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Abschiebung von gut integrierten Geflüchteten: Wenn Arbeit und Ausbildung nicht vor Abschiebung schützt

Amir N., links, hat bei der Firma Reifen Brod endlich seine Ausbildung starten können. Ausbilderin Sandra Wolf freut sich darüber. Foto Sandra Wolf

04.10.2021 (pm/red) Initiativen, Vereine und Ehrenamtliche unterstützen geflüchtete Menschen bei ihrer Integration vielerorts in Hessen. Dazu gehören Beratung und Begleitung in verschiedenen Bereichen.  Tätig sein hier auch der Mittelhessische Bildungsverband e.V. (MBV) in Marburg und der Hessische Flüchtlingsrat in Frankfurt (hfr). Gleichzeitig werden immer wieder gut integrierte und berufstätige geflüchtete Menschen in ihre Heimatländer abgeschoben.  Während viele Behörden weiterhin nur eingeschränkt arbeiten, wurde mitten im zweiten Corona-Lockdown erstmals seit Jahrzehnten eine Abschiebung nach Somalia durchgesetzt.

Mittelhessischer Bildungsverband und Hessischer Flüchtlingsrat kritisieren Abschiebungen von gut integrierten Geflüchteten
Bis Juli beteiligte sich das Land Hessen regelmäßig an den Sammelcharterflügen nach Afghanistan. Dies gescha auch noch als schon absehbar war, dass die Taliban über kurz oder lang die Macht im Land übernehmen würden. „Außerdem werden immer wieder Menschen abgeschoben, die schon viele Jahre in Deutschland leben und arbeiten oder sogar hier geboren wurden“, stellt Timmo Scherenberg vom Hessischen Flüchtlingsrat fest. „Auch erleben wir sehr oft, dass immer mehr Geduldeten die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Mögliche Spielräume, um Bleibeperspektiven durch Arbeit zu schaffen, werden nicht genutzt oder konterkariert“, so Scherenberg.

Omar F. wurde trotz jahrelanger Berufstätigkeit in einem Recyclingunternehmen im Februar diesen Jahres nach Somalia abgeschoben. Sein Chef Manuel Götz, Betriebsstättenleiter des Unternehmens, konnte das nicht verstehen: „Dass ein fleißiger Steuerzahler, der hier arbeitet und gebraucht wird und dem Land nur Vorteile bringt, nicht willkommen sein soll, will mir nicht in den Kopf. Da hätte ein Gespräch über zwei Minuten gereicht, um zu merken, dass hier ein sehr großer Fehler gemacht wird.“ Um Omar F. zurück zu holen, bot er sogar an, die Flugkosten zu übernehmen. Doch auch diese Bemühungen änderten nichts, Omar F. darf nicht zurück nach Deutschland. „Besonders skandalös daran ist, dass er kurz vor einem dauerhaften Bleiberecht in Deutschland stand“, sagt Scherenberg.

Diese Abschiebepraxis kann auch Lydia Koblofsky vom MBV nicht nachvollziehen: „Am Fall Omar F. wird deutlich, wie die Integrationsleistungen aller Beteiligten zunichte gemacht werden. Bestehende Instrumente für die Aufenthaltssicherung durch Arbeit und Ausbildung bleiben ungenutzt.“ Denn Omar F. stand kurz vor der Möglichkeit, eine Beschäftigungsduldung zu erhalten, die ihm und dem Unternehmen Planungssicherheit gegeben hätte. Die Abschiebung hat die erfolgreiche Arbeitsmarktintegration abrupt beendet: mit hohen Kosten vor allem für Omar F., der in Somalia um Leib und Leben fürchten muss.

Mit der Beschäftigungs- wie auch der Ausbildungsduldung sind Geflüchtete für die Dauer ihres Anstellungsverhältnisses vor einer Abschiebung geschützt. Um dies zu ermöglichen müssen viele Beteiligte an einem Strang ziehen, so Lydia Koblofsky: „Um den Aufenthalt von Geflüchteten über die Arbeitsmarktintegration zu sichern, ist ein funktionierendes Netzwerk von Flüchtlingsberatungsstellen, Ehrenamtlichen, Behörden und besonders Betrieben nötig.“

Bei Amir N. war das der Fall. Seit September 2020 hatte der junge Mann aus dem Iran über ein Praktikum seinen Arbeitgeber Reifen Brod GmbH in Lauterbach so überzeugen können, dass dieser ihm eine Ausbildung anbot. Amir hatte aber zu dem Zeitpunkt keine Arbeitserlaubnis, da er keinen Pass vorweisen konnte. Er lebte mit einer Duldung in Deutschland und war potentiell ausreisepflichtig, konnte also jederzeit abgeschoben werden. Jana Borusko, Beraterin beim hfr verfasste eine Petition beim hessischen Landtag, um ihn vorübergehend vor der Abschiebung zu schützen. „Ich hatte große Angst vor Abschiebung, vor dem Ungewissen. Ich wusste nicht, wie meine Zukunft aussehen wird“, beschreibt Amir N. seine Situation in den vergangenen Monaten.

Obwohl das Arbeitsverbot noch im Weg stand, hielt  der Betrieb an seinem Vorhaben fest, Amir einzustellen und wartet nun schon fast ein Jahr auf den zukünftigen Auszubildenden. Ausbilderin Sandra Wolf erklärt: „ Es ist schwer, geeignete Mitarbeitende zu finden. Wir hatten gute Unterstützung von verschiedenen Seiten und wussten immer, was der aktuelle Stand ist. Das war sehr gut für uns, wir hatten schließlich nichts zu verlieren. Wir wollten Amir helfen, damit er hier bleiben und bei uns arbeiten kann.“

Ausbildungsduldung kann vor Abschiebung schützen
Mit einer Ausbildung bei Reifen Brod wäre Amir N. nämlich über die sogenannte Ausbildungsduldung vor Abschiebung geschützt. Für die benötigte Arbeitserlaubnis ist der Pass als Identitätsnachweis nötig. Dies ist jedoch häufig kompliziert bis unmöglich und kann auch für die Betroffenen gefährlich werden. Vor diesem Dilemma stand Amir N., der mit Hilfe von Jana Borusko und einer Rechtsanwältin die Ausländerbehörde überzeugen konnte, nach der Passbeantragung sowohl die Arbeitserlaubnis, als auch die schützende Ausbildungsduldung auszustellen. Im September hat er nun endlich die Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker beginnen können. Damit ist für Amir N. und auch seinen Ausbildungsbetrieb (Planungs-)Sicherheit geschaffen.

„Um den Aufenthalt von geflüchteten Menschen zu sichern und ihnen die Integration über Arbeit zu ermöglichen, sollten Arbeitsverbote als Sanktionsmittel grundsätzlich abgeschafft werden. Der Status der Duldung sollte der Aufenthaltserlaubnis weichen, damit die Menschen ohne Angst vor Abschiebungen hier leben und arbeiten können“, lautet die Forderung von Timmo Scherenberg an die Landesregierung in Wiesbaden.

Bereits mit den bestehenden Instrumenten wie der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung kann Geflüchteten der langfristige Aufenthalt ermöglicht werden, weiß Lydia Koblofsky aus der Beratung zur Arbeitsmarktintegration: „Politischer Wille und ein gutes Zusammenspiel von Zivilgesellschaft, Behörden und Unternehmen sind Voraussetzung dafür.“ Das wird in der Erfolgsgeschichte von Amir N. anschaulich, ganz und gar in Zeiten des viel beklagten Fachkräftemangels.

 

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