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Zum Renaissance des Klassenbegriffs und von Klassenverhältnissen

05.03.2022 (pm/red) Ein Team von Soziologinnen und Soziologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena analysiert in einem neuen Buch die sozialen Verhältnisse in Deutschland, nimmt zudem globale Entwicklungen in den Blick und versucht, den Begriff der Klassengesellschaft im Diskurs zu verankern. Die Debatte greift alte Muster auf und ergänzt sie mit neuen Erkenntnissen. Fixpunkt der Diskussion ist eine These des Jenaer Soziologen Prof. Dr. Klaus Dörre, der von einer „demobilisierten Klassengesellschaft“ spricht.

Cover Die Wiederkehr der Klassen

„Die Sozialstruktur der alten Bundesrepublik hat sich stark gewandelt und in grundlegenden Koordinaten verändert“, sagt Jakob Graf, der Teil des Jenaer Soziologieteams ist. Gemeinsam mit Kim Lucht und John Lütten hat er jetzt das Buch „Die Wiederkehr der Klassen. Theorien, Analysen, Kontroversen“ herausgegeben. In ihren Analysen gehen die Autorinnen und Autoren davon aus, dass noch immer eine Klasse der Vermögenden der Klasse der Lohnabhängigen gegenübersteht. Diese Lohnabhängigen sehen heute jedoch anders aus als die Arbeiterklasse, wie sie etwa bei Karl Marx beschrieben wird.

Außerdem lassen sich neue Gruppen innerhalb der lohnabhängigen Klasse unterscheiden: etwa eine arrivierte Klasse von „Besserverdienenden“, die traditionelle Arbeiterklasse und eine prekär beschäftigte Unterklasse, die zwischen Jobs und Hartz IV pendelt. Neu sei zudem, so Jakob Graf, dass sich politische Sphären ebenfalls im Wandel befinden. So würden linke oder sozialdemokratische Parteien ihrer traditionellen Klientel oftmals keine politische Heimat mehr bieten. Stattdessen suchten die gesellschaftlich zunehmend Abgehängten ihr Heil heute öfter als früher bei Parteien am rechten Rand, etwa bei der AfD.

Die konkreten politischen Konfliktlinien verlaufen in der „demobilisierten Klassengesellschaft“ nicht mehr allein vorwiegend zwischen Vermögenden und Lohnabhängigen, konstatieren die Autoren. Zunehmend rückten Diskriminierung und Chancenungerechtigkeit wegen Geschlecht, „Rasse“ und Herkunft in den Fokus politischer Auseinandersetzungen. In einer Soziologie der Klassen gehe es jedoch darum, festzustellen, dass der eine arm ist und der andere reich, sagt Jakob Graf: „Präzise muss es heißen, dass der eine arm ist, weil der andere reich ist!“

Solche kausalen Zusammenhänge gebe es in vielerlei Hinsicht, so Graf. Mit Blick auf die gegenwärtige ökologische Krise zeige sich beispielsweise, dass Vermögende einerseits zu den Hauptverursachern der Krise gehören, andererseits weitaus weniger unter den Folgen der Krise zu leiden haben. Bei Hans Rackwitz, einem der Autoren der Studie, heißt es: „Die Ausbeutung der Lohnarbeit und die systematische Produktion ökologischer Gefährdungen fallen in ihrem Ursprung […] zusammen – sie konvergieren.“ Umweltprobleme seien nie sozial neutral, sagt Rackwitz. Vermögende hätten jedoch buchstäblich die Mittel, sich von den Folgen freizukaufen.

Der Blick auf die Schattenseiten des Kapitalismus

Die Wiederkehr der Klassen heiße nicht, dass Klassen verschwunden gewesen seien, betont Jakob Graf. Zuletzt treffe es eher der Begriff der „demobilisierten Klassengesellschaft“ (Klaus Dörre). Der Titel des Buches verweise stattdessen auf die Rückkehr des Klassenbegriffs in den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs. Vorreiter seien etwa der französische Autor Didier Eribon („Die Rückkehr nach Reims“) und der schwedische Soziologe Göran Therborn. Nach dem Ende des neoliberalen Modells werde der Blick wieder verstärkt auf die Schattenseiten des Kapitalismus gerichtet. Das Buch der Soziologinnen und Soziologen der Universität Jena leistet seinen ganz eigenen Beitrag dazu.

Jakob Graf, Kim Lucht, John Lütten (Hg.): „Die Wiederkehr der Klassen. Theorien, Analysen, Kontroversen“
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2022, 232 Seiten
30 Euro, ISBN: 978-3-593-51359-1

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