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Mindestlohn von 12 Euro bringt Millionen Beschäftigten Lohnverbesserung sowie höheres Wachstum

06.09.2021 (pm) Eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland auf 12 Euro pro Stunde bringt unmittelbar rund acht Millionen Beschäftigten eine Verbesserung ihres Lohns, zusätzlich dürfte eine Anhebung auch auf Löhne etwas über 12 Euro ausstrahlen. Sie steigert zudem die deutsche Wirtschaftsleistung langfristig um circa 50 Milliarden Euro im Jahr und erhöht die Staatseinnahmen um jährlich rund 20 Milliarden Euro, was einen wichtigen Beitrag für die Finanzierung öffentlicher Investitionen leisten kann.  Die Gesamtbeschäftigung würde hingegen langfristig nicht negativ beeinflusst. Das ergibt eine neue Studie von Prof. Dr. Tom Krebs und Dr. Moritz Drechsel-Grau, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Mannheim, die das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung gefördert hat.

„Ein Mindestlohn von 12 Euro erhöht nicht nur das Erwerbseinkommen der direkt betroffenen Personen, sondern er würde auch das Wirtschaftswachstum steigern und so zusätzliche finanzielle Spielräume für die öffentliche Hand schaffen. Darüber hinaus sind keine nennenswerten Beschäftigungseffekte zu erwarten“, fasst Krebs, Professor für Volkswirtschaftslehre, die Untersuchung zusammen. Angesichts des starken Transformationsdrucks im Zeichen von Klimawandel und Digitalisierung könnten „nur ein angemessener Mindestlohn und eine Stärkung der Tarifbindung“ den „Klimaschutz mit sozialer Gerechtigkeit verknüpfen“, betont der Ökonom.

Die Wissenschaftler stützen ihre Analyse auf Modellrechnungen in einem modernen Arbeitsmarktmodell. Dabei rechnen die Ökonomen die Auswirkungen einer Mindestlohnerhöhung auf Arbeitsmarkt und Wirtschaft durch. Im Vergleich zu vielen älteren Kalkulationen bildet das dabei verwendete Modell zentrale Parameter deutlich detaillierter und realistischer ab, etwa sozio-ökonomische Merkmale und Qualifikation von Beschäftigten, unterschiedliche Beschäftigungstypen wie Minijobs oder Teilzeitstellen sowie Lohn- und Produktivitätsverteilung.

Die Berechnung für eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zeigt als zentrale Ergebnisse:
– Eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro hat langfristig keinen nennenswerten Effekt auf die Gesamtbeschäftigung. Denn einem erheblichen Rückgang bei der Zahl von Minijobs steht ein ebenso großer Anstieg der Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Teil- und Vollzeit gegenüber. Vorteil dabei: Sozialversicherungspflichtige Jobs sind deutlich besser abgesichert und stabiler. Etwa durch Kurzarbeit, wie sich gerade in der Corona-Krise gezeigt hat. Erst wenn der Mindestlohn schnell vom heutigen Niveau auf deutlich über 13 Euro stiege, könnte der Arbeitsmarkt „kippen“ und es drohten unter dem Strich erhebliche Arbeitsplatzverluste, heißt es in der Studie.

– Wenn der Mindestlohn auf 12 Euro steigt, steigert das langfristig die durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität um knapp ein Prozent. Der Grund hierfür ist, dass ein höherer Mindestlohn eine Verlagerung der Beschäftigung weg von weniger produktiven Jobs und hin zu Jobs mit höherer Produktivität verursacht – die sogenannte „Produktivitätspeitsche“. Ein Anstieg der Arbeitsproduktivität ließ sich auch nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 beobachten.

– Eine Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro steigert langfristig die gesamtwirtschaftliche Produktion jährlich um circa eineinhalb Prozent (circa 50 Milliarden Euro).

– Ein Mindestlohn von 12 Euro führt über Steuern und Abgaben langfristig zu staatlichen Mehreinnahmen von circa 20 Milliarden Euro im Jahr. „In Zeiten sinkender Staatseinnahmen und hoher Budgetdefizite können zusätzliche Einnahmen dieser Größenordnung einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Zukunftsinvestitionen leisten, die zum Beispiel für eine erfolgreiche Klimapolitik notwendig sind“, konstatiert Krebs.

Dass die neuen Mannheimer Modellrechnungen eine hohe methodische Qualität haben, zeigt sich in einem Validierungstest: Die Folgen der Mindestlohneinführung von 2015 – unter anderem eine Verschiebung der Beschäftigung von Minijobs hin zu sozialversicherungspflichtigen Stellen ohne nennenswerte Verluste bei der Gesamtbeschäftigung – hätte das in Mannheim jetzt verwendete Modell korrekt prognostiziert. Dagegen hatten einige Modellberechnungen bei Einführung des Mindestlohns Beschäftigungsverluste im sechsstelligen Bereich vorhergesagt, die niemals eintraten.

Die Ursachen für derartige Fehlprognosen analysieren die beiden Ökonomen in der Studie ebenfalls. Die in Deutschland nach wie vor oft verwendeten und in öffentlichen Debatten oft zitierten einfachen „neoklassischen“ Lehrbuchmodelle seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit, konstatieren die Wissenschaftler. So würden sie beispielsweise von einer „vollkommenen Konkurrenz“ auf dem Arbeitsmarkt ausgehen und real existierende Informations- und Machtungleichgewichte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ebenso ausblenden wie die wirtschaftlichen Nachteile, die sich für Unternehmen ergeben, wenn Beschäftigte bei schlechter Bezahlung wenig motiviert arbeiten oder sich einen neuen Job suchen – mit der Folge, dass Stellen neu besetzt werden müssen. „Die moderne Arbeitsmarktforschung hat das alte neoklassische Paradigma längst hinter sich gelassen“, betont Krebs. „In der modernen Arbeitsmarkttheorie kann ein Mindestlohn sehr wohl positive Effekte auf Beschäftigung und Output entfalten.“

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