Zur Notwendigkeit einer klimagerechten Waldbewirtschaftung – Ein Wissenschaftlicher Brief
27.10.2022 (red) An die Präsidentin der Europäischen Kommission, Frau Ursula von der Leyen, an die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Frau Roberta Metsola, und an den Präsidenten des Europäischen Rates, Herrn Charles Michel richtet sich ein Wissenschaftlicher Brief aus Sorge um die Zukunft unserer Wälder, den der Forstwissenschaftler Prof. Roland Irslinger namens über 550 unterzeichnender Wissenschaftler – zugleich an Medien – versendet hat.
Sehr geehrte Frau Präsidentin von der Leyen, sehr geehrte Frau Präsidentin Metsola, sehr geehrter Herr Präsident Michel,
die heiße und trockene Witterung in vielen Teilen Europas und der Welt macht uns Sorgen um die Zukunft unserer Wälder. Dürre, Krankheiten und Brände verwüsten ganze Landschaften, unabhängig von ihrem Schutz- oder Bewirtschaftungsstatus. Es ist offensichtlich, dass Wälder durch den Klimawandel zunehmend gefährdet sind. Gleichzeitig haben Wälder die Fähigkeit, den Klimawandel abzuschwächen und die Artenvielfalt zu erhöhen, wenn sie nachhaltig und naturnah bewirtschaftet werden. Das im Wald geerntete Holz und die daraus hergestellten Produkte leisten einen Beitrag zur Bioökonomie, zur Vermeidung fossiler Emissionen und zur Versorgung mit erneuerbaren Energien in Europa. Wälder haben eine hohe Kapazität, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden. Allerdings ist in vielen europäischen Ländern bereits ein so hohes Niveau an Holzvorräten erreicht, dass eine weitere Anhäufung von Biomasse unter dem Aspekt der Klimaerwärmung riskant erscheint.
Steigendes Risiko durch Klimawandel
Wenn trockene Jahre häufiger werden, erwarten wir, dass die Waldbiomasse im nächsten Jahrzehnt eher ab- als zunehmen wird, unabhängig davon, ob Wälder bewirtschaftet werden oder nicht. Gegenwärtig ist die jährliche Kohlenstoffbindung in bewirtschafteten Wäldern höher und die maximalen Holzvorräte sind dieselben wie in ungenutzten Wäldern. Ohne Holzernte nähert sich die im Wald akkumulierte Kohlenstoffmenge einer Sättigung. Deshalb tendiert die Kohlenstoffsenke Wald mit der Zeit gegen null, wie dies in den alten Wäldern der Ukraine zu beobachten ist.
Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern ist in Bezug auf die Ökosystemprozesse CO2-neutral. Der Wettbewerb zwischen den einzelnen Bäumen und Verluste durch Naturkatastrophen werden bei der Waldpflege durch eine Regulierung der Dichte der Waldbestände ersetzt. Es gibt keine Kohlenstoffschuld auf Landschaftsebene. Auch müssen wir erkennen, dass in der europäischen Geschichte gerade die Bewirtschaftung der Wälder deren Biodiversität maßgeblich gefördert hat.
Holznutzung hat Klimavorteile
Die Klimavorteile von Holzprodukten aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung sind vielfältig. Sie hängen von der Menge des Kohlenstoffs ab, der aus dem Wald in Produkte aus Holz übertragen wird, idealerweise für sehr lange Zeiträume. Bei der Herstellung von Holzprodukten wird weniger fossile Energie benötigt als bei der Herstellung von Produkten aus Beton, Stahl, Aluminium und Glas. Dieser Prozess der Vermeidung fossiler Emissionen durch Verwendung von Holz anstelle energieaufwendiger Konstruktionen wird als Produktsubstitution bezeichnet. Die Verwendung von Holz als Baumaterial bedeutet nicht nur eine zusätzliche Speicherung von Kohlenstoff, sondern schafft auch dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum, reduziert den Energiebedarf für die Erstellung von Gebäuden und schafft nachhaltige Arbeitsplätze in allen europäischen Regionen.
Die stoffliche Nutzung von Holz aus nachhaltiger Waldwirtschaft führt neben der Substitution fossiler Ressourcen zur Verfügbarkeit von Holz-Nebenprodukten und Recyclingholz, die die Versorgung mit erneuerbarer Energie sichern. Die Bewirtschaftung und Pflege der Wälder, die Ernte von Bäumen für Produkte führt immer zu Resten, die stofflich nicht verwertet werden können, z. B. Äste, Kronenholz und von Pilzen zersetzte Stammanläufe. Auch können beigemischte Baumarten nicht immer stofflich verwendet werden, vor allem Laubbäume. Ein Teil dieser Biomasse verbleibt im Wald als Totholz und für den Artenschutz. Außerdem fallen bei der Herstellung von Holzprodukten Rückstände wie Schnittgut, Späne und Sägemehl an, die sich für die Energieerzeugung eignen.
Der Energiegehalt dieser Holzreste und Rückstände einschließlich des Altholzes sollte am Ende ihres Lebenszyklus idealerweise durch die Technologie der „BioEnergie mit Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung“ genutzt werden. Es wurde argumentiert, dass Holz aufgrund seiner im Vergleich zu fossilen Brennstoffen geringen Energiedichte für die Energieerzeugung ineffizient ist. Dieser Vergleich ist nachweislich falsch. Fossile Brennstoffe werden in naher Zukunft außerdem nicht mehr verfügbar sein. Wenn die Energiewende in Europa erfolgreich vollzogen ist, eröffnen Technologien zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung auf der Grundlage von Biomasse auch die Möglichkeit, Wasserstoff und Biochemikalien zu erzeugen.
Gesamtsystem als Maßstab
Bei ordnungsgemäßer Waldbewirtschaftung ist die energetische Nutzung von Holz ein Nebenprodukt der Ernte und der Verarbeitung von Holz zu Produkten. Die energetische Nutzung von Holz kann fossile Energieträger ersetzen und ist ein wichtiger Bestandteil der Klimaschutzpolitik in allen europäischen Ländern. Die Energiesubstitution ist integraler Bestandteil bewirtschafteter Wälder und der damit verbundenen Holzprodukte. Daher sind in einer sektoralen Analyse eines bewirtschafteten Waldes die Stoff- und Energieströme des Gesamtsystems, die mit dem Wald und seiner Nutzung verbunden sind, zu berücksichtigen.
Nur durch die Bewirtschaftung der Wälder und durch die Nutzung des geernteten Holzes vermeiden wir fossile CO2-Emissionen. Die Erhöhung der Speicherung von Holz im Wald kompensiert dagegen lediglich fossile CO2-Emissionen anstatt sie zu vermeiden mit unabsehbaren Risiken. Ein Verbot der energetischen Nutzung von Holz aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und eine Erhöhung des Anteils der EU-Wälder unter Totalschutz ist nicht geeignet, die europäische Klimaschutzpolitik zu unterstützen, hat keine Vorteile für die biologische Vielfalt und behindert die zirkuläre Bioökonomie. Eine ökologisch orientierte nachhaltige Forstwirtschaft, die die Holzmengen konstant hält und den Zuwachs für Produkte und Energie nutzt, ist dagegen „klima-intelligent“.
Gegenwärtig übersteigt die Nachfrage nach Holz unser Angebot. Daher importiert die EU Holz aus anderen Regionen der Welt. In dieser Situation erscheint es unangemessen, Waldflächen für die Wildnis zu reservieren, was nachweislich nicht zur Erhaltung zusätzlicher Arten beiträgt.
- Prof. Roland Irslinger (im Ruhestand) ehemals Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg/Neckar, Deutschland
- Über 550 Wissenschaftler, darunter 179 Professoren, haben diesen offenen Wissenschaftlerbrief unterzeichnet.
Was bedeutet Climate Smart Forest Management?
„Climate Smart Forest Management“ (CSF: klimaintelligente Waldbewirtschaftung) ist eine Erweiterung des Konzepts der naturnahen Waldbewirtschaftung um Klimaschutz- und Biodiversitätskriterien. Der Begriff integriert Klimaziele in die Waldbewirtschaftung. CSF ist mehr als nur die Speicherung von Kohlenstoff in Waldökosystemen, indem sie die Reduzierung von Treibhausgasemissionen, die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Waldökosysteme, Biodiversitätskriterien und die nachhaltige Steigerung der Produktivität und des Einkommens der Waldbesitzer in die waldbauliche Strategie einbezieht. CSF berücksichtigt die regionalen Besonderheiten der natürlichen Faktoren und sozioökonomischen Gegebenheiten der EU-Mitgliedstaaten. Sie sucht nach Synergien mit anderen Politiken, die sich auf den Forstsektor auswirken, wie z. B. die Politik für den ländlichen Raum, die Industriepolitik, die Energiepolitik und die Biodiversitätspolitik. Bis zum Jahr 2050 kann der Gesamteinsparungseffekt des Waldes und des Forstsektors mit CSF 20 Prozent der Gesamtemissionen der EU im Basisjahr erreichen.
Referenz: Climate-Smart Forestry
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