Parteivorstellungen zur Bundestagswahl: Plus für Geringverdiener oder Entlastung für Spitzenverdiener?
09.07.2021 (pm) Die Parteien zur Bundestagswahl unterscheiden sich erheblich bei der finanziellen Wirkung ihrer Politikvorschläge auf Geringverdiener und höhere Einkommen. Die vorgeschlagenen Steuerentlastungen von FDP und Unionsparteien entlasten die höheren Einkommensklassen deutlich, während die Programme von SPD, Linke und Grünen besonders für untere und mittlere Einkommen einen Zuwachs beim verfügbaren Einkommen aus Netto-Lohn und Sozialtransfers bedeuten.
Zu diesem Ergebnis kommt ein Wissenschaftsteam des ZEW Mannheim, das die Auswirkungen zentraler Reformvorschläge zu Steuern-, Mindestlohn, Mini- und Midi-Jobs, Sozialversicherung und Familienpolitik, auf private Haushalte für die Süddeutsche Zeitung untersucht hat.
Dabei wurden die Wahlprogramme der Parteien zugrunde gelegt, die für eine Regierungsbeteiligung am ehesten infrage kommen. Waren die Vorschläge in den Programmen zu unkonkret, trafen die Forscher plausible Annahmen etwa auf Basis von Beschlüssen und Äußerungen der Parteien, um die intendierten Wirkungen der Vorschläge nicht zu ignorieren. Das Simulationsmodell nutzte Daten des Sozio-Ökonomischen Panel (SOEP).
SPD, Grüne und Linke wollen Geringverdienern ein Plus bescheren
Würden die Wahlprogramme von SPD, Grüne und Linke jeweils umgesetzt, so wäre ein Ehepaar mit zwei Kindern in den unteren Einkommensschichten deutlich besser gestellt. Diesem stünden bei einem Brutto-Einkommen von 40.000 Euro jährlich rund 3.300, 4.000 oder sogar 5.100 Euro mehr zur Verfügung, bei FDP und Union nur rund 900 Euro.
„SPD, Grüne und Linke entlasten untere und mittlere Einkommen und finanzieren dies über höhere Steuern für Spitzenverdiener“, erklärt ZEW-Wissenschaftler Dr. Florian Buhlmann.
Anstelle von Umverteilung planen Unionsparteien und FDP alle Haushalte zu entlasten, jedoch Haushalte mit hohem Einkommen stärker. Ein Ehepaar mit zwei Kindern erhielte bei einem beispielhaften Brutto-Einkommen von 300.000 Euro demnach ein finanzielles Plus von 11.000 bis 18.000 Euro. Wohingegen der gleiche Haushalt bei SPD, Grünen und Linken weniger Geld zur Verfügung hätte.
FDP will Spitzenverdiener am stärksten entlasten
Betrachtet man die relativen Zuwächse, die sich aus den Wahlprogrammen ergeben, über verschiedene Einkommensklassen der Haushalte im SOEP, so zeigt sich ein ähnliches Bild. Den größten relativen Zuwachs beim verfügbaren jährlichen Durchschnittseinkommen bringt die Linke mit rund 10,8 Prozent Haushalten mit 10.001 bis 20.000 Euro brutto. Die FDP hingegen plant, Haushalte mit 150.001 bis 250.000 Euro brutto am stärksten zu entlasten (9,7 Prozent mehr an verfügbarem Einkommen).
Wachsende oder sinkende Ungeleichheit
Die Steuerpläne sowie sozial- und familienpolitischen Vorschläge der Parteien für die nächste Legislaturperiode wirken sich unmittelbar auf die Maße für Ungleichheit aus, wie die Wissenschaftler zeigen konnten. So würde der sogenannte Gini-Koeffizient bei Umsetzung des Programms der Linken mit -15 Prozent im Vergleich zum Status quo am deutlichsten sinken, gefolgt von Grünen mit -6,5 Prozent und SPD mit -4,3 Prozent.
Würden jedoch die berechneten Vorschläge der FDP mit umgesetzt, stiege das Maß für Ungleichheit um 3,2 Prozent, bei den Unionsparteien um 1,6 Prozent. „Wir beobachten bei der Verteilungspolitik einen Lagerwahlkampf“, sagt Prof. Dr. Sebastian Siegloch, Leiter des Forschungsbereichs „Soziale Sicherung und Verteilung“. „Die Parteien haben sich eindeutig entschieden, wo sie bei der Verteilungspolitik stehen.“
Folgen für den Staatshaushalt
Die Wahlprogramme von FDP und CDU/CSU würden bei ihrer Umsetzung mit -88 Mrd. Euro bzw. -33 Mrd. Euro die größte Lücke in den Staatshaushalt reißen – aufgrund von versprochenen Steuerreduktionen. „Union und FDP setzen implizit darauf, dass Wirtschaftswachstum die schwarze Null rettet“, sagte ZEW-Ökonom Buhlmann.
Überschuss mit Vermögenssteuer und höherer Spitzensteuer
Währenddessen würde der Staatshaushalt einen starken Überschuss von 90 Mrd. Euro bzw. 18 Mrd. Euro aufweisen, wenn die Linke bzw. Bündnis 90/Grünen die hier betrachteten Vorschläge umsetzen könnten. Gründe sind unter anderem eine Vermögenssteuer in Höhe von fünf Prozent bei den Linken bzw. ein Prozent bei den Grünen sowie höhere Spitzensteuersätze bei der Linken bis zu 75 Prozent.