Vom Landgrafenschloss steil runter zum Tiefpunkt – Eine Kellergeschichte in Bildern bis zur Sohle von Marburg
Marburg 08.05.2012/17.01.2023 (yb) Bei sonnigem Maiwetter war eingeladen. Ein auserwählter Personenkreis von Amtsträgern, Baukundigen, Schachtexperten, Bediensteten samt kleinem Tross versammelte sich am Fuße des mächtigsten Bauwerks der Stadt. Vorneweg das Stadtoberhaupt mit seinen Beratern, dazu gesellten sich Vertreter von Liegenschaftseigentümer, Kulturleute und weitere Geladene.
Zunächst ging es durch eine enge Pforte hinein in ein kühles Gewölbe. Es gab allerhand zu berichten. Von viele Jahrhunderte zurückliegenden Baumaßnahmen wurde erzählt. Von späterer Wiederentdeckung des Rundbaus, von Mühen und Nöten war die Rede und schließlich von einer Idee. Damit hat ein Schlosskundiger das Stadtoberhaupt für sich eingenommen. So kam es zu Verhandlungen und schließlich erneut zu Baumaßnahmen.
Beinahe wie zu einem geheimen Treffen im Verborgenen standen schließlich die Personen dieser Kellergeschichte im Kreis vereint. Fast nur Männer, wenige Frauen. Es gab viel zu berichten im kühlen Mauerwerk. Dann endlich war Einlass und erneut im Kreis nahm man Aufstellung um den sorgfältig mit schwerem Gitter gesicherten Rundbau. Am Rande der Versammlung unbemerkt ein grüner Frosch. Der kam später zu seinem feuchten Einsatz.
So erlebte der erlauchte Kreis eine Premiere, was ab 15. Mai für interessiertes Publikum als Stadtführung und neue Attraktion in der vormaligen Landgrafenstadt gebucht werden kann.
Gefahrenfrei, sommertags mit trefflicher Kühlung wird tiefer Blick gewährt, allerhand Geschichten, auch Märchen der Grimmbrüder gibt es. Im Weiteren zur Erläuterung ein höchst sachlicher Text. Das Eigentliche gibt es freilich nur mit Führer vor Ort ohne Begrenzung für Alter oder Stand und gegen gewisses Entgelt.
Der historische Schlossbrunnen hat einen Durchmesser von 2,50 Meter und ist nach den Messungen aus dem Jahre 1880 98,5 Meter tief. Er erschließt einen Grundwasserhorizont, der etwa der geodätischen Höhe des Lahnwasserspiegels im Bereich Marburgs entspricht. Der Brunnen befindet sich in einem Gewölbekeller unter der Nordterrasse des Landgrafenschlosses in unmittelbarer Grenzlage zur östlichen Fassade des Wilhelmsbaus.
Nach den vorliegenden Erkenntnissen zur Geschichte des Brunnens ist davon auszugehen, dass bereits in der thüringischen Zeit (1122 bis 1248) ein Brunnenbauwerk an dieser Stelle vorhanden war. Nach den Darstellungen Karl Justis beschloss 1672 die verwitwete Landgräfin Hedwig Sofia, die von 1663 bis 1676 die vormundschaftliche Administration des Landes führte, den Brunnenschacht zu erneuern. Gesichert ist, dass der Brunnen in den Jahren 1673 bis 1675 vollendet worden ist.
Eine Untersuchung des Brunnens durch die preußische Bauverwaltung im Jahre 1880 ergab einen detaillierten Befund zur Brunnentechnik. Bis auf 4 m Tiefe besteht die Einfassung aus sauber gearbeiteten Quadern.
Es folgt bis auf weitere 50 m Tiefe sehr fester Fels, in den der Brunnen ausgehauen ist. Der untere 44,5 m hohe Abschnitt innerhalb der unteren Zone des mittelalterlichen Bruchsandsteins mit seinen Sandsteinschichten ist mit 0,5 bis 0,6 m starken Quadern in regelmäßigen Schichten ausgemauert. Der Brunnensumpf, meint den Grund unter der Wassersäule, ist mit Steinplatten bedeckt, so dass die hinabkommenden Schöpfeimer keinen Sand aufwirbelten. In der Zeit von Juli bis Dezember 1880 wurde der Brunnen geräumt und es wurde eine Pumpe mit Gasmotor eingebaut. Diese Gasmotorenpumpe hob das Wasser 108 m hoch und leitete es in den als ‚roten Hahn‘ bezeichneten Wasserbehälter am Schloss.
Zur Installation und Wartung der technischen Anlagen wurden insgesamt 19 Holzbühnen in den Brunnenschacht eingebaut. Diese Holzbühnen lagerten auf Stahlträgern, die bis zum Sommer 2011 noch in dem Brunnenschacht vorhanden waren.
In der Zeit vom September 2011 bis zum März 2012 wurden die noch im Brunnenschacht befindlichen Stahlträger beseitigt und das im Brunnensumpf befindliche Geröll heraustransportiert. Die Arbeiten wurden von dem Brunnenarchäologen Reiner Nier-Glück zusammen mit seinem Sohn ausgeführt. Dazu musste eine mit einem Elektromotor betriebene Winde aufgebaut werden, die einen Fahrkorb in den Brunnenschacht beförderte.
Von diesem Fahrkorb aus wurden die Stahlträger aus dem Brunnenquerschnitt herausgeschnitten. Auf dem Grund des Brunnens war eine 10 m hohe Säule aus Unrat entstanden. Nachdem die insgesamt 38 Stahlträger herausgeschnitten worden waren, haben Brunnenbauer Glück und Sohn diese Materialien, etwa 50 Kubikmeter, aus dem Brunnenschacht herausgeräumt.
Eine große Freude für alle Projektbeteiligten war, dass nach Beseitigung des Unrates im Pumpensumpf der Grundwasserspiegel wieder freigelegt werden konnte und der Brunnen nun wieder in seinem Zustand aus dem 17. Jahrhundert zu besichtigen ist. Dazu sind weiße und blaue Scheinwerfer montiert.
Um den rückwärtigen Zugang zu den Gewölbekellern unter der Nordterrasse zu ermöglichen, wurde vom Hexenturm aus bis zu der Eingangstür in der nördlichen Schlossmauer ein Weg angelegt. Diese Arbeiten führte der Dienstleistungsbetrieb Marburg durch.
Die Kosten für die Herstellung des Weges zu den Gewölbekellern betrugen rund 20.000 Euro. Für die Wiederherstellung der neuzeitlichen Brunnengestaltung wurden rund 140.000 Euro aufgewendet.
Wie Sie jetzt wieder nach oben zum Tageslicht kommen, müssen Sie selbst rausfinden. Bei Führungen für Gruppen zum Gewölbekeller unterm Schloss mit Blick zur Sohle von Marburg geht Personal mit vorzüglichen Ortskenntnissen voran.
—> Hinweis: Mit einem Klick auf ein Foto kann ein Ablauf als Bilderschau gestartet werden. Die Weiterschaltung lässt sich aufheben – dann kann jedes Foto einzeln per manueller Weiterschaltung betrachtet werden.