Willingshausen deja vue ? Wursthimmel und Scheunentor serviert von Janosch Feiertag
17.10.2021 (red) Endlich wieder eine Kunstausstellung in Willingshausen, könnte in den Kopf kommen, wer sich in diesem Oktober die Präsentation von Janosch Feiertag in der Kunsthalle anschaut. Besucher/in erwartet eine Ausstellung, die Position bezieht mit Mitteln der Kunst und künstlerischer Inszenierung. Feiertags Präsentation findet sich plakativ angekündigt wie eine Dorkirmes, auf neongrellem Plakat die Frage verkündend „Schnaps oder Chopin?“
Offenbar hat sich hier ein Künstler mit Auge und Beobachtungsgabe auf den Ort eingelassen und zunächst Erkundungstouren unternommen und eigene visuelle Cultural studies geleistet. In dem allzugern als „Malerdorf“ oder als „Künstlerkolonie“ verklärten dörflichen Siedlungsgebiet ist es ihm wohl angelegen gewesen Archetypisches zu ergründen. Seine Touren zum Aufspüren endemischer dörflich-kultureller Artefakte waren ertragreich. Eine künstlerische Spiegelung und Verdichtung findet sich in der Kunsthalle dargeboten.
Er nutzt deren Raum beinahe wie für ein Diorama, das als Teil seines Gesamtwirkens über die Kunsthalle räumlich und performativ hinaus angelegt ist. Ein Extrakt mehrwöchiger Kunstexpedition findet sich sparsam dosiert in Zeichnungen in Comic-Manier an den Wänden. Vor allem jedoch gibt es ungewöhnliche „Objets trouvés“ zu betrachten, in Maßstab sprengender Manier zu einem Bühnenbild installiert und arrangiert. Eindrucksvoll und anziehend wirkt das raumgreifende Scheunentor (ein Original), hinter dem die Stirnwand der Kunsthalle komplett verschwindet. Aber der Reihe nach. Vor dem Scheunentor, das leibhaftig hereingeschafft in sattem Jägergrün frisch gemalert paßgenau installiert ist, findet sich Besucher/in der Kunsthalle unversehens zunächst unter einem Firmament hängender Würste.
Aus der nahe gelegenen vormaligen Metzgerei Bechtel, deren Ladengeschäft Künstlerstipendiat Feiertag bereits zur Cocktailbar transformiert und mit regem dörflichen Publikumszuspruch in Betrieb genommen hatte, entstammen die Wursthäute als Fundstücke, Relikte vergangenen Fleischerhandwerks. Eine raumgreifende und raumbildende Überkopf-Inszenierung, verschieden in Größe, Farbe. Prall gefüllte Wurstattrappen in Reminiszenz vormaliger Nahrungsherstellung mutieren zum artifiziellen Augenschmaus. Willingshausen unterm Wursthimmel.
Sparsam gehaltene Zeichnungen an den Seiten, Pictogrammen gleich, geleiten in die Tiefe des Raums. Beidseits, diagonal gegenüber je ein überdimensionierter Revolver, eine Sitzbank mit Signatur, Flaschen, nicht wenige Flaschen, ein Brandzeichen mit Rufnummer 112. Auf den Sockelleisten unten unzählige leere Patronenhülsen aus Messing aneinander gereiht, Indizien für manche Streitigkeiten und Auseinandersetzung. Es fehlen nur die Gerüche von Räucherkammer und Pulverdampf.
Das satte Jägergrün des raumbreiten Scheunentors vor Kopf dominiert den Ausstellungssaal, wie ein Dorfpanorama des Betrachters Blicke vereinnahmend. Auf der linken Seite, von schmückenden Hufeisen umgegeben, gewährt eine Tür Einblick und Zugang in das ganz in anziehendem Rot gehaltene „Reiterstübchen“. Eine Stehbar, geschmückt mit prächtigem Schwälmer-Hännes-Poster samt springenden Pferden und Schnapsflasche auf gelbem Grund. Eintreten ist möglich in die miniaturisierte Nachbildung von Freizeitinfrastruktur in der Willingshäuser Dilmark. Auf dem Rundtisch Likörfläschchen. Man möchte Zugreifen.
Daneben in der grünen Scheunenwand gibt es auch noch ein Guckloch. Darin zu erspähen ist ein Foto der Kirmesburschen Zella, in Schwälmer Tracht unterwegs auf Tour beim Halt für eine Pinkelpause.
Die zweite allerdings niedrige Türöffnung im Scheunentor rechter Hand geleitet in die andere Welt des Dorfes. Das Leuchtschild „Malerstübchen“ darüber gibt unüberlesbar Hinweis. Das Eintreten hier erfordert zunächst tiefes Bücken. Respekt vor der Kunst. Ein karger, steriler Raum in weiß, anscheinend unangetastet, lediglich eine Staffelei, ebenfalls jungfräulich weiß in der Ecke, unbenutzt, darauf ein modernes Tablett. Der Bildschirm zeigt Ansichten von Mensch und Pferd, genauer gesagt deren Rückansichten, mit schnellen Strichen angedeutet, skizzenhaft – aber doch deutlich. Die Feiertag-Frage scheint beantwortet.
Janosch Feiertag hat ein Studium der Visuellen Kommunikation in Kassel absolviert, betreibt eine eigene Galerie in Kassel, war vorher als Bühnenmaler im Staatstheater tätig. Er vermittelt Sehweisen, lädt ein zu Betrachtungen, mit Anspielungen, Hintersinn nicht ohne Schalk für Kunstfreunde und Village people. Wursthimmel und Scheunentor, was braucht es mehr.
Janosch Feiertag „Schnaps oder Chopin“
8. Oktober bis 7. November 2021
Kunsthalle Willingshausen
Merzhäuser Straße 1
Di–Fr 14–17 Uhr,
Sa/So/Feiertage 10–12 und 14–17 Uhr