Weltklimabericht: „Klimafolgen hängen von Verwundbarkeit und Anpassungsfähigkeit der Gesellschaften ab“
01.03.2022 (wm) Wetterextreme infolge des Klimawandels werden künftig häufiger und heftiger, doch die Auswirkungen treffen die Gesellschaften je nach Vulnerabilität und Anpassungsfähigkeit sehr unterschiedlich: So lautet eines der Ergebnisse des am 28. Februar 2022 in der Bundespressekonferenz vorgestellten 6. Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPPC), an dem auch Prof. Jörn Birkmann, Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart, mitgewirkt hat. Die Zahl der Todesopfer nach Hochwassern, Dürren und Stürmen zum Beispiel liegt in hoch verwundbaren Ländern und Regionen rund 15 Mal höher als in gering verwundbar eingestuften.
Birkmann war Teil der Arbeitsgruppe II des Weltklimarats und einer der drei koordinierenden Leitautoren des 8. Kapitels, das sich mit Fragen der Armut, der unterschiedlichen Verwundbarkeit, klimasensitiven Strategien der Lebenssicherung und dem Thema nachhaltige Entwicklung befasst. In diesem Rahmen konnten er und sein Team ihre Forschung zu globalen und lokalen Mustern der Verwundbarkeit an zentraler Stelle einfließen lassen.
So hatten die Forschenden auf der Basis zahlreicher globaler Studien festgestellt, dass die massiven Unterschiede in den Auswirkungen von Extremereignissen nicht allein mit deren Intensitäten oder Häufigkeiten zu erklären sind. „Sie spiegeln vielmehr den Umstand, dass die Wirkungen des Klimawandels auf unterschiedlich verwundbare Gesellschaften mit sehr unterschiedlichen Anpassungskapazitäten treffen“, erklärt Birkmann. „Bereits bestehende Destabilisierungs-prozesse wie etwa Armut, militärische Konflikte oder soziale Ungleichheiten entscheiden mit darüber, ob ein Extremereignis zu extremen negativen Auswirkungen führt.“
Nationale Programme reichen nicht
Die Forschungen des Teams von Prof. Birkmann zeigen zudem, dass weltweit 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen in vulnerablen Kontexten leben. Zahlreiche Länder und so genannte „globale Hotspots der Verwundbarkeit“ sind dabei durch überlappende Entwicklungsprobleme gekennzeichnet.
„Neben Aspekten der Armut können zum Beispiel ein hoher Anteil an älteren Menschen oder ein fragiles Staatswesen dazu führen, dass Risikovorsorge und Anpassungskapazität geschwächt sind“, so Birkmann. Dabei handele es sich bei den besonders verwundbaren Räumen und Regionen meist nicht um einzelne Staaten, sondern um Ländergruppen. „Darum müssen zukünftig mehr Anreize für die Kooperation zwischen Ländern entwickelt werden“, fordert Birkmann. „Nationale Programme allein reichen hier nicht aus.“
Der Bericht macht auch deutlich, dass Strategien zur Risikominderung und Anpassung die Rahmenbedingungen der Länder und die dort lebenden Gemeinschaften in den Blick nehmen müssen. So seien zum Beispiel neben finanziellen Hilfen und Frühwarnsystemen auch institutionelle Kapazitäten zu stärken und strukturelle Entwicklungsprobleme anzugehen. Da viele globale Hotspots der Verwundbarkeit in Entwicklungsländern liegen, kommt zudem der Frage der Klimagerechtigkeit in Zukunft ein höheres Gewicht zu. „Die meisten der besonders verwundbaren Länder haben nur einen geringen Beitrag der globalen Klimaemissionen verursacht und verzeichnen dennoch überdurchschnittliche Verluste“, so Birkmann.
Aktuell auch für Deutschland
Doch nicht nur Entwicklungsländer bekommen die Auswirkungen von Extremereignissen zu spüren. „Die Hochwasser an der Ahr und in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Sommer mit mehr als 180 Todesopfern zeigen, dass die Themen Verwundbarkeit, Risikominderung und Klimaanpassung auch für Deutschland hoch aktuell sind.“ So wird in den Opferstatistiken in Rheinland-Pfalz ersichtlich, dass die Flut besonders verwundbare Personen wie ältere Menschen und Menschen mit Behinderung überproportional getroffen hat.
„Der derzeit laufende Wiederaufbau sollte daher nicht nur den Zustand vor dem Ereignis herstellen, sondern auch die Verwundbarkeit und das Risiko gegenüber zukünftigen Ereignissen mindern“, fordert Birkmann, der auch der Expertengruppe zur wissenschaftlichen Begleitung des Wiederaufbaus angehört. „Zudem benötigen die Menschen in den verwüsteten Regionen einen schnellen Wiederaufbau, sie können nicht Jahre warten. Um vorbereitet zu sein, braucht es in Zukunft Klima-Anpassungskonzepte, die bereits in der Schublade liegen.“