ebenso der kommunalen Ebene. Betroffen sind die unterschiedlichsten Bereiche von der Kultur, über die Justiz, bis zur Gesundheitspolitik. Trotz wichtiger Initiativen z.B. des Bundesfrauenministeriums und stärkerer Fokussierung auf das Thema mangelt es noch immer an ganzheitlichen politischen Maßnahmen und Koordinierungsstellen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.
Beratung, Begleitung, Empowerment, Prävention, Schutz und eine umfassende öffentliche Diskussion werden in der Istanbul Konvention konkret eingefordert.Eine auskömmliche Finanzierung einer Beratungsstelle zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen sollte in der Folge unbestritten sein.
„Vielerorts steht in diesem Zusammenhang die Forderung nach mehr Frauenhausplätzen. Das ist gut und richtig, doch es braucht weit mehr um bestehender Gewalt gegen Frauen zu begegnen“, weiß Rebekka Jost vom „Benötigt eine Frau erst einen solchen Zufluchtsort, ist das Recht auf ein gewaltfreies Leben in der Regel bereits eingebüßt.
Die Istanbul-Konvention verpflichtet zur nachhaltigen Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, nicht zum bloßen Abfangen der Spitze des Eisberges. Sie stellt deutliche Anforderungen an die Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, aber auch an die Prävention, Intervention und Unterstützungbei Gewaltgegen Frauen und Mädchen“, so Jost weiter.
Diese Arbeit wird in spezialisierten Fachberatungsstellen geleistet, wie es zum Beispiel der Frauennotruf Marburg e.V. seit über 35 Jahren tut. In der Beratungsstelle wird zu sexualisierter Gewalt beraten. Dazu gehören versuchte oder vollendete Vergewaltigung, sexuelle Belästigung in der Öffentlichkeit, im Privaten oder am Arbeitsplatz, digitale Gewalt, die heimliche Verabreichung von K.o.-Tropfen, Stalking, psychische Gewalt durch den Partner und Zwangsverheiratung.Der Frauennotruf berät und begleitet betroffene Frauen, deren Angehörige und Unterstützungssysteme. Dabei legt der Frauennotruf Marburg e.V. bei allen Angebotenkonzeptionell und ganz praktischWert darauf einen barrierearmen Zugang für Frauen mit Beeinträchtigungen oder Sprachbarrieren zu schaffen.
Auch dies ist eine explizite Forderung der Istanbul Konvention. Doch trotz gesetzlicher Vorgabe und einer wertgeschätzten Beratungsarbeit ist der Frauennotruf Marburge.V. leider nach wie vor unzureichend abgesichert. Die Finanzierung dieser Arbeit stützt sich auf zeitlich begrenzte Projektfinanzierung, sogenannte „freiwillige soziale Leistungen“ und das unentgeltliche Engagement einzelner Frauen. So ist das in der Istanbul Konvention nicht vorgesehen.
In der Stadt Marburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf gibt es bereits sehr gute Grundvoraussetzungen, unterschiedlichen Formen von Gewalt gegen Frauen im Sinne der Istanbul-Konvention zu begegnen. Das solide Gerüst ist jedoch auf wackligen Pfeilern gebaut. Ein flächendeckendes Netz beginnt im Kleinen. Ein erstes Ziel in der kommunalen Umsetzung der Istanbul-Konvention müsste demnach sein, die bereits existierende Basis vor Ort mit einer bedarfsgerechten finanziellen und personellen Ressourcenausstattung zu kräftigen und somit die Beständigkeit zu sichern. Damit würden den bisherigen Willensbekundungen Taten folgen.