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IHK Kassel-Marburg sieht Unternehmen vor unsicheren Zeiten

01.11.2022 (pm/red) Die Wirtschaft im Kreis Marburg und Nordhessen beurteilt ihre konjunkturelle Situation deutlich schlechter als bei der letzten Umfrage: Insbesondere die zukünftigen Aussichten deuten auf eine Rezession in den kommenden Monaten hin. Der Mix aus Ukraine-Krieg, steigendenden Energiekosten, sinkender Kaufkraft und anhaltenden Lieferengpässen hat die Geschäftserwartungen über alle Branchen hinweg zum Teil auf Tiefstände einbrechen lassen, wird von der IHK Kassel-Marburg mitgeteilt.

IHK-Umfrage: Lage für 84,5 Prozent noch befriedigend oder gut 

Der IHK-Klimaindex, das wirtschaftliche Stimmungsbarometer der Region, fällt auf den schlechtesten Wert seit der Finanzkrise 2009 und liegt nun bei 74,4 Punkten (Vorjahr: 118 Punkte). Das ist das Ergebnis der jüngsten Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) Kassel-Marburg, an der sich 260 Unternehmen beteiligt haben. „Die gegenwärtige Lage bewerten 84,5 Prozent der Unternehmen noch als befriedigend oder gut. Das zeigt, wie robust sich unsere Wirtschaft gegen die multiplen Krisen stemmt“, sagt Jörg Ludwig Jordan, Präsident der IHK Kassel-Marburg. „Die starken Einbrüche der Konjunkturdaten zeigen allerdings auch, wie ernst wir die aktuellen Entwicklungen nehmen müssen. Die hohen Energiepreise schlagen mittlerweile bei vielen Unternehmen durch – und das branchenübergreifend. Eine Gefahr für das Gros der Arbeitsplätze scheint bisher jedoch noch nicht zu bestehen.“ 

Das verarbeitende Gewerbe ist besonders stark getroffen. Ein Folgeschaden der hohen Energiepreise: Inzwischen sind die innerdeutschen Lieferketten gestört. Mit fast 97 Prozent nennt die Industrie die Energie- und Rohstoffpreise als größtes wirtschaftliches Risiko. „Die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie ist gefährdet, uns droht mittelfristig möglicherweise eine Deindustrialisierung“, fasst Dr. Klein-Zirbes die Rückmeldungen aus dem Wirtschaftszweig zusammen. 

Kaufkraftverluste hinterlassen tiefe Spuren im Einzelhandel

Ebenfalls sehr angespannt fällt die Lage im Einzelhandel aus. Der Klimaindex fällt auf sehr schlechte 57,6 Punkte. „Die hohen Kaufkraftverluste wegen den Preisanpassungen bei Energie und Lebensmitteln hinterlassen tiefe Spuren im Einzelhandel“, sagt Margaret Stange-Gläsener, Mitglied des IHK-Handelsausschusses und Centermanagerin vom dez-Einkaufzentrum in Kassel. „Unsere volle Aufmerksamkeit gilt nun dem Weihnachtsgeschäft.“ 

Während die Banken und Finanzdienstleister stabil durch die Corona-Krise gekommen sind und es bislang kaum zu Ausfällen im Zahlungsverkehr kam, rollt jetzt eine mögliche Welle von Insolvenzen auf die Kreditinstitute zu, die sie selbst schwer belasten könnte. Der IHK-Klimaindex fällt auf schlechte 45,6 Punkte (Vorjahr: 102,1 Punkte). „Wir erwarten einen deutlichen, aber verkraftbaren Anstieg der Wertberichtigungen. Kredite, die wir an den Dienstleistungs- und Handelssektor, aber auch an das verarbeitende Gewerbe vergeben haben, könnten unter Druck geraten. Aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und erwarten, gut durch die Krise zu kommen“, sagt Jochen Schönleber, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Marburg-Biedenkopf. „Mit unserer guten Eigenkapitalausstattung haben wir einen großen Puffer gegen nachteilige Entwicklungen.“ 

Die Investitionsneigung geht in der aktuellen Umfrage ebenfalls deutlich zurück. 25,8 Prozent der befragten Betriebe gehen von zunehmenden Investitionen aus. 35,5 Prozent gehen von einer etwa gleichbleibenden Tätigkeit aus, 38,7 Prozent von einer Abnahme. Das macht im Saldo -12,9 Punkte zwischen Zunahme und Abnahme (Vorbericht +1,4 Punkte). Die Hauptmotive für die Investitionen sind Ersatzbedarf und Rationalisierungen. Investitionen in den Umweltschutz nehmen bei Mehrfachnennungen 23,8 Prozent der Unternehmen vor (Frühsommer 27,2 Prozent). Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt weitgehend stabil, die Dynamik des Beschäftigungsaufbaus ist aber vorbei. „Vor dem Hintergrund der komplexen Problemlage dürfen wir den bestehenden Fachkräftebedarf nicht aus den Augen verlieren. 63 Prozent unserer Mitglieder können aktuell offene Stellen nicht nachbesetzen“, mahnt Thomas Rudolff, IHK-Konjunkturfachmann.  

Die Exporterwartungen im IHK-Bezirk sind ebenfalls gesunken. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die mit ihm verbundenen Sanktionen, permanente Lieferengpässe und vor allem steigende Energie- und Rohstoffpreise belasten die international aktiven Unternehmen sehr stark. Lockdowns in China verstärken die angespannte Lieferkettensituation zusätzlich. Stark eingebrochen ist das Segment der Vorleistungsgüterproduzenten, also die klassische Zulieferindustrie. 

Das Fazit von IHK-Präsident Jordan: „Die Energiekosten treiben Deutschland in die Rezession. Die Unsicherheit bei unseren Unternehmen ist so groß wie nie. Ein Gasstopp und damit verbundene Gaszuweisungen müssen unbedingt vermieden werden. Die Gaspreisbremse zur Entlastung der Unternehmen ist ein wichtiges Signal. Weitere Schritte müssen aber noch folgen.“ 

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